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Es geht auch darum, Licht zu sparen

Im Gespräch: Rogier van der Heide

Rogier van der Heide experimentiert gerne mit Licht und Leuchten. Foto © Zumtobel Group

Der Lichtdesigner Rogier van der Heide hat einiges zum Leuchten gebracht. Zum Beispiel das „Vogelnest“ genannte Nationalstadion in Peking von Herzog De Meuron, MVRDVs Bibliothek in Spijkenisse, das Neue Rijksmuseum, das Stedelijk Museum, die Kostüme der Band „Black Eyed Peas“ und zahlreiche Louis Vuitton Shops. Das Magazin „Metropolis“ nannte den vielfach ausgezeichneten Lichtdesigner einen „brilliant Master of Light“. Seit Dezember 2014 ist van der Heide „Chief Design Officer“ der Zumtobel Group – kurz CDO. Dass ihn Zumtobel von Philips nach Vorarlberg geholt hat, ist ein Signal an die Branche: Hier sollen neue Entwicklungen in Sachen Licht entstehen. Wie also geht es weiter in der Branche? Was entsteht mittels LED-Technologie? Und was kommt danach? Adeline Seidel hat mit dem von Licht begeisterten Designer gesprochen.


Adeline Seidel: Herr van der Heide, die LED-Technologie hat zu immensen Veränderungen innerhalb die Lichtbranche geführt. Was kommt als Nächstes? Was wird die Branche in den kommenden Jahren verändern?

Rogier van der Heide: Sagen wir mal so: Noch vor ein paar Jahren war die Lichtbranche zu 100 Prozent ein analoges Geschäft. Heute arbeiten wir bereits zu rund 60 Prozent mit digitalen Technologien. Das, was die Lichtbranche durchlebt, ist vergleichbar mit dem, was die Fotografie und die Fotobranche mit der Entwicklung der Digitalkamera erfahren hat. Der Einzug der neuen Technologie hat alles verändert, auch die Arbeit des Fotografen. Er kann sofort sehen, was er getan hat, die Feedbackschleifen sind wesentlich kürzer, die Möglichkeiten der Bildbearbeitung und der Weiterverarbeitung der Bilder fast grenzenlos. Überträgt man diese Entwicklungen auf die Arbeit von Lichtspezialisten, dann kann man sich gut vorstellen, wie dramatisch die Veränderungen für die Branche bereits sind und noch sein werden.

Was heißt das konkret?

Rogier van der Heide: Nun, man kann die Funktionen von Leuchten und von Licht vollkommen neu denken. Leuchten werden beispielsweise zusätzliche Funktionen erhalten und damit weitere Nutzungsmöglichkeit bieten. Dazu braucht es nicht viel: Leuchten könnten uns mitteilen, wie viele Personen sich gerade in einem Raum befinden und auf deren Aktivität reagieren. Licht passt sich also Rahmenbedingungen flexibler an – oder es verhält sich je nach Bedarf und Einsatzgebiet auch proaktiv. Man denke nur an eine vielbefahrene Straße, deren Straßenbeleuchtung dann heller wird, wenn viele Autofahrer und Fußgänger unterwegs sind – und wieder abdunkelt, wenn weniger Fluktuation herrscht. Das wird die Sicherheit für die Verkehrsteilnehmer erhöhen; und gleichzeitig haben auch die Anwohner etwas davon, wenn die Straße vor dem Fenster nicht permanent hell erleuchtet ist.

In Kopenhagen messen Sensoren in den Leuchten "Thor" der Schwesternmarke Thorn den CO2-Gehalt in der Luft. Foto © Zumtobel Group

Welche Szenarien ergeben sich daraus für die Architektur?

Rogier van der Heide: Hier steckt meiner Meinung nach eines der größten Entwicklungspotentiale für ein Unternehmen wie Zumtobel. Auch, wenn heute die Technologiedichte in Gebäuden extrem hoch ist: Nichts ist weiter verbreitet als Licht! Alle zwei, drei Meter gibt es eine Leuchte. Es gibt also ein wirklich dichtes Netz, mit dem sich auch andere Nutzungen abdecken lassen. Warum messen Sensoren in Leuchten nicht den CO2-Gehalt, worüber dann die Frischluftzufuhr gesteuert werden kann? Das wäre nur ein kleiner Zusatznutzen, den man leicht implementieren könnte – und nur einer von vielen. Übrigens ist diese Funktion bereits in einer sehr wegweisenden Straßenbeleuchtung in Kopenhagen enthalten, die unsere Schwestermarke Thorn installiert hat. Was mich als Designer mit am meisten fasziniert, ist, wie die digitalen Technologien es Designern ermöglichen, mit Licht zu arbeiten. Die Lichtquelle ist so unglaublich klein geworden – ein paar Quadratmillimeter spenden so viel Licht … Und das wiederum bietet so viele Entfaltungssmöglichkeiten, die wir als Unternehmen anbieten sollten.

Würden Sie beispielsweise eine Open-Source-Plattform aufbauen, auf der das Unternehmen gemeinsam mit Lichtplanern Entwicklungen vorantreiben könnte?

Rogier van der Heide: Nun, noch sind wir nicht ganz an diesem Punkt. (lacht) Aber wir gehen in diese Richtung. Schließlich geht es darum, unsere Hardware mit anderen Systemen zu verbinden und zu integrieren. Das Wichtigste dabei ist: Wie erreichen wir damit etwas, dass tatsächlich relevant ist – für Designer, Architekten, Nutzer, Elektriker, Installateure? Wenn man nur in Technologie investiert, dann vergisst man das allzu oft. Sicher, wir sind technisch absolut top und gehören aufgrund unserer Größe und unserer Ambitionen zu den Innovatoren der Branche. Aber: Mit Technologie muss man auch etwas Bedeutungsvolles schaffen!

Was zum Beispiel wäre das?

Rogier van der Heide: Lichtverschmutzung ist eines der wichtigsten Themen – meiner Meinung nach. Und als Leuchtenhersteller müssen wir die allergrößte Verantwortung übernehmen. Es geht nicht nur darum, Energie zu sparen, es geht auch darum, Licht zu sparen! Ein Großteil des Lichtes streut ja dorthin, wo der Ingenieur es eigentlich nicht haben will – und bisher konnte man das kaum ändern. Genau wie dieses Sodium-Licht, von dessen Gelb ganz Europa bedeckt wurde. Mit den LED-Technologien ist es nun möglich, Leuchten zum einen kleiner und präziser zu gestalten, und zum anderen Licht dank besserer optischer Systeme konzentrierter und stärker gerichtet abstrahlen zu lassen. Damit kann man die Lichtverschmutzung wesentlich minimieren.

Links: Mit dem Lichtplaner Dieter Bartenbach wurde das „Supersystem“ für den Außenbereich weiterentwickelt. Foto © Zumtobel Group
Rechts: In Zusammenarbeit mit Ben van Berkel / UNStudio hat Zumtobel das neue, modulare LED-Außenleuchtenprogramm „Nightsight“ entwickelt. Foto © Zumtobel Group

Etwa so wie bei dem Projekt in Lech am Arlberg?

Rogier van der Heide: Mit Lech am Arlberg haben wir als Zumtobel in enger Zusammenarbeit mit dem Lichtplaner Dieter Bartenbach das „Supersystem“ für den Außenbereich weiterentwickelt und konnten dadurch einen Ort ganz anders beleuchten. Schauen Sie es sich an. Dieses Projekt verdeutlicht auch, wie sich unsere Rolle als Hersteller wandelt: Zumtobel wird immer mehr zu einem Partner, der gemeinsam mit dem Kunden Lösungen entwickelt. Das stellen wir nun aktuell wieder mit der Zusammenarbeit mit Ben van Berkel / UNStudio unter Beweis, mit denen wir das neue, modulare Zumtobel LED-Außenleuchtenprogramm „Nightsight“ entwickelt haben. Wir lernen von unseren Partnern so viel, wenn wir gemeinsam mit ihnen und anhand eines Projekts unsere Produkte weiterentwickeln. Für mich ist das eine große Bereicherung und eine große Freude!

Schauen Sie auch auf Lichtlösungen in anderen Branchen, beispielsweise bei Automobilen, um neue Technologien für eigene Produkte nutzbar zu machen?

Rogier van der Heide: Das ist ein guter Punkt. Ich bin fasziniert von der Autoindustrie. Denn was die machen, ist, dass sie integrieren. Ein Scheinwerferlicht ist ein großartiges Stück Ingenieurskunst, weil die optischen Komponenten – das Cover, der Körper und die Lichtquelle – wirklich zu einem Produkt verschmelzen, das bestens funktioniert. Davon können wir einiges lernen. Auch dahingehend, wie sie das Licht selbst über eine entsprechende Software steuern und unterschiedlichste Funktionen in diesem einen Baustein zusammenfassen können.

Wie geht man damit um, dass das Produkt, das man herstellt, eigentlich nicht sichtbar ist? Und wie vermarket man so etwas?

Rogier van der Heide: Klar, unser Produkt ist an erster Stelle das Licht an sich. Es geht also darum, den Markt so zu verstehen, dass wir ein Bedürnis erfüllen können – oder ein Bedürfnis erzeugen. Ich meine, als das IPad vorgestellt wurde, haben ja auch alle gerufen, das könne keiner gebrauchen, weil die Tastatur fehle – und heute hat fast jeder eines. Solche unbekannten Bedürfnisse gilt es auch in Sachen Licht zu identifizieren und bereits vorhandene Technologien neu zu konfigurieren. Wir haben eine Roadmap, die uns hilft, auf Kurs zu bleiben. Und am Ende des Tags bringen wir dem Kunden ein Produkt, das vielleicht in der Decke oder in der Wand verschwindet, aber das ist nicht weiter tragisch, denn das Produkt ist ein Ermöglicher, ein Enabler für eine Erfahrung. Das ist viel wichtiger. In der Vergangenheit war die Lichttechnologie dazu bestimmt, 400 Lux am Arbeitsplatz zu erreichen, mit 50 Lux eine Fotografie in einem Museum zu beleuchten, 1.200 Lux im Supermarkt zu schaffen – und das war’s dann. Und so war es auch im Lichtplan beschrieben. Heute kann man das nicht mehr so einfach benennen und einzeichnen – und fertig. Gut, kann man schon, macht aber keinen Sinn. Denn mit den neuen digitalen Technologien ergeben sich für den Architekten ganz neue Möglichkeiten. Licht bekommt eine neue Bedeutung. Stellen Sie sich vor, gutes Licht ist ein ebenso bedeutungsvoller Umweltfaktor wie frische Luft oder frisches Wasser …

Und was ist „gutes Licht“?

Rogier van der Heide: Genau das sollten wir uns immer wieder fragen. (lacht) Was ist gutes Licht – und wie können wir das liefern? Wir machen so viel mehr als nur das Büro oder das Haus zu erhellen! Und das passt ja auch zu unserem Mission-Statement: „We take Lighting beyond Illumination“. Das sind natürlich erst einmal nur Worte, aber, wenn man sie ernst nimmt – und ich nehme sie ernst – bedeutet das, dass sie deine Neugierde wecken und du eben hinter die Beleuchtung als einfaches Produkt schaust. Was wiederum mit sich bringt, dass du dich öffnest und mit anderen Disziplinen zusammenarbeitest – mit Ärzten, Modedesignern, Lehrern und so weiter. Nur so beginnen wir zu verstehen, wie wir mehr mit Licht erreichen können. Bisher haben wir nur an der Oberfläche gekratzt.

www.zumtobelgroup.com
www.rogiervanderheide.com

Das nächtliche Ortsbild von Lech am Artberg mit seinen typischen Elementen wird durch eine akzentuierende LED-Beleuchtung bewusst in Szene gesetzt. Foto © Zumtobel Group
Die speziell gefertigte Leuchte löst die Lichtintensität auf mehrere LED-Punkte auf, wodurch Passanten kaum noch geblendet werden. Zudem strahlt das Licht deutlich präziser und gerichteter als früher. Dies wird durch eine exakte Fräsung der LED-Lichtpunkte erreicht. Foto © Zumtobel Group