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Femininer Erfolg jenseits des Dekorativen
von Bokern Anneke | 29.03.2012

Die Aufforderung, aus dem Stehgreif zehn bekannte Produktdesignerinnen zu nennen, die nicht im Doppelpack mit einem männlichen Partner auftreten, dürfte selbst Designexperten in Verlegenheit bringen. Hella Jongerius, Patricia Urquiola, Matali Crasset: So weit kommen die meisten noch auf Anhieb. Aber dann? Das Produktdesign ist, ebenso wie die Architektur, eine von Männern dominierte Welt – auch wenn vermutlich kaum einer Designerin noch solch geballter Chauvinismus entgegenschlägt wie Charlotte Perriand, als sie sich 1927 in Le Corbusiers Studio vorstellte. „Wir besticken hier keine Kissen", sagte er und wies ihr die Tür.

Es gibt jedoch einen Trumpf, mit dem man die Designerinnen-Liste mit einem Schlag um drei Namen erweitern kann: Front Design. Einer der Gründe, weshalb die drei Schwedinnen für solche Furore in der Designwelt sorgen, ist die Tatsache, dass sie ein Frauenteam sind. Wobei das in ihrer Heimat viel weniger bemerkenswert zu sein scheint als im internationalen Vergleich, denn in Skandinavien gibt es auffällig viele Frauen im Design.

Möbelklassiker oder Nippes?

Die nahe liegendste Erklärung dafür ist eines der größten Skandinavien-Klischees neben Elchen, roten Holzhäusern, Naturliebe und übermäßigem Alkoholkonsum: die Gleichberechtigung. Tatsächlich stehen skandinavische Länder in internationalen Rankings zu diesem Thema ganz oben. „Die starke Tradition der Gleichberechtigung in den nordischen Ländern hat Frauen Zugang zu Bildung, Lehrstellen und Führungspositionen in der Designindustrie verschafft", sagt Judy L. Larson vom National Museum of Women in the Arts in Washington. In diesem Museum fand 2004 die Ausstellung „Nordic Cool: Hot Women" Designers statt, in der nicht weniger als 159 Designerinnen vertreten waren – angefangen mit Pionierinnen wie der 1859 geborenen Schwedin Karin Larsson und ihren protomodernen Textilentwürfen, der Finnin Maija Isola, die 1951 die erste Designerin im Dienste von Marimekko war, und der Dänin Nanna Ditzel, der die Welt zahlreiche Möbelklassiker aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verdankt. Wie hoch der Frauenanteil im nordischen Design heutzutage ist, demonstriert auch ein Artikel über isländisches Design auf der Website des Icelandic Design Centre, in dem acht der zehn genannten Designer weiblich sind. Zu den interessantesten Vertreterinnen der skandinavischen Designszene gehören darüber hinaus die Schwedin Monica Förster, die Dänin Cecilie Manz und die Norwegerinnen Silje Søfting and Eva Marit Tøftum, deren Studio den programmatischen Namen SHE Design trägt.

Aber entspricht dieser Eindruck der Wirklichkeit? Sind die nordischen Länder wirklich ein Paradies für Designerinnen? „Wenn man sich größere Zusammenkünfte von Designern anschaut, scheint es auch hier noch mehr Männer als Frauen in der Branche zu geben", räumt die Dänin Louise Campbell ein. Die schwedische Designerin Zandra Ahl trieb es noch weiter und bezeichnete in ihrem 2002 erschienenen Buch „Swedish Taste" die öffentliche Designdebatte in ihrer Heimat als „dumm, sexistisch und rassistisch": „Geschmack ist eine Frage des Status, und noch immer sind es die weißen Männer der Mittelklasse, die diesen gepachtet haben, während Design von Frauen häufig zu dekorativem Nippes reduziert wird." Ob sie damit recht hat oder nicht: Solche Aussagen zeugen jedenfalls davon, dass es ein Bewusstsein für das Thema gibt – und das ist mehr, als man von vielen anderen Ländern sagen kann.

Fahrräder sind nichts für Mädchen

Obwohl vielleicht auch in Skandinavien nicht alles Gold ist, was glänzt, so lässt sich doch nicht leugnen, dass weibliche Designer dort eine bessere Ausgangsposition haben als in vielen anderen Ländern. So berichtet die Isländerin Sigridur Heimisdottir vom Studio Sigga Heimis über eine Begebenheit aus ihrer Studienzeit in Italien: „In unserer Industriedesignklasse waren 25 Studenten, davon sechs Frauen. Für unser Abschlussprojekt wollten wir gemeinsam ein Fahrrad entwerfen. Daraufhin fragte uns der Professor freundlich, ob wir als Mädchen das wirklich für eine geeignetes Thema hielten." In ihrer Heimat wäre das nie passiert. „In Skandinavien werden Jungen und Mädchen gleichberechtigt erzogen und lernen, dass Erfolg keine Frage des Geschlechts ist – auch nicht im Design."

Die größten Medienstars der skandinavischen Designerinnenwelt sind zweifellos Front Design aus Stockholm. Zum Erfolg der drei Schwedinnen gehört, dass sie eine ewige Gratwanderung zwischen Sexyness und Frauenpower vollführen, denn seien wir mal ehrlich: Ohne die attraktiven Gruppenfotos von Sofia Lagerkvist, Charlotte von der Lancken und Anna Lindgren würde die Medienaufmerksamkeit wahrscheinlich deutlich geringer ausfallen. Gleichzeitig laufen ihre Entwürfe manch einem Klischee zuwider – allen voran der Idee, skandinavisches Design sei prinzipiell minimalistisch und nüchtern. Der Arbeitsansatz von Front mag untypisch wirken, aber Louise Campbell meint einen allgemeinen Wandel im nordischen Design zu beobachten: „In den letzten zehn oder fünfzehn Jahren ist das Design im Allgemeinen etwas sanfter geworden. Diese Sanftheit mag Frauen mehr liegen als Männern, aber mir scheint, dass beide Geschlechter nun einfühlsamer an die Formgebung herangehen." Das läuft auf eine Henne-Ei-Frage heraus: Spielen Frauen eine größere Rolle, weil der Trend zu sanfterem Design geht oder umgekehrt? Sind in Zukunft Bohrmaschinen denkbar, die wie ein Pürierstab aussehen, wie die Schwedin Karin Ehrnberger sie für ihre Diplomarbeit über Geschlechterklischees in der Produktgestaltung visualisierte? Oder werden dank der skandinavischen Frauenriege mehr Produkte wie der Bürostuhl „Lei" auf den Markt kommen, den Monica Förster für den Hersteller Officeline entwarf und der speziell auf die weibliche Anatomie zugeschnitten ist?

Bevor wir jetzt aber ins Schwärmen geraten, holt Louise Campbell uns wieder auf den Teppich zurück. „Das Geschlecht eines Designers mag in Skandinavien weit weniger ausschlaggebend sein als seine Arbeit. Trotzdem muss ich noch oft genug in Räumen über meine Arbeit sprechen, in denen die einzige andere Frau mich von einem Pin-up-Kalender aus anstarrt."

www.monicaforster.se
www.designfront.org
www.louisecampbell.com
www.ceciliemanz.com
carolineolsson.no
www.shedesign.no
www.siggaheimis.com

„Objets Ordinaires” von Cecilie Manz, 2012, Foto © Casper Sejersen
„Objets Ordinaires” von Cecilie Manz, 2012, Foto © Casper Sejersen
„Objets Ordinaires” von Cecilie Manz, 2012, Foto © Casper Sejersen
„Objets Ordinaires” von Cecilie Manz, 2012, Foto © Casper Sejersen
Cecilie Manz, Foto © Mikkel Heriba
Wanduhr „Myk” von She Design, 2011, Foto © She Design
Wanduhr „Myk” von She Design, 2011, Foto © She Design
„Duo“ von She Design, 2010, Foto © She Design
Pouf „Fofo” von She Design, 2010, Foto © She Design
„Flora” von Louise Campbell, Holmegaard, 2007, Foto © Holmegaard
Leuchte „Fatso” von Louise Campbell, Louis Poulsen, 2004, Foto © Louis Poulsen
Leuchte „Fatso” von Louise Campbell, Louis Poulsen, 2004, Foto © Louis Poulsen
Louise Campbell, Foto © LC
„Story Vase“ von Front und dem Siyazama Project for Editions in Craft, 2012, Foto © Front
„Story Vases“ von Front und dem Siyazama Project for Editions in Craft, 2012, Foto © Front
„Collage Chair” von Front, Gemla, 2012, Foto © Front
Zeitschriftenhalter „Front page” von Front, Kartell, 2011, Foto © Front
Sofia Lagerkvist, Charlotte von der Lancken und Anna Lindgren von Front, Foto © Carl Bengtsson
Besteck „Dorotea“ von Monica Förster, Gense, 2011, Foto © Åke Gunnarsson
„Babuschka” von Monica Förster, Nordiska Galleriet, 2011, Foto © Nordiska Galleriet
Ergonomischer Bürostuhl für Frauen „Lei” von Monica Förster, Officeline, 2009, Foto © Håkan Målbäck
Monica Förster, Foto © Camilla Lindqvist
„Bambi” von Caroline Olsson, 2011, Foto © Linn Vandli
Caroline Olsson, Foto © Stian Korntved Ruud
„Skapur” von Sigga Heimis, 2012, Hugvit & Honnun, Foto © Hugvit & Honnun
Hocker mit Schaffell von Sigga Heimis, Varma, Foto © Varma, Hocker von Sigga Heimis, Hugvit & Honnun, Foto © Hugvit & Honnun-
Sigga Heimis, Foto © SH