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Prof. Ferdinand Ludwig

NACHHALTIGKEIT
Mit der Natur entwerfen

Der Architekt Prof. Dr. Ferdinand Ludwig ist Professor für Grüne Technologien in der Landschaftsarchitektur an der Technischen Universität München (TUM) und Partner beim OLA Office for Living Architecture. Welchen Nutzen die Baubotanik für die Stadt der Zukunft haben kann, sagt er uns im Interview.
18.07.2024

Anna Moldenhauer: Im Fokus Ihrer Forschung steht die Baubotanik – die Vorteile, die sich aus dem Zusammenspiel von technischen Verbindungen und botanischem Wachstum für die Gestaltung von Bautechniken ergeben. Was reizt Sie an dem Thema?

Prof. Ferdinand Ludwig: Im speziellen Fokus der Baubotanik stehen Architektur und Bäume, allerdings arbeiten wir im Rahmen meiner Professur und des Büros auch mit anderen Pflanzenformen. An dem Thema reizt mich das neue Verhältnis von Architektur und Natur sowie der Baum als Akteur im Entwurf mit seinen ökologischen Leistungen, der Langlebigkeit und Ästhetik.

Die Baubotanik schließt die Zukunft des Lebens in der Stadt mit ein. Reichen aktuelle Maßnahmen wie eine Fassadenbegrünung Ihrer Meinung nach hierfür aus?

Prof. Ferdinand Ludwig: Zwei Themen gilt es zu unterscheiden: Das erste ist die Nachhaltigkeit im Sinne des Klimaschutzes inklusive der Ressourcenschonung. Dessen Ziel ist es, durch die drastische Reduktion der CO2-Emissionen ein Abmildern des Treibhauseffektes zu erreichen. Dazu gehört die Photovoltaik, Bauweisen, Materialien, da sprechen wir vielleicht auch über Suffizienz, über nachhaltige Mobilitätskonzepte et cetera. Das zweite Thema ist die Anpassung an den Klimawandel, wie der Umgang mit Hitzeinseln in der Stadt. Durch mehr städtisches Grün soll eine hohe Aufenthaltsqualität für den Menschen erreicht werden. Mit dem Baum als integralen Bestandteil des Gebäudes in der Baubotanik kann man unserer Meinung nach sehr viel erreichen, da das Grünvolumen sehr viel mehr Schatten und Verdunstkühlung spenden kann, als eine Fassadenbegrünung. Dass wir bei weitem nicht genug aktiv werden um die ökologischen Qualitäten in die Architektur zu integrieren, ist offensichtlich. Die Umweltkatastrophen, die wir aktuell erleben, werden sich fortsetzen. Wir haben einen gigantischen Handlungsbedarf, um unsere Städte fit für die Gegenwart und Zukunft zu machen.

Meghalaya-Brücke, Indien: Brücken aus den verschlungenen Luftwurzeln des Gummibaums Ficus elastica sind mechanisch äußerst stabil.

Die Arbeit mit dem pflanzlichen Ursprung der Architektur ist auch eine Rückbesinnung auf das ursprüngliche Wissen, wie mit Blick auf die "lebenden Brücken", die von Urwald-Völkern über Generationen konstruiert werden. In der Publikation "Wachsende Architektur", die Sie gemeinsam mit Daniel Schönle veröffentlicht haben, führen Sie viele beeindruckende Beispiele auf. Was von diesem Wissen würden Sie gerne in eine städtische Gegenwart bringen?

Prof. Ferdinand Ludwig: Wir nutzen diese Techniken als einen Art Wissens- und Ideenpool, nicht im Sinne einer rückwärtsgewandten Orientierung. In diesen haben wir Strategien für ein Co-Design mit dem Baum identifiziert: Das Khasi-Volk in Indien entwirft beispielsweise keine Form, um den Baum dort hineinwachsen zu lassen, sondern umschreibt eine Leistung, die erreicht werden sollte und versucht dieses Ziel in einem dialogischen Prozess mit dem Wachstum des Baums zu erreichen. Wir übernehmen ganz praktisch die eine oder andere Technik, wie die Verwachsungen oder das Einwachsen technischer Teile beispielsweise, und entwickeln sie mit Hilfe von digitalen Planungswerkzeugen weiter. Das ist der große Unterschied zu den historischen Vorbildern, dass diese sehr stark auf ihrem intuitiven Wissen aufbauen. Da wir das nicht mehr haben, müssen wir Wissen künstlich generieren.

Die Bäume brauchen Zeit, um zu wachsen, sprich die Planung muss mit Weitsicht erfolgen – wie hinsichtlich der Bedürfnisse der Organismen und dem Nutzen, den wir erreichen wollen. Parallel sehen wir uns einer starken Verdichtung in den Städten und einem fortschreitendem Klimawandel gegenüber. Wie gehen Sie in der Planung mit diesen Unsicherheitsfaktoren um?

Prof. Ferdinand Ludwig: In unserem Buch zeigen wir unterschiedliche Strategien für den Umgang mit dem Faktor Zeit auf. Wie die Pflanzenaddition – um schnell sehr große Grünvolumina erzeugen können, werden viele junge Pflanzen zu einem Gebilde zusammengefügt. Mit entsprechendem technischen Aufwand lässt sich das angleichen an die Geschwindigkeit des heutigen Bauens. Gleichzeitig müssen wir lernen, das Prozessuale zu akzeptieren. Sie sagen das sehr richtig, wir agieren in einer sich dynamisch verändernden Welt. Ad-hoc Lösungen sind nicht möglich und es lässt sich nicht vorhersehen, wie die Situation in der Zukunft sein wird. Das absurde: Die Fragen, die wir uns stellen, wie zum Verlauf des Klimawandels, sollten im Grunde bei jedem Architekturentwurf gestellt werden. Zum Beispiel welche Baumart jeweils passend wäre, wie die Wasserversorgung bei schwindenden Ressourcen funktioniert, et cetera. Denn auch klassische Gebäude müssen noch viele Jahrzehnte später funktionieren. Wir bauen für unser aktuelles Klima, das kann aber in 40 Jahren völlig anders sein. In Bayern wird das Trinkwasser teilweise aus schmelzenden Gletschern gewonnen. Was passiert, wenn diese nicht mehr existieren? Welches Konzept für das Wassermanagement ist das Richtige? Diese Unsicherheiten müssen von Beginn an mitgedacht werden.

Visualisierung Zukunftsszenario

„Dass wir bei weitem nicht genug aktiv werden um die ökologischen Qualitäten in die Architektur zu integrieren, ist offensichtlich. Die Umweltkatastrophen, die wir aktuell erleben, werden sich fortsetzen. Wir haben einen gigantischen Handlungsbedarf, um unsere Städte fit für die Gegenwart und Zukunft zu machen.“

Prof. Dr. Ferdinand Ludwig

Können Sie an einem Projekt umreißen, wie das Klima geschützt wird und sich auch die Lebensqualität der Menschen verbessert, die in diesem Gebäude wohnen oder arbeiten?

Prof. Ferdinand Ludwig: Wenn wir uns ein klassisches Gebäude vorstellen, dann haben wir eine große Baumasse, die sich tagsüber durch die Sonneneinstrahlung stark aufheizt und dabei viel Wärmeenergie aufnimmt. Diese wird zeitverzögert in den Außen- und Innenraum abgegeben. Der Hitze-Insel-Effekt lässt sich technisch nicht lösen, da eine Klimaanlage nur noch mehr Abwärme schafft. Verschattungselemente bieten zwar Abhilfe nach innen, reflektieren die Wärme aber gleichzeitig vermehrt nach außen. Da helfen nur Pflanzen, weil die nicht nur den Schatten bieten, sondern durch die Verdunstung auch eine kühle Oberfläche haben. Sprich, die Energie wird über die Verdunstung an die Atmosphäre zurückgegeben. Bei Bäumen ist zudem eine sehr differenzierte Schattenwirkung möglich, denn im Gegensatz zur klassischen Gebäudebegrünung, wo ich zweidimensionale Spaliere nehme, habe ich eine Dreidimensionalität der horizontal geschichteten Äste. Und wenn ich mir die vor einem Gebäude vorstelle, dann bin ich als BewohnerIn im Baumkronenraum und gleichzeitig vor Blicken und vor Hitze geschützt. Das ist ein ökologischer Mehrwert, ein gesundheitlicher Mehrwert, und auch ein ästhetischer Mehrwert. Weil wir der Meinung sind, wir erschließen uns einen Naturraum mitten in der Stadt, den man bisher so in der Architektur nicht mitgedacht hat.

Mit grünen Fassaden wird auch ein Teil der Natur angezogen, den man nicht unbedingt im Wohnraum haben möchte, sprich Vögel, Kleintiere, Insekten. Ebenso können die Pflanzen im weiteren Verlauf absterben – um die lebendige Ästhetik erhalten zu können, braucht es viel Pflege. Was ist da Ihre Meinung?

Prof. Ferdinand Ludwig: Das Thema Natur in das Gebäude zu bringen heißt, dass ich mir ein Ökosystem einkaufe, kein Produkt. Salopp gesagt lade ich Pflanzen und Tiere dazu ein mit mir zusammenzuwohnen. Es gibt Pflanzen und Tierarten, die eine positive Wirkung auf den Menschen haben und es gibt jene, die sogenannte negative Ökosystemdienstleistungen erbringen – also für unsere Gesundheit oder für unser Wohlbefinden nicht zuträglich sind, wie Mücken oder auch Pflanzen, die Allergien auslösen. Um für die Begrünung die passenden Organismen auszusuchen, braucht es Fachkompetenz. Was wir im Moment haben, ist eine oft polarisierte Debatte zum Gebäudegrün, die entweder nur die Vorteile oder nur die Nachteile nennt. Als verantwortlich Planende und Forschende müssen wir ein ganzheitliches Bild zeichnen. Es gibt derzeit eine völlig blödsinnige Argumentation für Gebäudegrün um CO2 zu reduzieren, dabei ist die Menge an CO2, die diese paar Bäumchen und Kletterpflanzen aufnehmen, für uns total irrelevant. Damit zu argumentieren ist Greenwashing, weil es in keinerlei Verhältnis zu den CO2-Emissionen des Gebäudes steht.

Ebenso müssen wir schauen, über welche Grünsysteme wir sprechen. Es gibt sehr robuste und einfache, kostengünstige Ansätze, wie die klassische Fassadenbegrünung mit einer Kletterpflanze. Auch Baumfassaden sind möglich. Ein System, das toll aussieht, aber in der Wartung und Pflege extremen Aufwand erfordert, würde ich eher als ein Natur-Ornament bezeichnen, nicht als eine ganzheitlich nachhaltige Lösung. Wenn die Begrünung abstirbt, sieht das Konstrukt fürchterlich aus. Daher braucht es ganzheitliche Lösungen und auch eine andere Vermittlung – auf den Werbebildern sind die Grünsysteme meist perfekt und im Sommer zu sehen, es gibt aber auch noch drei andere Jahreszeiten. Die natürliche Ästhetik ist nicht perfekt und wir können diese gewünschte Perfektion auch nicht einfordern. Eine Putzfassade hinter einer Baumfassade ist nicht strahlend weiß und Bäume verlieren im Herbst ihr Laub. Auf diese Realität müssen wir im Entwurf reagieren und sie kommunizieren. Das passiert meiner Meinung nach viel zu wenig. Der Entwurf mit der Natur geschieht zu produkthaftig mit Renderings, die eine Situation versprechen, die nicht oder nur mit immensem Aufwand gehalten werden kann. Wir sagen immer, wir brauchen einen integrierten Entwurf. Dafür ist es notwendig, dass wir als BaubotanikerInnen von Beginn an miteinbezogen werden, um die Natur systematisch mitzudenken. Kurz gegen Ende noch schnell einen Entwurf "grün zu machen" ist nicht möglich.

Prof. Ferdinand Ludwig
Verwachsung zweier Bäume

Sie haben das Forschungsgebiet der Baubotanik an der Uni Stuttgart begründet und vertreten es heute in Forschung und Lehre an der TU München. Was ist Ihnen wichtig, der Generation zu vermitteln, die jetzt in die Branche kommt?

Prof. Ferdinand Ludwig: Ich lehre aktuell größtenteils in der Landschaftsarchitektur aber ganz bewusst auch für die ArchitektInnen, weil wir der Meinung sind, dass wir in der Bringschuld sind. LandschaftsarchitektInnen haben schon vieles verstanden, wo es bei ArchitektInnen noch hakt, wie über längere Zeiträume zu denken, Entwicklungsprozesse und Pflegekonzepte miteinzubeziehen, Themen wie den Wasserhaushalt zu verstehen. Und das ist das, was wir auch unseren Architekturstudierenden vermitteln wollen, der Standard in der Landschaftsarchitektur. Dass es um ein neues Systemverständnis von einem Gebäude als integraler Bestandteil eines Ökosystems geht. Darin liegt eine unglaubliche Chance, weil wir dann lokal zu einer Verbesserung des Ökosystems beizutragen. Natürlich müssen wir dafür unsere Hausaufgaben im Bereich der Ressourcen und der Energie et cetera erledigen. Wir versuchen den Studierenden einen positiven Ansatz zu vermitteln.

Gemeinsam mit Daniel Schönle und Jakob Rauscher leiten Sie das Büro OLA Office for Living Architecture. Können Sie mir ein Beispiel geben, woran Sie gerade arbeiten?

Prof. Ferdinand Ludwig: Aktuell arbeiten wir unter anderem an einem Projekt in München für einen Vorplatz der Thomas-Morus-Kirche. Das ist ein baubotanischer Baumhain, ein Dach aus den Baumkronen von Hainbuchen. Es sind vielstämmige Bäume, die miteinander teilweise verbunden werden. In diese wachsen Bänke ein, auf die man sich setzen kann, um das Mikroklima der Bäume zu genießen. Der Baumhain ist auch ein räumlicher Filter für die Platzgestaltung. Für den Entwurf ist das ein integraler Bestandteil. Auch das Wassermanagement spielt eine Rolle, denn wir nutzen das Oberflächenwasser der versiegelten Fläche, um die Bäume zu gießen.

Haus der Zukunft

„Die Fragen, die wir uns stellen, wie zum Verlauf des Klimawandels, sollten im Grunde bei jedem Architekturentwurf gestellt werden. Zum Beispiel welche Baumart jeweils passend wäre, wie die Wasserversorgung bei schwindenden Ressourcen funktioniert, et cetera. Denn auch klassische Gebäude müssen noch viele Jahrzehnte später funktionieren. Wir bauen für unser aktuelles Klima, das kann aber in 40 Jahren völlig anders sein.“

Prof. Dr. Ferdinand Ludwig

Wie würde eine Stadtarchitektur der Zukunft, deren Architektur die Bäume miteinbezieht, auf uns Menschen wirken?

Prof. Ferdinand Ludwig: Die Vision der Baubotanik ist, dass das Haus zum Baum wird. Wenn alle Häuser in einer Straße zu Bäumen werden, dann wird die Stadt zum bewohnbaren Wald. Wenn man sich so eine Situation vorstellt, wo die Äste quasi aus den Häusern herauswachsen, dann sind wir eigentlich da, wo man sich fühlen könnte, wenn man in einer baubotanischen Stadt wohnt.

Tipp: Prof. Dr. Ferdinand Ludwig arbeitet aktuell an der Vorbereitung der Ausstellung: "Trees Time Architecture", die am 12. März 2025 im Architekturmuseum der TUM München eröffnet werden soll. In dem Zusammenhang wird das Thema Baum und Architektur in drei großen Ausstellungsräumen sowie in Installationen im Freien beleuchtet.

Wachsende Architektur
Einführung in die Baubotanik

Ferdinand Ludwig, Daniel Schönle
2023
Seiten: 224
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-0356-0331-6

52 Euro