REVIEW – SALONE DEL MOBILE 2023: EUROLUCE
Mailand leuchtete
Plötzlich diese Übersicht! Breite Gänge, die sich fast wie Straßen anfühlen. Ein Rundkurs, der einen wie von selbst an allen Ständen vorbeiführt. Eine Mischung von AusstellerInnen, die einen angenehmen Wechsel von größeren und kleineren Herstellern schafft. Die Euroluce 2023 hat tatsächlich das Versprechen eingelöst, nutzerInnenfreundlicher zu werden. Die Messe für Licht und Beleuchtung des Mailänder Salone del Mobile präsentierte sich vergangene Woche nach vierjähriger Pandemie-Pause erstmals mit neuem Hallenlayout und einer internationalen AusstellerInnenliste. Auch in den Showrooms und Ausstellungen in der Innenstadt war viel Licht zu entdecken, gerade viele der kleineren Marken und Nachwuchstalente präsentierten sich hier. Die Tendenzen bei den Neuheiten gingen – bei aller Vielfalt – in zwei Richtungen: Viele der großen, etablierten Unternehmen haben Systeme neu- oder weiterentwickelt, die mit Schienen, Seilen, Rohren und ähnlichen Strukturen einheitliche Lösungen für die Beleuchtung ermöglichen sollen. Dabei sind aktuelle Technologien wie digitale Steuerung, die Integration in Haustechniksysteme oder veränderbare Lichtfarben selbstverständlich Standard, werden aber gestalterisch nicht nach vorne gespielt. Auch Systemlösungen bieten heue atmosphärisches Licht und eine Auswahl dekorativer Leuchtkörper. Daneben gab es viele Einzelleuchten und Leuchtenfamilien zu sehen, die die sinnlichen Reize des Lichtes voll ausspielten, mit textilen Schirmen, farbigem Glas, extravaganten Designs, besonderen Materialien und Texturen. Neue Fertigungstechnologien stehen dabei gleichberechtigt neben traditionellem Handwerk.
Rundgang mit gutem Gefühl
Verantwortlich für das neue Layout der Stände in den vier Euroluce-Hallen war das Mailänder Architekturbüro Lombardini22. Gemeinsam mit den Verantwortlichen des Salone del Mobile hatten die ArchitektInnen Grundrisse entwickelt, die von den Prinzipien der italienischen Stadtzentren inspiriert sind, wie Nähe und Unregelmäßigkeit. Messe- und Ausstellungslayouts nach dem Vorbild traditioneller urbaner Strukturen zu entwerfen, ist zwar keine neue Idee – aber im Fall der Euroluce 2023 hat sich das Konzept bewährt. Statt des bisherigen starren, orthogonalen Rasters – in den Möbelhallen war es noch in seiner ganzen Unübersichtlichkeit zu bewundern – organisierten Lombardini22 die Stände in den Licht-Hallen jeweils um einen zentralen, ovalen Rundgang. Von dieser "Ringstraße" zweigten kleine "Seitenstraßen" ab, an einigen Stellen weiteten sich die Gänge zu platzartigen Flächen. Die Fluchten der Stände entlang der Gänge waren nicht geradlinig, sondern sprangen leicht vor und zurück. Wen man als BesucherIn einmal den Rundgang absolvierte und dabei auch in jede der Seitenstraßen geschaute hatte, konnte man die Halle mit dem guten Gefühl verlassen, nichts verpasst zu haben – keine Selbstverständlichkeit bei einer Messe! Auch die AusstellerInnen zeigten sich insgesamt zufrieden mit dem neuen Layout und Raumgefühl, auch wenn mancher noch Potenzial beim Zuschnitt der Stände sah. Einige Hersteller folgten dem Aufruf der Messe zu mehr Offenheit und weniger Materialeinsatz und verzichteten auf aufwändig gestaltete Stände, die sich nach außen hin abschotten. Doch längst nicht bei allen ist das neue Denken angekommen: Leider hielten es auch dieses Jahr wieder viele Unternehmen für notwendig, ihre Fläche mit Trockenbauwänden zuzustellen und sie so in veritable Gebäude zu verwandeln. Das ist nicht nur gestalterisch wenig originell – nach sechs Tagen Messe kommt der Bagger und zerkleinert das Ganze für den Abfallcontainer. Wenn das Format Messe wirklich nachhaltiger werden soll, wie es die Verantwortlichen vom Salone del Mobile immer wieder beschwören, dann müssen sie den AusstellerInnen entsprechende Vorschriften machen. Mit Freiwilligkeit alleine klappt es offensichtlich nicht.
Von der Leuchte zum Elektroschrott
Nachhaltigkeit ist auch bei den Leuchten selbst keine leichte Übung. Enthalten die Produkte heute doch anders als früher viele fest verbaute Komponenten – das Leuchtmittel selbst, zudem noch andere technische Bauteile wie Treiber oder Steuerungseinheit. Auch wenn die Hersteller versprechen, dass ihre Produkte dank LED eine lange Lebensdauer haben: Sollte doch mal was kaputtgehen, wird aus so einer Leuchte schnell ein Haufen irreparabler Elektroschrott. Entsprechend ungern sprechen viele Hersteller über dieses Thema. Bei großen Projekten wie Büros, Hotels oder ähnliches gibt es entsprechende Austausch- und Serviceangebote, allerdings keine Option für EndkundInnen. Magnus Wästberg, Gründer und Miteigentümer der gleichnamigen schwedischen Leuchtenmarke, hat dagegen keine Berührungsängste mit dem Thema. Wästberg, so sagte er beim Gespräch am Euroluce-Stand, konstruiere alle Leuchten so, dass sich die Bauteile im Fall der Fälle einfach austauschen lassen. Dass der eigene Nachhaltigkeitsanspruch ernst gemeint ist, zeigten auch die Neuigkeiten zur Euroluce. Das Unternehmen präsentierte nicht nur die neue Leuchten-Familie "w222 Focal" von David Chipperfield, sondern auch runderneuerte Versionen der Produkte "w103 Sempé", "w132 Nendo" und "w227 Winkel". Bereits seit Jahren im Portfolio der Marke, wurden sie jetzt hinsichtlich Effizienz, Lichtqualität und Nachhaltigkeit weiterentwickelt. Die Arbeitsleuchte "w227" von Dirk Winkel gibt es sogar in einem neuen Material, in Aluminium statt Kunststoff. Der Grund: Aluminium lässt sich in Schweden mit grüner Energie und hohem Recyclinganteil produzieren, zudem wird für die Metallversion weniger Material gebraucht.
Das hat System
Eine Lektion haben viele Leuchtenhersteller mittlerweile gelernt: Gutes Licht mag zwar heute viel Technik brauchen, aber es muss deshalb noch lange nicht technisch wirken. Das zeigte sich vor allem bei den Systemen, die ganze Räume und Gebäude mit einer einheitlichen Lösung beleuchten sollen. Etwa das jetzt marktreife, ganz in Weiß gehaltene "Circuit", das der Londoner Designer Michael Anastassiades gemeinsam mit Flos entwickelt hat: Die deckenmontierte Schiene des patentierten Systems besteht aus flexiblen Gummi mit einem dünnen Kupferband für die Stromführung. Entsprechend kann sie gebogen und an die Innenarchitektur angepasst werden. Dazu gibt es eine Reihe unterschiedlicher Leuchtelemente – von der Scheibe über den Spot bis zum Stab. Sie werden mit einem Clip an der Schiene befestigt, eine kleine Kugel nimmt die notwendige Technik auf. Die Elemente sind auch als vom System unabhängige Leuchten erhältlich. Das ist so technisch wie gerade nötig, und so ästhetisch wie nur möglich. Auch bei Artemide stellte man mit "Sylt" von Carlotta de Bevilacqua ein neues System vor: eine Schiene in Form eines schmalen, schwarzen, ebenfalls frei formbaren Bands, das etwas von der Decke abgehängt wird. Mittels eines Adapters können unterschiedliche Leuchten aus dem Artemide-Sortiment darin integriert werden – von der klassischen Kugel bis zu BIGs Lichtröhre "La Linea". Deutlich expressiver ist da "Dreispitz" von Herzog & De Meuron, eine weiteres Projekt von Artemide mit einem namhaften Architekturbüro. Bei "Dreispitz" bildet ein langgezogenes, dreieckiges Modul den Ausgangspunkt für verschiedene Konfigurationen. Es kann schwebend aufgehängt, an der Wand montiert oder mit Fuß als Stehleuchte eingesetzt werden. Vibia aus Barcelona setzt ebenfalls auf das System: Nach Stefan Diez‘ auf einem Textilband basierenden "Plusminus" stellten das Unternehmen auf der Euroluce mit einer Vorschau auf das Konzept "Circus" jetzt eine weitere ganzheitliche Lichtlösung vor. "Circus" baut auf einer Stange auf, die mit Kabeln in verschiedenen Höhen von der Decke abgehängt werden kann. Mit Spots, Kugeln, Röhren, Reflektoren und klassischen Schirmformen gibt es eine ganze Familie von passenden Leuchtkörpern dazu, die von der funktionalen Beleuchtung bis zum atmosphärischen Schein viele Lichtsituationen schaffen können.
Feier des Hier und Jetzt
Während bei den Systemen funktionale und technische Anforderungen dem Gestaltungswillen doch klare Grenzen setzen, sind die Designerinnen und Designer bei den Einzelleuchten in die Vollen gegangen. Ob ornamentales Blech, strukturierte Textilien oder bunt schillerndes Glas: Gestaltung darf durchaus wieder dekorativ und extravagant sein – eine Tendenz, die auch in den benachbarten Hallen beim Möbeldesign auffiel. Nach Jahren der Isolation feiert das Design die Schönheit des Hier und Jetzt. Foscarini etwa zeigte auf der Euroluce "Fregio" von Andrea Anastasio, eine flache, langgestreckte Leuchte mit floralem Keramikrelief. Vibia wiederum lenkte alle Aufmerksamkeit auf "Knit", eine Leuchtenfamilie der deutschen Designerin Meike Harde. Sie formte voluminöse Schirme aus feinem Strick zu Leuchtobjekten mit besonderer Aura. Gestrickt wurde auch beim dänischen Label Made by Hand: Die Pendelleuchte "Flying" aus 3D-Strick sieht aus wie ein beim Landeanflug ins Schlingern geratenes Ufo. Überhaupt Textil: Der gute alte Stoffschirm tauchte in aktualisierter Form an so manchem Stand auf. Bei Ingo Maurer wiederum, von jeher für verspielte, künstlerische Entwürfe bekannt, gab es unter anderem einen Leuchtenschirm aus Mikadostäben zu sehen und ein vielfach verschlungenes, grafisches Gebilde, bei dem die Lichtquelle eher Nebensache ist. Auch das traditionelle Leuchtenmaterial Glas spielte seine Reize mehr denn je aus: auf der Messe bei den großen tschechischen Herstellern wie Lasvit und Brokis genauso wie bei dem kleinen Label Eloa aus Berlin. In der Innenstadt zeigten Bocci mit der Pendelleuchte "118" und Hermès mit der Tischleuchte "Souffle" vom Finnen Harri Koskinen, wie dieses jahrtausendealte Material immer wieder neu zum Strahlen gebracht werden kann.