Bauen in historischen Schichten
Ein steiles Glasdach erhebt sich seit kurzem am Frankfurter Römerberg. Es gehört zu einem Umbau des Büros Meixner Schlüter Wendt, im Zuge dessen die Architekten das vormalige Gemeindehaus der Paulsgemeinde zur Nutzung durch die Evangelische Akademie Frankfurt umgestaltet haben. Herzstück der Baumaßnahmen war die Erweiterung und tiefgreifende Renovierung eines Brückenhauses aus den 1950er Jahren, das vis-à-vis des Historischen Museums die Einmündung der Alten Mainzer Gasse überspannt. Das Grundstück liegt im Zentrum der historischen Stadt – zwischen der alten Kaiserpfalz und dem Römer. Vor der Kriegszerstörung stand hier ein eng bebautes Quartier. Davon übrig blieb allein das spätmittelalterliche Haus Wertheym, der einzige Fachwerkbau in der gesamten Frankfurter Altstadt, der die Vernichtung des historischen Stadtkerns überstanden hat und das zur Mainseite hin an die Evangelische Akademie anschließt.
Im Zuge des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das gesamte Gebiet westlich des Fahrtores neu geordnet. Städtische Dichte wich großzügig in Grün eingebetteten modernen Wohnhäusern und großmaßstäblichen Verwaltungsbauten. Nur direkt an der Platzkante zum Römerberg entstanden Bauten, die mit historisierendem Dekoren, Erkern und Gauben das Pittoreske des einstigen Stadtbildes nicht völlig verwerfen mochten.
Das vormalige Gemeindehaus war dagegen ein Bau von großer Sachlichkeit. Weil man die nur schmale Einmündung der Alten Mainzer Gasse auf den Römerberg beim Wiederaufbau verbreitern wollte, entschied man sich, das Gebäude aufzuständern und die Straße unter ihm hindurchzuführen. Den ursprünglichen Zustand, der die Kleinteiligkeit und Enge der Altstadt wieder erlebbar gemacht hätte, konnte man im Zuge des jetzigen Umbaus leider nicht wiederherstellen.
Die Architekten haben die Situation zu ihrem Vorteil genutzt und oberhalb der Straßeneinmündung einen leicht anmutenden Baukörper mit einer gläsernen Außenhaut geschaffen, dem die zierlichen Säulen, die ihn zu tragen scheinen, etwas beinahe Schwereloses geben. Ausgangspunkt für ihren Entwurf war die Notwendigkeit, für die Nutzung als Akademie einen zusätzlichen Saal und Büros zu schaffen. Um Platz für den Saal zu gewinnen, versahen sie den aufgeständerten Teil des Baukörpers mit einem hohen, steilen Satteldach. Der Effekt ist erstaunlich: Durch das neue Dach wird der Brückenbau zu einem eigenständigen, klassisch proportionierten Baukörper – Florian Schlüter spricht von einem Archetyp –, der wie selbstverständlich die Beziehung zu den historischen Teilen der Platzbebauung herstellt. Die Architekten betonen zwar, es sei ihnen bei ihrem Entwurf nicht in erster Linie um eine historisierende Gestaltung gegangen, vielmehr hätten sie dem Baukörper durch das hohe Dach und seiner dadurch gesteigerten räumlichen Präsenz den Charakter des Wohnbaus nehmen und den eines öffentlichen Gebäudes geben wollen. Gleichwohl haben Meixner Schlüter Wendt mit dem Umbau ein weiteres städtebauliches Element geschaffen, das zur besseren Erkennbarkeit des Römerberges als historischem Zentrum der Stadt beiträgt.
Das signifikante Dach in Verbindung mit der vollständigen Verkleidung mit hellem Glas hebt den Brückenbau deutlich von dem Restgebäude ab und hat überdies natürlich thermische Vorteile. Allein der recht wuchtig geratene untere Abschluss zur Durchfahrt, der allerdings auch die großvolumige Regenwasserabführung von der Fassade aufnimmt, mag nicht so recht zur filigranen Gesamterscheinung passen.
Die großen Glasflächen gliedern die Architekten zum einen durch kräftige horizontale Gesimse, die technische wie gestalterische Aufgaben erfüllen. Zum anderen wurde die Fassade partiell weiß bedruckt. Die Bedruckung der Glasflächen nutzen die Architekten dazu, die Struktur des dahinter befindlichen Bestandsbaus auf der neuen Oberfläche abzubilden. Zusätzlich haben sie ein abstrakt ornamentales Muster aus diagonalen Balken und Kreuzen aufbringen lassen, in dem sich typische Schmuckelemente der angrenzenden Nachkriegsbebauung am Römerberg wiedererkennen lassen. Sie lässt aber auch zwangsläufig an die im Zweiten Weltkrieg untergegangene Fachwerkarchitektur des Römerbergs denken. Meixner Schlüter Wendt verwandeln die Glasfassade also gleichsam in eine Art Palimpsest, das mehr oder minder offensichtlich Informationen zur Geschichte des Ortes preisgibt.
Die bedruckte Fassade funktioniert aber nicht nur als Informationsträger, sie vermittelt auch gekonnt zwischen dem Haus Wertheym zur Linken und zur Architektur des Wiederaufbaus zur Rechten der Akademie.
An der Rückseite des umgebauten Bestandsgebäudes schließt ein schmaler, dreistöckiger Bauteil an, der augenscheinlich ebenfalls aus den 1950er Jahren zu stammen scheint. Es handelt sich jedoch um einen Neubau. Da es mit vertretbarem Aufwand nicht möglich war, das vorhandene Gebäude, in dem sich vormals die Pfarrwohnung befand, zu den benötigten Büros umzubauen, entschlossen sich Meixner Schlüter Wendt in diesem Fall zu einem Abriss und der freien Nachschöpfung der alten Fassade. Diese harmoniert zwar gut mit dem angrenzenden Verwaltungsbau aus derselben Epoche. Gleichwohl wurde dort die Chance vergeben, ein wenig des urbanen Gepräges des Römerberges auch in die Neue Mainzer Gasse hinein zu transportieren.