Andere Länder, andere Sitten und eben andere Alltagsobjekte. Die Gebrauchsgegenstände eines Landes sind wie eine Art nationales Schaufenster, das einen bestimmten Anspruch an Form, Funktionalität und Ästhetik spiegelt. Im Film reicht meist das Einblenden des amerikanischen Briefkastens, einer Basecap oder eines gelb-schwarzen Schulbusses aus, um die Geschichte augenblicklich in Amerika zu verorten.
International zwar weniger bekannt als Zippo Feuerzeug, Emeco „Navy Chair" oder Leatherman „Multi Purpose Tool" ist der „Box Fan", ein kofferförmig quadratischer Ventilator, der in den Fifties aufkam, sich praktisch in die typisch amerikanischen Schiebefenster klemmen lässt und in kaum einem amerikanischen Haushalt fehlt. Das populärste Modell stammt von Lasko: ein weißes Kunststoffgerät, das beim Baumarktgiganten Home Depot 14,96 Dollar kostet. Was sein Design – abgesehen vom Preis – überzeugend macht, ist schwer zu sagen. Der alte Styling-Slogan des amerikanischen Industriedesigns „Hässlichkeit verkauft sich schlecht" hat sich hier jedenfalls nicht durchgesetzt. Auch nicht das Klischee, Amerikaner würden Konsumgüter stets in einer Auswahl von mindestens tausend verschiedenen Varianten erwarten. Das Modell gibt es bloß in weiß und auch nur aus klapprigem Plastik. Dennoch: This is the „Box Fan"! So schlicht, wie er eben ist.
Ein anderer Held des amerikanischen Alltags, über den kaum jemand mehr weiß, als dass er eben überall herumsteht, ist der „Metall Folding Chair". Auf diesem Klappstuhl, der immer dann zur Stelle ist, wenn Mobiliar nichts kosten darf und so schnell wieder verschwinden soll, wie es aufgestellt wurde, haben sich Amerikaner irgendwie geeinigt: This is the chair. Warum hier die zeitgeistige Lifestyle-Welt von Ikea oder „Amerikas beste Hausfrau" Martha Stewart noch nicht verdrängend gewirkt hat, bleibt rätselhaft. Auch das Durchhaltevermögen des „American Coffee Mug" ist im Grunde ein Wunder. Warum nur wird seit einem Jahrhundert in nahezu jedem Diner der Kaffee in dickwandigen, leicht taillierten Steingutbechern serviert, die schwer in der Hand liegen und auch sonst von zweifelhaft ergonomischer Qualität sind? Dennoch – der „American Coffee Mug" ist ein Archetyp, selbstverständlich akzeptiertes „Americana".
Es bleibt oft wunderbar unerklärlich, warum eigentlich Steckdosen, Lichtschalter, Straßenschilder, Fenster, Sanitäranlagen oder Briefkästen eine bestimmte Gestalt annehmen; sich in Amerika etwa statt der europäischen Türklinken die im Grunde weit weniger praktischen Türknäufe durchgesetzt haben; selbst in kühlen Regionen die Eiswürfelmaschine in der Kühlschranktür Standard ist; genauso wie der elektrische Müllzerkleinerer im Ausguss, selbst wenn kaum jemand noch kocht; Waschbecken auf öffentlichen Toiletten nahezu überall in den Vereinigten Staaten rollstuhlgerecht eine sichelförmige Ausbuchtung haben und Bürgersteige neuerdings bunte Kunststoffeinlagen säumen, damit Passanten nicht versehentlich vor Autos schlittern. Gebräuche, Konsumverhalten, Sozialstrukturen und Marktmechanismen scheinen immer nur annähernd zu erklären, wie Objekte in modernen Industrienationen Form und Verbreitung finden, ins kollektive Alltagsgedächtnis eingehen und zu Emblemen werden. Eine Unsicherheit in den Erklärungsversuchen bleibt.
Die Semantik der amerikanischen Alltagserscheinungen, die vor allem das letzte Jahrhundert geprägt haben, als Amerika zum Taktgeber der Moderne wurde, ist jedenfalls oft eindringlich und wiedererkennbar wie ein Markenprodukt. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten hat es gleichsam Tradition, in manchmal gewöhnlichsten Gebrauchsobjekten ein Symbol für die „amerikanische Zivilisation" zu sehen. Also weniger die sogenannte Hochkultur zu adeln, als die industriell gefertigten, für jeden zugänglichen Gebrauchsgüter, so als sollte sich die Legende „Vom Tellerwäscher zum Millionär" am sozial durchlässigen Alltagsobjekt beweisen. Dass die von Warhol zur Pop-Art erhobene Coca-Cola Flasche, Campbell's Tomato Soup Konservendose oder die Brillo Pads Box überhaupt amerikanische Ikonen werden konnten – charakteristisch für Land und Leute wie vielleicht in Bayern die Lederhose und das Dirndl –, liegt auch daran, dass die Grenze zwischen Folklore und Produkt in den Vereinigten Staaten fließend verläuft, jedenfalls fließender als anderswo. McDonald's oder Levi's sind nicht bloß Konsumgütermarken, sondern wie "Stars and Stripes" Ausdruck eines standardisierten American Way of Life, der eine heterogene Nation zusammenhält. Erst wer am Abend das Barbecue Besteck rausholt, ist in der Neuen Welt angekommen.
Gleichzeitig werden in der für ihre Lust auf permanent Neues berüchtigten Fortschrittsnation moderne Hightech Gadgets so rasend schnell aufgenommen, das ein Leben ohne eBooks, iPads und Smartphones schon nicht mehr vorstellbar scheint. Auch die „Toy"-Versessenheit ist keine Legende. Wo die Franzosen oder Italiener, wie man beim Küchenfilialisten Williams-Sonoma versichert, einfach zum Messer greifen würden, bevorzugen die Amerikaner ganz selbstverständlich ein Gerät wie mechanische Apfel- oder Avocado-Zerteiler. Objekte, die bei uns etwa in Gestalt von Eier- oder Zwiebelzerteilern in den Fifties gut ankamen, als eine zeit- und arbeitseinsparende Umgebung noch ein freieres Leben versprach. Diese Art kapitalistisch befeuerter Spielzeugtrieb lässt in den Vereinigten Staaten immer wieder Produkte entstehen, die eigentlich keinen rechten Sinn machen, wie vor drei Jahren die kultige, mit Ärmeln versehene Billig-Vliesdecke „Snuggie", die Millionenumsätze erzielte, da sich mit ihr angeblich bequem die Fernbedienung betätigen lässt. Der Glaube an die erfinderische Gestaltbarkeit einer besseren, das heißt, komfortableren Welt, ist tief in die amerikanische Seele eingegraben.
Anders als in Europa waren in Amerika die Gestaltungsansprüche für den Alltag auch niemals idealistisch überhöht. Zwar bildeten „Arts and Crafts" eine Gegenbewegung zur Industrialisierung, es gab dort aber weder Werkbund noch Bauhaus. Zwar gründeten die europäischen Modernisten im amerikanischen Exil einflussreiche Nachfolgeinstitutionen, initiierte das Museum of Modern Art in New York mit „What Is Good Design" etwa eine wegweisende Ausstellungsreihe in den vierziger und fünfziger Jahren. Aber die Idee von einer Geschmackserziehung, wie die „Gute Form" in Deutschland, ist in den Vereinigten Staaten im Grunde immer bloß Randphänomen geblieben. Daran haben auch die Vertreter des sogenannten Mid Century Modern nichts ändern können.
Mit Moral hat amerikanische Gestaltung nichts zu tun. Ein Anspruch wie „Schönheit für alle" ist hier fast schon Sozialismus. Verbraucher werden in einzementierter „Free Market"-Ideologie als mündige Wesen verstanden, die selbst am besten beurteilen können, was gut und was schlecht für sie ist. Am Ende entscheiden ohnehin Verkaufszahlen über den Erfolg. Dennoch oder deswegen sieht die amerikanische Alltagswelt oft erstaunlich gestrig-modern aus. Das ist nicht nur der „rusty"-Charme eines in die Jahre gekommenen Industrielooks. Es ist auch so was wie die Zuneigung zum vertrauten Objekt, die den Verbraucher anscheinend nicht selten sich für das entscheiden lässt, was amerikanischen Gewöhnungswert hat. In seltsamer Uniformität findet das Land bei seinen bewährten Gebrauchsoldtimern zusammen. Die alte Idealvorstellung von funktionalen Alltagsgegenständen, die von modischen Geschmacksfragen verschont bleiben, hat sich in der Wegwerfnation Nummer eins an vielen Beispielen durchgesetzt.
Amerikanische Kinder wachsen mit dem Blechwagen von Radio Flyer auf, dem „little red wagon", mit dem schon ihre Großeltern gespielt haben. Der gute alte Blecheimer, in dem Oscar in der „Sesamstraße" hockte, hat auch heute noch unverändert in amerikanischen Haushalten seinen Platz. Genauso die Messbehälter aus Borosilikatglas von Pyrex, die seit den dreißiger Jahren kaum veränderten Haushaltsgeräte von Kitchen Aid, die grüne Stanley Thermoskanne von 1913 oder der rollbare Tritthocker „Kik-Step" von Cramer, der gerade seinen Fünfzigsten hatte.
Die tragbaren Kunststoff-Kühlboxen „Playmate" von Igloo – beliebt wegen ihres patentierten Tent Tops, einem praktisch zur Seite schiebbaren Deckelgriff –, können es in Sachen Berühmtheit bald mit der Coca-Cola Flasche aufnehmen. Die seit den siebziger Jahren angebotenen Kühlboxen sind „Must-have-it" für jeden Amerikaner, mit einer Verbreitung wie früher vielleicht die Apparate der staatlichen Telefongesellschaft. Um all diese gewöhnlichen Dinge des Alltags zu finden, gibt es in Amerika auch nach wie vor die Institution Hardware Store, eine Mischung aus Baumarkt und unseren fast schon ausgestorbenen Eisen- und Haushaltswarenläden. In diesen wie lokale Gemeindetreffpunkte frequentierten Tante-Emma-Läden ist man von Gebrauchsgütern umstellt, die sich seit Jahrzehnten im Kanon der guten Dinge bewähren. Fast schon museumsreif, aber immer noch gebrauchsbereit liegt hier in den Regalen, was die Nation im Alltag irgendwie hervorgebracht hat.
Das Wort Kultur wird für gewöhnliche Gebrauchsgüter dennoch kaum benutzt, höchstens im MoMA oder Cooper-Hewitt Museum in New York. Selbst derzeit boomende Reality-Shows wie „Antiques Roadshow", „American Pickers", oder „Pawn Stars" werden das nicht ändern. Bei „American Pickers" schalten jede Woche über 5,5 Millionen Amerikaner ein, die den beiden Protagonisten zuschauen, wie sie im weißen Transporter durch das weite Land fahren und bei Privatleuten gehortete Schätze der amerikanischen Alltagskultur heben. Wohl kaum ein anderes Land der Welt beherbergt so viele Objekt-Fetischisten wie die Vereinigten Staaten. Eine museale Aufarbeitung der für die weltgrößte Konsumgesellschaft so charakteristischen Alltagskultur wäre zwar aufschlussreich, entspricht aber so gar nicht der üblichen anti-musealen Selbstverständlichkeit. Zwischen Nostalgie und Nüchternheit sieht man die Dinge als das, was sie eben sind: Gebrauchsgüter. Manche verschwinden, andere bleiben. That's live. Jedenfalls in Amerika.