Magisch einfach
Ettore Sottsass (1917 bis 2007) wäre in diesem Jahr hundert Jahre alt geworden. Grund genug, einen Blick auf die faszinierende Vielfalt der Glas- und Kristall-Arbeiten dieses außergewöhnlichen Architekten und Designers zu werfen. Der Kurator Luca Massimo Barbero hat zu diesem Zweck mehr als 200 zwischen 1947 und 2007 entstandene Glasarbeiten für die Ausstellung „Ettore Sottsass: Il Vetro“ zusammengetragen. Die meisten stammen aus der Ernest Mourmans Collection und viele werden, in einer Ausstellungsarchitektur des Annabelle Selldorf Studios, zum ersten Mal öffentlich gezeigt.
„Unnötig zu sagen“, so Sottsass, „dass man bei Glas auf ein ganzes Universum Jahrhunderte alter Tradition trifft. Man hatte mich für eine der ersten Triennale-Ausstellungen nach dem Krieg gefragt, ob ich ein Glas-Objekt gestalten könnte. Ich erinnere mich, dass wir zu der Zeit Kugeln mit einem Schottenmuster gestaltet haben, in das transparente und dunkle Streifen eingewoben waren. Es war meine erste Erfahrung dieser Art.“
Sottsass hat über die Jahrzehnte hinweg mit so namhaften Glasherstellern wie Vistosi, Toso Vetri d’Arte, Gino Cenedese e Figlio und Venini zusammengearbeitet, wobei er das Können der Glasbläsermeister immer wieder auf eine harte Probe gestellt, Tradition und Handwerk mehr als einmal herausgefordert und bis an die Grenzen des Machbaren getrieben hat. Als er 1974 für Vistosi seine erste Serie konzipierte, konnten von seinen 30 Entwürfen nur zehn umgesetzt werden. Darin steckte auch eine Lehre: Was immer der Designer sich ausdenkt und wie sehr er dabei über eine übliche Bearbeitung des Materials hinauszugehen wünscht, am Ende gehört – und das wusste Sottsass fortan – das fertige Stück ebenso dem, der es gezeichnet, wie dem, der den Entwurf umgesetzt und das fertige Objekt hergestellt hat.
Natürlich verspürte Sottsass nach der Gründung der Memphis-Gruppe 1981 Lust, auch im Medium Glas anders auf das Alltägliche zu blicken, Dinge und Formen neu und überraschend zu kombinieren, wenn nötig gewürzt mit einem Schuss schlechten Geschmacks. Der richtete sich, wie man heute sieht, zwar gegen die Norm, war aber keineswegs so schlecht. Eine Mischung, aus der 1982 in Zusammenarbeit mit den Glasbläsern von Toso Vetri d’Arte weitere, einzigartige Skulpturen hervorgingen – in grellen, auffälligen Farben und Lichtjahre entfernt von jeder Art von Funktionalismus.
Eine besonders außergewöhnliche Serie hat Sottsass 1999 im Auftrag des Scheichs von Katar, Saud Al Thani, für dessen „Millenium House“ in Doha geschaffen. Mit dem Projekt des „Millenium House“ betraut war seinerzeit Arata Isozaki, wobei eine Reihe namhafter Künstler und Designer einbezogen wurden: Achille Castiglioni war für den Fitnessraum zuständig, David Hockney für den Pool, Ron Arad für den Wohn- und Ettore Sottsass für den Empfangsbereich. Die 22 Glas-Skulpturen, die Sottsass für den Scheich entworfen hat, unterscheiden sich schon in ihrer schieren Größe von anderen Arbeiten. Einige der in der Glasfabrik Gino Cenedese e Figlio auf Murano hergestellten Skulpturen sind mehr als einen Meter hoch und werden in Venedig zum ersten Mal ausgestellt.
Glas“, hat Sottsass in einem seiner letzten Interviews bekannt, „ist ein unglaubliches Material, zugleich geheimnisvoll, transparent und zerbrechlich“. Wer all die oft schlanken, zylindrisch wie vielfarbige Totems aufgebauten Stelen, die figurativen Katchinas und all die weißes, transparentes Glas mit Elementen in kräftig leuchtenden Farben kombinierenden Objekte betrachtet, der versteht sofort, weshalb Sottsass von den magischen Eigenschaften des Materials Glas so fasziniert war. Ähnlich wie Keramik, so Sottsass, habe Glas einen ganz eigenen Charakter: „Man weiß nicht wirklich, was in den Schmelzofen geht. Und dann, völlig überraschend, kommt aus dem Feuer ein einfaches Objekt heraus, ein Objekt von großer Reinheit und physischer Nichtgreifbarkeit. Es ist wie eine Vision. Man wird vollständig von der Sache beherrscht, wenn man Glas macht. Glas ist spektakulär.“
Volumen, Licht, Farbe – und vor allem Transparenz, alles das hat Sottsass auch deshalb so interessiert und immer wieder von neuem fasziniert, weil es seiner Auffassung von Raum ebenso entsprach wie seiner Lust, mit Formen und Farben zu experimentieren.
Ettore Sottsass: The Glass
Le Stanze del Vetro
A joint project of Fondazione Giorgio Cini and Pentagram Stiftung
Venedig, San Giorgio Maggiore
bis 30. Juli 2017
www.lestanzedelvetro.org
Bei Skira ist zur Ausstellung ein Catalogue raisonné
von Sottsass’ kompletter Glasproduktion erschienen.