top

Schwebende Existenz

Der Wettbewerb für das Exilmuseum in Berlin ist entschieden. Wir sprachen mit Gründungsdirektor Christoph Stölzl und Kuratorin Cornelia Vossen über das inhaltliche Konzept und die Hintergrundgeschichte des Projekts.
von Alexander Russ | 05.02.2021

In Berlin soll ein Exilmuseum am ehemaligen Anhalter Bahnhof entstehen, dessen Eröffnung für 2025 geplant ist. Dem Projekt ging ein internationaler Architekturwettbewerb voraus, bei dem besonders die Einbindung der Portalruine des Anhalter Bahnhofs eine wichtige Rolle spielte, und den die dänische Architektin Dorte Mandrup für sich entscheiden konnte. Die Ausstellung wird sich mit dem Thema Exil zwischen 1933 bis 1945 auseinandersetzen und dabei auch Bezugspunkte zur Gegenwart setzen. Geplant sind 3.500 Quadratmeter Ausstellungsfläche und 700 Quadratmeter für Freizeit- und Kulturnutzungen.

Alexander Russ: Der Wettbewerb für das Exilmuseum und die dazugehörige Stiftung Exilmuseum Berlin gehen auf eine bürgerschaftliche Initiative zurück. Können Sie uns mehr über die Hintergrundgeschichte erzählen?

Christoph Stölzl: Die Idee für das Museum geht letztendlich auf den großen Porträtfotografen Stefan Moses zurück, der seit den 1950er Jahren immer wieder Exilanten fotografiert hat. Seine Porträts waren eine Grundlage für das Buch "Deutschlands Emigranten", mit einer Serie von circa 120 Biografien. Das Buch kam in die Hände des Kunsthändlers Bernd Schultz, dem Mitbegründer der Villa Grisebach. Er war es auch, der vorgeschlagen hat, dem Thema mehr Sichtbarkeit in Form eines Ausstellungsorts zu verleihen. Diese Idee hat dann mehrere Stationen durchlaufen, bis entschieden wurde, dass ein Exilmuseum beim ehemaligen Anhalter Bahnhof am Askanischen Platz in Berlin gebaut werden soll.

Die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller ist ebenfalls in das Projekt involviert. Wie kam es dazu?

Christoph Stölzl: Herta Müller hat bereits 2011 in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgeschlagen, ein Museum des Exils zu errichten. Als Bernd Schultz dieselbe Idee hatte, wussten beide ursprünglich nichts voneinander. Vor drei Jahren hat ihr gemeinsames Vorhaben sie zusammengeführt. Herta Müller hat dann mit dem ehemaligen Bundespräsident Joachim Gauck die Schirmherrschaft für das Museum übernommen.

Können Sie uns ein bisschen mehr über den Ort für das neue Museum erzählen?

Cornelia Vossen: Die Portalruine des ehemaligen Anhalter Bahnhofs ist ein geschichtliches Denkmal von hoher Symbolkraft. Von dort sind unzählige Personen aufgebrochen, um vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu fliehen. Er steht als Deportationsbahnhof auch für die Verbrechen des Naziregimes. Jeder hier in Berlin kennt dieses merkwürdige leere Areal mit der freistehenden Ruine des Portikus, hinter der sich ein Fußballplatz befindet. Zwischen der Ruine und dem Fußballplatz soll das neue Museum entstehen.

Wie bildet der Entwurf von Dorte Mandrup das Thema architektonisch ab?

Christoph Stölzl: Es nimmt das Geschichtszeugnis der Portalruine in seine Arme. Zudem lastet das Museum auf nur wenigen Punkten. Das drückt meiner Meinung nach die Erfahrung des Exils als Zustand einer schwebenden, fragilen Existenz sehr gut aus.

Die Arbeit der Stiftung umfasst weltweite Partnerschaften und Kooperationen mit existierenden Institutionen zum Thema Exil. Um welche Kooperationen handelt es sich dabei?

Christoph Stölzl: Wir sind in Kontakt mit Botschaften, Archiven und Leihgebern wie etwa dem Exilarchiv der Deutschen Nationalbibliothek, der Akademie der Künste in Berlin oder dem Leo Baeck Institute in New York. Wir wissen natürlich, dass es viele private und staatliche Initiativen gibt, die sich seit Jahrzehnten mit dem Thema beschäftigen, weshalb wir direkt nach Gründung der Stiftung alles unternommen haben, um uns mit unseren Vorgängern zu vernetzen. Das neue Exilmuseum wird deshalb auch ein großes Schaufenster für andere Initiativen sein. Dafür gibt es eine 400 Quadratmeter große Fläche für Wechselausstellungen, die von unseren Partnern genutzt werden kann.

Wie sieht das kuratorische Konzept der Ausstellung aus?

Cornelia Vossen: Wir wollen Lebensgeschichten erzählen und dies vorrangig mithilfe von Medieninstallationen, interaktiven Exponaten und fokussiert eingesetzten historischen Leihgaben. Es geht uns darum, eine Nahsicht auf die einzelnen Schicksale zu ermöglichen. Zu dieser Erzählung soll auch eine dezent eingesetzte, aber sprechende Szenografie beitragen. Wenn wir zum Beispiel einen Film zeigen, dann soll das auf einer raumgreifenden Leinwand geschehen, um mit den Möglichkeiten des Raums zu arbeiten. Ein weiteres Beispiel wäre der sogenannte "Pfad des Exils", der sich durch fast alle Ausstellungsräume zieht, und als Raum im Raum in mehrere Kabinette unterteilt ist. Dort greifen wir Motive unseres Metathemas – der Erfahrung des Exils – auf wie "Warten", "Pass/ Identität" oder "Leben in der Fremde". Die Idee dahinter ist, dass man in die einzelnen Kabinette hineingehen kann, und eine assoziative Szenografie vorfindet, die das jeweilige Exilmotiv illustriert, kombiniert mit Zitaten aus der Exilliteratur damals und heute. Zentral aber ist unser "Bioskop" – ein Kino mit 180°-Leinwand – in dem Lebensgeschichten pur "ausgestellt" werden. Die anderen Ausstellungsräume sind als linearer Rundgang gestaltet und vollziehen, grob gesagt, die Stationen auf dem Weg ins Exil nach.

Wie gehen Sie bei der Recherche der individuellen Schicksale vor?

Christoph Stölzl: Wir haben viele Listen und versuchen mit Hilfe einer Matrix, die sich unter anderem in Parameter wie Berufe, Alter oder Geschlecht unterteilt, ein möglichst großes gesellschaftliches Spektrum abzubilden. Neben den ausgewählten Geschichten sollen die Besucher und Besucherinnen aber auch die Möglichkeit haben, in einem digitalen Archiv nach weiteren Namen Ausschau zu halten. Es wird beständig erweitert.

Gründungsdirektor Christoph Stölzl, Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller und der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck

Flucht ist ein sehr gegenwärtiges Thema. Wie schaffen Sie einen Aktualitätsbezug in der Ausstellung?

Cornelia Vossen: Es wird zwei Räume geben, die den Rundgang umklammern. "Jahrhundert des Exils" und "Exil heute". In ersterem ist eine große Medieninstallation mit mehreren Leinwänden angedacht, die gegenwärtige Fluchterfahrungen thematisiert und sie mit der NS-Zeit verknüpft. Den Raum "Exil heute" möchten wir mit Geflüchteten zusammen erarbeiten. Derzeit entwickeln wir mit ihnen zum Beispiel ein "Alphabet des Ankommens". Dafür haben wir sie befragt, was das Thema "Ankommen" für sie bedeutet. Sie entwickeln selbst die Begriffe für das Alphabet, aus ihren Aussagen im Workshop verdichten sich die zugehörigen Texte. Schlussendlich geht es darum aufzuzeigen, welche Verbindungslinien sich durch die Erfahrung des Exils zwischen heute und der Vergangenheit ergeben.

Sie planen auch eine 700 Quadratmeter große Fläche für Freizeit- und Kulturangebote des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg. Was hat es damit auf sich, und wie wird das Ganze mit dem Ausstellungsinhalt verknüpft?

Christoph Stölzl: Das Grundstück für das neue Museum gehört dem Bezirk, der den Wunsch hatte, einen Teil der Museumsfläche nutzen zu können. Da es dort eine sehr hohe Migrationsquote gibt, sind Synergien zwischen den Themen des Bezirks und des Museums sicher denkbar. Es gibt zum Beispiel das Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg, das sehr viel in diesem Bereich tätig ist, und unter anderem Ausstellungen zusammen mit Geflüchteten entwickelt. Wir freuen uns auf den Austausch.