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Fahrt ins Blaue
von Thomas Edelmann | 19.12.2012

Am 9. Dezember ging in Hamburg ein neues Stück U-Bahn in Betrieb. In einer großen Kurve schlängelt sich der Tunnel unter etlichen Gewässern hindurch, bis zu dreißig Meter unter der Oberfläche taucht er unter anderen Tunnel-Strecken, Teilen der Hamburger Alt- und Neustadt ab. Von alldem bekommen Fahrgäste naturgemäß kaum etwas mit. Nach vier Minuten Fahrzeit ab Jungfernstieg erreichen sie die erste – und vorerst letzte – Haltestelle „Überseequartier“. Die tatsächliche Endstation „HafenCity Universität“ ist zwar unterirdisch ebenfalls fertiggestellt, liegt aber derzeit noch so weit im städtebaulichen Nirgendwo, dass man sich entschlossen hat, sie nur an Wochenenden zur Besichtigung anzusteuern. Zwei Minuten Fahrzeit sind dafür vorgesehen, im Fahrplan kommt sie dennoch nicht vor.

„HafenCity Universität“, das ist noch ein Entwicklungsgebiet, der östliche Teil der Hafen City, der erst in den nächsten Jahren heranreifen wird. Verlässt man die Station Richtung Straßenniveau, so landet man auf der einen Seite vor einem großen Sandhaufen. Die langgestreckten flachen Schuppen des Hafens, Funktionsbauten in denen ankommende Güter kurzfristig gestapelt, sortiert, umgepackt und gesammelt wurden, hat man längst eingeebnet. Der Hamburger Freihafen, den das Gebiet hier seit 1888 umfasste, wird zum Januar 2013 aufgelöst. Die Zollstationen verschwinden, aus dem früheren Hafengebiet wird – so wollen es die Planer – ein pulsierender Stadtteil. Auf dem Gelände des einstigen Hannoverschen Bahnhofs wird einer der wenigen Parks des Stadtteils entstehen und eine Gedenkstätte für die von hier aus 1940 bis 1945 deportierten Juden, Roma und Sinti.

Die „HafenCity Universität“, nach der die Haltestelle benannt ist, wird eine Architekturhochschule sein, bereits 2006 aus Studiengängen und Personal unterschiedlicher Hochschulen zusammengesetzt, die ihre über die Stadt verteilten Standorte aber erst im Herbst 2013 aufgeben soll, um hierher umzuziehen. Ein ehrgeiziges Ziel, denn der Neubau ist bislang noch ein Betonskelett. Im September wurde Richtfest gefeiert, der Entwurf stammt vom Dresdner Architekturbüro Code Unique.

Wer mit der Eisenbahn von Süden her über die Hamburger Pfeilerbahn, einer einst aus 126 gemauerten Backsteinbögen bestehenden erhöhten Bahntrasse nach Hamburg fuhr, sah in der Ferne bereits einige Sehenswürdigkeiten der Stadt: den Großmarkt mit seinem wellenförmigen Dache, den Michel, den Hafen, ringsum aber eine scheinbar chaotische Stadtrand-Landschaft aus Lagerflächen, Spontanvegetation; ein Gewimmel aus Kränen, Lagerflächen, Schienen und Straßen. All das ist nun verschwunden. Die Deutsche Bahn ließ die maroden Backsteinbögen abreißen und ersetzte sie durch ein „gekoppeltes System aus verankerter Spundwand, tiefgegründeter Bodenplatte und quer angeordneter geneigter Gewi-Pfähle“, wie ein beteiligtes Ingenieurbüro die Baumaßnahme treffend beschreibt. Entstanden ist eine Art von Bahnarchitektur, von der Meinhard von Gerkan einmal sagte, „die erhöhten Standards kosten immer mehr Geld, das bei der Gestaltqualität wieder eingespart werden muss“.

Für die angehenden Architekten, die bald auf der gegenüberliegenden Straßenseite einziehen, ein Anschauungsbeispiel, wie man es nicht machen sollte.

Leuchtender Untergrund

Dann lieber wieder zurück in die U-Bahn. Dort begrüßt den Besucher ein leises maritimes Gluckern und Rauschen, eher enervierend als amüsant. Unwillkürlich sucht man nach einer Toilettenanlage, die es allerdings nicht gibt. Die beiden neuen U-Bahnstationen liegen rund 16 Meter unterhalb der aktuellen Geländeoberfläche. Die neue Bebauung wird nicht eingedeicht, sondern auf Warften, künstlich aufgeschütteten Flächen, errichtet. Eindrucksvoll ist der Blick durch große Glasscheiben aus der Zwischenebene über den Bahnsteig.

Im Zustand des Endausbaus sollen einmal 12.000 Menschen in der Hafencity wohnen. Bislang sind es etwa 2000. Hinzu kommen derzeit etwa 9.000 Beschäftigte und täglich Tausende von Besuchern. Bis zu den rund 35.000 Passagieren allerdings, die für den Bau der U-Bahn einmal prognostiziert wurden, ist es also noch einige Zeit hin. Gute Gelegenheit um den kontemplativen Charakter dieser Station zu erkunden.

Symbolträchtige Lichtbehälter

Die Gestaltung der Station lag – nach einem 2007 durchgeführten Wettbewerb – fest in Münchner Hand: Das Architekturbüro Raupach, die Lichtplaner von Pfarré Lightning Design, das Designbüro Stauss Grillmeier und D-lightvision für das Farblichtkonzept arbeiteten gemeinsam an der Gestaltung des zehn Meter hohen, sechzehn Meter breiten und 130 Meter langen Raumes. Wände und Decken sind mit gebürsteten Stahlplatten verkleidet. Weit oben in der Bahnsteighalle hängen zwölf Lichtbehälter, vollflächig und semintransparent verglast, jeweils 6,5 Meter lang, 2,80 Meter hoch und sechs Tonnen schwer; gestaltet wurden sie von Stauss Grillmeier. Bestückt ist jedes der Lichtobjekte mit 280 Rot-Gelb-Grün-Leuchtdioden. Der Entwurf reagiere assoziativ „auf die vor Ort gefundenen Identitäten der Hafenstadt“, heißt im Projektbericht der Architekten, „auf die im Wechsel der Jahreszeiten changierenden Farben der Ziegelfassaden und der stählernen Schiffsrümpfe, auf die mächtigen Aufbauten der Krananlagen und die Module der Transportcontainer“ – die hängen nun also, symbolisch zu Lichtspendern umgeformt, unter der Decke. Während die markante Farbigkeit des Lichts sich mit manchen Zwischentönen langsam verändert, bleibt das nach unten strahlende weiße Licht gleichmäßig hell.

Ob man von hier aus lieber zur nächsten Station ins „Überseequartier“ fahren oder laufen möchte, ist Geschmackssache, so nah liegen beide Haltestellen beisammen. Noch sind die Zugänge über Stege zu erreichen, ringsum wird gebaut. Allerdings ist man zum Teil schon weiter als an der „HafenCity Universität“. So kann man bereits den Baublock der Elbarkaden erkennen, in dem bald schon Greenpeace Deutschland, iF industrial design forum und die Hamburger Initiative desginxport residieren sollen.

Unterwasserwelt am Überseequartier

Auch die Station „Überseequartier“ hat ein gestalterisches Thema. Das ebenfalls per Wettbewerb ermittelte Büro Netzwerkarchitekten aus Darmstadt konzipierte die etwas breitere, aber gleich hohe und lange Bahnsteighalle als symbolische Unterwasserwelt. Für die Lichtplanung kooperierten die Darmstädter mit dem Hamburger Büro Schlotfeldt Licht. Schon auf den Zugangsebenen fallen blitzblanke Fliesen in unterschiedlichen hellen Blautönen ins Auge, die ein wenig an die Tradition der Hamburger U-Bahnhöfe der 1950er und 1960er Jahre erinnern, deren Treppenanlagen aber weniger weitläufig und großzügig wirken. Wieder ist es eine großformatige Glasfront, die Zugang und Bahnsteigebene voneinander trennt.

Aus Gründen des Brandschutzes wurden alle bestehenden U- und S-Bahnstationen in den letzten Jahren nicht nur ihrer abgehängten Decken beraubt – die schäbigen Metallunterkonstruktionen ließ man unverändert hängen – vor allem die Zu- und Ausgänge wurden mit weit heruntergezogenen Schürzen verkleidet, die die Fluchtwege frei von Rauch halten sollen. Die dezente Gestaltqualität der bestehenden Stationen nahm dabei, wie bei vielen Um- und Einbauten zuvor – erheblichen Schaden. Schön zu sehen, dass es zumindest im Neubau weit eleganter geht.

Charakteristisch fürs „Überseequartier“ sind die beschichteten Wandverkleidungen, die mit einem blauen Verlauf versehen sind, der nach oben hin immer heller wird und schließlich in blankes Metall übergeht. Weit oben an der Decke gibt es Edelstahlkassetten mit unregelmäßigem Muster. Wer möchte, folgt der Idee der Architekten und erkennt darin eine „Wasseroberfläche aus Taucherperspektive.“ Das helle gleichmäßige Licht – hier gibt es keine Disko-Effekte – wirkt in Zusammenspiel mit dem Betonwerkstein des Bahnsteigs deutlich heller, aber angenehm. Die akzentuierenden Lichtstreifen in den Treppenhäusern blenden dagegen mitunter. Und dort, wo der HVV in glänzenden Schaukästen über Wege, Fahrpläne und Tarife informiert, spiegeln sich Fliesen, Edelstahlrahmen und Glas so sehr, dass man sich (falls möglich) besser aufs mitgebrachte Smartphone verlässt.

Erstaunlich ist gerade im Vergleich zu früheren Hamburger U-Bahn-Architekturen, wie wenig Aufwand für die Integration der Zugangsbauwerke in den neuen Stadtteil geleistet wurde. Dabei schufen Hamburger Architekten in den Nachkriegsjahrzehnten auf diesem Terrain viele kleine Monumente des Alltagslebens inmitten des Stadtgeschehens. Jedem Nutzer bleibt der Eingang zur Station Feldstraße (1954) von Hans L.M. Loop in Erinnerung, ebenso die Kuppelschale aus Stahlbeton an der Lübecker Straße (1960–62) von Horst Sandtmann und Friedhelm Grundmann – oder der Glaspavillon der Haltestelle Schlump (1966–68) von Horst Sandmann (unter Mitarbeit von Dieter Glienke und Gerhard Hirschfeld).

Die neuen Stationen verzichten auf jedwede Aussage im Stadtraum. Vermutlich gehörte dieser Aspekt schlicht nicht zur Ausschreibung. In wechselndem Licht und mit symbolisch gestalteten Bildern präsentieren sich die neuen Stationen als seriöse, zum Teil unterhaltsame, auf jeden Fall aber markante Verkehrsbauten. Angesichts ihrer Kosten von offiziell 326,6 Millionen Euro (macht 81,65 Millionen pro Kilometer oder 163,3 Millionen pro Station), sei noch einmal an ihre kuriose Vorgeschichte erinnert.

U-Bahn statt Straßenbahn

Im Jahr 2001 war Hamburg rot-grün regiert. Und das „Hamburger Abendblatt“ titelte „Stadtbahn kommt“. Gemeint war etwas, das für andere Metropolen längst ein selbstverständliches, sparsames und effektives Verkehrsmittel ist, das für Hamburg aber einen Kulturschock bedeutet. Bereits 1956 hatte man in der Hansestadt beschlossen, sukzessive die Straßenbahn abzuschaffen, was bis 1978 geschah. Plötzlich sollte zur Erschließung der Hafencity eine neue, nun Stadtbahn genannte Straßenbahn entstehen. Deren Strecke sollte über eine bestehende Brücke und den Einkaufsboulevard Mönckebergstraße bis zum Hauptbahnhof geführt werden, das galt als abgemacht. CDU und Schill-Partei gewannen die Wahlen im September 2001, und sägten die Stadtbahn trotz fertiger Pläne ab. Wenn schon, denn schon: Eine U-Bahn-Erweiterung müsse her, befand die neue Stadtregierung; 34 Varianten wurden erwogen. Die Kosten würden schon nicht so schlimm steigen (taten sie aber doch) und außerdem beteilige sich der Bund ja an den Baukosten und – vor allem: die Autos könnten weiter ungebremst in die Stadt rollen.

Weil Kaufhäuser und Einzelhändler auf der Mönckebergstraße aber den jahrelangen U-Bahn-Bau und damit Geschäftseinbußen fürchteten, wurde eine einfache Anbindung der neuen Strecke ans bestehende Netz verworfen und durch den nun realisierten langen, kurvenreicheren Weg ersetzt. Jahre später, die CDU war nun mit den Grünen im Bunde, war die teure U-Bahn-Stichstrecke bereits im Bau. Das Verkehrsmittel der Zukunft sei dennoch die Stadtbahn, befanden die Koalitionäre einmütig 2008 – wenn schon nicht in der Hafencity, dann an anderen Stellen der Stadt. Die Hochbahn als Betreiber, die Handelskammer und auch die CDU war von den neuen Plänen begeistert. Denn Straßenbahnen verbrauchen weniger Energie, befördern auf demselben Raum mehr Menschen und haben mit den quietschenden Oldtimern von einst wenig gemein. Um dies den Hamburgern zu demonstrieren, holte man 2010 sogar einen Stadtbahnwagen aus Bremen an den Jungfernstieg.

Binnen zehn Jahren sollten 28 Kilometer Strecke entstehen, die Kosten sollten rund 1 Milliarde Euro betragen (auch die Anschaffung neuer Fahrzeuge und der Bau eines Betriebshofes war darin enthalten). Nur zu einem Teil hätte Hamburg die Kosten aufbringen müssen. Freilich stiegen auch hier die Kosten für das Projekt, der CDU-Bürgermeister Ole von Beust zog sich zurück, die Grünen zerstritten sich mit ihrem Koalitionspartner und verließen die Stadtregierung. Die CDU stoppte umgehend alle Stadtbahnpläne, auch weil – zeitgleich zu den Protesten gegen Stuttgart 21 – Widerstand in der Bevölkerung aufkam. Außerdem macht es Spaß, ein Projekt des politischen Gegners zu killen. Nun regiert wieder die SPD in Hamburg, ohne Partner und größere Rücksichten, was sie selbst für den natürlichen Zustand hält. Der Erste Bürgermeister Olaf Scholz ist längst vom SPD-Projekt der Stadtbahn abgerückt. Dauerhaft. Stattdessen werden nun – ohne Umwelt- oder Spareffekte – für viel Geld Busspuren ausgebaut. Richtig toll findet die Stadtbahn in Hamburg also immer nur eine Partei, die sie gerade nicht realisieren muss. Gegenwärtig ist das die CDU.

Die beschichtete Wandverkleidung der Station „Überseequartier“ ist durch einen blauen Farbverlauf charakterisiert, Foto © Thomas Edelmann
Die verwendeten Materialen führen zu teilweise exzessiven Spiegeleffekten, Foto © Thomas Edelmann
Der Gestaltung der Station „Überseequartier“ liegt das Thema „Unterwasserwelt“ zugrunde, Foto © Thomas Edelmann
Am 9. Dezember wurde die neue Hamburger U-Bahn in Betrieb genommen, Foto © Thomas Edelmann
Nach einem ausgeschriebenen Wettbewerb wurde das Büro Netzwerkarchitekten aus Darmstadt mit der Gestaltung der Station „Überseequartier“ beauftragt, Foto © Thomas Edelmann
Eine Glasfront trennt Zugangsbereich und Bahnsteig voneinander, Foto © Thomas Edelmann
Die changierenden Lichtabfolgen spiegeln sich in den stahlverkleideten Wänden wider, Foto © Thomas Edelmann
Das Lichtkonzept für die neue Hamburger U-Bahnstation „HafenCity Universität“ repräsentiert den „Wechsel der Jahreszeiten“ am Hamburger Hafen, Fotos © Thomas Edelmann
Die Haltestelle „HafenCity Universität“ ist eine von bisher zwei gestalteten Stationen der neuen Hamburger U-Bahnstrecke „U4“, Foto © Thomas Edelmann
Während die Farben der Lichtspender an den Seiten ständig wechseln, wird der Bahnsteig nach unten mit einem gleichmäßigen, weißen Licht ausgeleuchtet, Foto © Markus Tollhopf
Die 12 Lichtobjekte bestehen aus semitransparentem Glas und sind mit 280 Rot-Gelb-Grün-Leuchtdioden ausgestattet, Foto © Markus Tollhopf
Der Eingang der Station „HafenCity Universität“ ist, wie die Station selbst, mit gebürsteten Stahlplatten verkleidet, Foto © Thomas Edelmann
Im Vergleich zu den Bahnsteighallen wurde die Gestaltung der Zugangsbauten stiefmütterlich behandelt, Foto © Thomas Edelmann
Der Bereich der Hamburger Hafen City, in den Ende 2013 die Architekturhochschule „HafenCity Universität“ ziehen soll, gleicht heute noch einem Entwicklungsgebiet, Foto © Thomas Edelmann
Noch befindet sich die Endstation der Hamburger U4 im „städtebaulichen Nirgendwo“, Foto © Thomas Edelmann