Es braucht Gelegenheiten, um Neues zu schaffen
IM GESPRÄCH: TOBIA SCARPA
24.01.2014
24.01.2014
Historischer Moment: Tobia Scarpa bei der Präsentation der Simon-Collezione im Cassina-Showroom in Köln. Foto © Martina Metzner, Stylepark
Thomas Edelmann: Ihr Werk – Architektur und Design – war vor zehn Jahren sehr präsent. Heute, in digitalen Zeiten, finden sich im Internet nur noch Spuren, oft bei Vintage-Möbelhändlern und Auktionshäusern. Ein Beispiel für die digitale Amnesie unserer Zeit?
Tobia Scarpa: Architektonische Werke und solche der Literatur brauchen Zeit, um verstanden zu werden, ganz abgesehen von einem schnellen Erfolg. Deswegen bin ich bin sehr zufrieden mit meiner Arbeit. Aber ich kann daraus keine Ansprüche ableiten. Meine Lebenserfahrung könnte man auch als unerträgliche Arroganz bezeichnen. Vor fünfzig Jahren hätte ich so etwas nicht gesagt. Damals war ich knapp 30 Jahre alt und dachte, dass ich alles könnte. Man braucht ein wenig Bescheidenheit: Was ich machte, hat geklappt. Die Sachen waren alle erfolgreich.
Tobia Scarpa: Architektonische Werke und solche der Literatur brauchen Zeit, um verstanden zu werden, ganz abgesehen von einem schnellen Erfolg. Deswegen bin ich bin sehr zufrieden mit meiner Arbeit. Aber ich kann daraus keine Ansprüche ableiten. Meine Lebenserfahrung könnte man auch als unerträgliche Arroganz bezeichnen. Vor fünfzig Jahren hätte ich so etwas nicht gesagt. Damals war ich knapp 30 Jahre alt und dachte, dass ich alles könnte. Man braucht ein wenig Bescheidenheit: Was ich machte, hat geklappt. Die Sachen waren alle erfolgreich.
Esstisch „Doge” von Carlo Scarpa, Produktionsjahr:1968. Foto © Cassina SimonCollezione
Der Sohn und sein Vater: Tobia Scarpa (links) und Carlo Scarpa (rechts). Foto © Cassina SimonCollezione
Aus heutiger Sicht, war vieles davon Pionierarbeit…
Scarpa: Nun, das ist einfach, wenn es die Sachen zuvor noch nicht gibt. Wenn sich Gelegenheiten bieten, muss sich etwas am Bestehenden, an der Tradition ändern. Vielleicht bietet die Technologie künftig andere Möglichkeiten. Ich denke da etwa an die Energie. Unsere Gesellschaft kann sich nicht erneuern, wenn es ihr nicht gelingt, eine neue Energiequelle zu finden. Das ist Voraussetzung für den Wandel.
Warum ist das heute so kompliziert?
Scarpa: Als wir nach dem Krieg zu arbeiten begannen, war es einfach neue Sachen zu schaffen. Man musste nur eine Idee haben, sie korrigieren, sich mit dem Gebrauch und den Techniken der Umsetzung beschäftigen. Auch ein paar weitere Fähigkeiten waren nötig, etwa ein Projekt zu verkaufen und zu vermarkten. Dann funktionierte alles, einfach weil es zuvor nichts gab. Heute dagegen ist es sehr schwierig Neues zu schaffen. Schon damals nahmen wir auf die Ideen großer Meister wie Le Corbusier oder Gunnar Asplund Bezug, da sie eine richtige Form vorgegeben hatten. Was damals noch fehlte, konnte man ergänzen.
Vor einiger Zeit sagten Sie, "was hätte ich anderes machen sollen, als Architektur?"
Scarpa: Ja, natürlich. Als ich geboren wurde, hat mich mein Vater Carlo Scarpa in den Arm genommen und mich dann nie wieder losgelassen. Als ich in der Grundschule war, spielten wir, wer mit dem kürzeren Bleistift zeichnen konnte. Wir sind beide Linkshänder. Ich ging mit meinem Vater auf die Baustellen, wo ich im Lauf der Zeit lernte architektonische Probleme intuitiv zu erfassen. Im Vergleich wie man den Beruf heute erlernt, bin ich ein bisschen wie ein alter Maurer, der viele Bücher gelesen hat und deshalb so tut, als wäre er ein Intellektueller.
Scarpa: Nun, das ist einfach, wenn es die Sachen zuvor noch nicht gibt. Wenn sich Gelegenheiten bieten, muss sich etwas am Bestehenden, an der Tradition ändern. Vielleicht bietet die Technologie künftig andere Möglichkeiten. Ich denke da etwa an die Energie. Unsere Gesellschaft kann sich nicht erneuern, wenn es ihr nicht gelingt, eine neue Energiequelle zu finden. Das ist Voraussetzung für den Wandel.
Warum ist das heute so kompliziert?
Scarpa: Als wir nach dem Krieg zu arbeiten begannen, war es einfach neue Sachen zu schaffen. Man musste nur eine Idee haben, sie korrigieren, sich mit dem Gebrauch und den Techniken der Umsetzung beschäftigen. Auch ein paar weitere Fähigkeiten waren nötig, etwa ein Projekt zu verkaufen und zu vermarkten. Dann funktionierte alles, einfach weil es zuvor nichts gab. Heute dagegen ist es sehr schwierig Neues zu schaffen. Schon damals nahmen wir auf die Ideen großer Meister wie Le Corbusier oder Gunnar Asplund Bezug, da sie eine richtige Form vorgegeben hatten. Was damals noch fehlte, konnte man ergänzen.
Vor einiger Zeit sagten Sie, "was hätte ich anderes machen sollen, als Architektur?"
Scarpa: Ja, natürlich. Als ich geboren wurde, hat mich mein Vater Carlo Scarpa in den Arm genommen und mich dann nie wieder losgelassen. Als ich in der Grundschule war, spielten wir, wer mit dem kürzeren Bleistift zeichnen konnte. Wir sind beide Linkshänder. Ich ging mit meinem Vater auf die Baustellen, wo ich im Lauf der Zeit lernte architektonische Probleme intuitiv zu erfassen. Im Vergleich wie man den Beruf heute erlernt, bin ich ein bisschen wie ein alter Maurer, der viele Bücher gelesen hat und deshalb so tut, als wäre er ein Intellektueller.
Bett „Vanessa” von Tobia Scarpa, Produktionsjahr: 1959/2005. Foto © Cassina SimonCollezione
Heute wird die Kollektion "Simon", die seit vergangenem Jahr zu Cassina gehört, neu vorgestellt. Können Sie sich an die Anfänge erinnern?
Scarpa:Es begann Anfang der sechziger Jahre. Ich hatte den Stuhl "Pigreco" entworfen, der auf der XII. Triennale in Mailand ausgestellt wurde. Dadurch kam ich in Kontakt mit der Welt des italienischen und internationalen Designs. So lernte ich etwa Giacomo und Achille Castiglioni kennen und auch Dino Gavina. Dieser lud mich zu einem Besuch ein und bat mich, ein Sofa für ihn zu entwerfen. Mein Vater hat meinen Entwurf etwas korrigiert, wir kehrten dann aber zum Original zurück, das später als Modell "Bastiano" verkauft wurde.
Was bedeutet es für Sie, diese Kollektion wieder in einem neuen Kontext zu sehen?
Scarpa: Mein Vater wünschte sich sein ganzes Leben lang, für seine Arbeit Anerkennung zu finden. Seine Werke und die der gesamten "Simon"-Kollektion finden jetzt ein neues Publikum. Man muss sein Werk am Leben erhalten. Dino Gavina war eine herausragende Persönlichkeit, die mit Künstlern, Architekten und Designern in Verbindung stand. Er hat gute Entscheidungen für sein Programm getroffen. Er war weniger gut darin, ein Unternehmen zu führen. Ich hoffe, dass die Objekte heute wieder begeistern können. Es hat noch immer eine große Frische und Qualität. Junge Menschen sehen das. Es kostet ein bisschen, das ist unvermeidlich. Wenn die Arbeit meines Vaters einem Unternehmen wie Cassina und der Poltrona Frau-Gruppe wichtig ist, sollte es dabei auch um Kultur gehen. Was Dino Gavina und Cesare Cassina ab den 1960er entwickelten, ist Bestandteil des italienischen Möbeldesigns. Manche historischen Produkte sind wieder auf dem Markt. Sie kommen und gehen. Ihre Vitalität beruht auf der Frische und Ehrlichkeit der ursprünglichen Projekte.
Scarpa:Es begann Anfang der sechziger Jahre. Ich hatte den Stuhl "Pigreco" entworfen, der auf der XII. Triennale in Mailand ausgestellt wurde. Dadurch kam ich in Kontakt mit der Welt des italienischen und internationalen Designs. So lernte ich etwa Giacomo und Achille Castiglioni kennen und auch Dino Gavina. Dieser lud mich zu einem Besuch ein und bat mich, ein Sofa für ihn zu entwerfen. Mein Vater hat meinen Entwurf etwas korrigiert, wir kehrten dann aber zum Original zurück, das später als Modell "Bastiano" verkauft wurde.
Was bedeutet es für Sie, diese Kollektion wieder in einem neuen Kontext zu sehen?
Scarpa: Mein Vater wünschte sich sein ganzes Leben lang, für seine Arbeit Anerkennung zu finden. Seine Werke und die der gesamten "Simon"-Kollektion finden jetzt ein neues Publikum. Man muss sein Werk am Leben erhalten. Dino Gavina war eine herausragende Persönlichkeit, die mit Künstlern, Architekten und Designern in Verbindung stand. Er hat gute Entscheidungen für sein Programm getroffen. Er war weniger gut darin, ein Unternehmen zu führen. Ich hoffe, dass die Objekte heute wieder begeistern können. Es hat noch immer eine große Frische und Qualität. Junge Menschen sehen das. Es kostet ein bisschen, das ist unvermeidlich. Wenn die Arbeit meines Vaters einem Unternehmen wie Cassina und der Poltrona Frau-Gruppe wichtig ist, sollte es dabei auch um Kultur gehen. Was Dino Gavina und Cesare Cassina ab den 1960er entwickelten, ist Bestandteil des italienischen Möbeldesigns. Manche historischen Produkte sind wieder auf dem Markt. Sie kommen und gehen. Ihre Vitalität beruht auf der Frische und Ehrlichkeit der ursprünglichen Projekte.
Links: Dino Gavina (links), Man Ray (Mitte) und Juliette Browner (rechts) bei einer Präsentation im Centre Duchamp (1969). Foto © F. De Col Tana
Rechts: Dino Gavina (links), Marcel Breuer (Mitte) und Maria Simoncini (rechts) in Bologna (1963). Foto © Walter Breviglieri
Rechts: Dino Gavina (links), Marcel Breuer (Mitte) und Maria Simoncini (rechts) in Bologna (1963). Foto © Walter Breviglieri
Was vermissen Sie beim gegenwärtigen Design?
Scarpa: Es braucht Gelegenheiten, Neues zu schaffen. Gelegenheiten zu neuen Vorschlägen für einen veränderten Markt, als wir ihn uns heute vorstellen können. Heute gibt es eine starke soziale Schicht, die zur Selbstdarstellung drängt. Das widerspricht den Prinzipien des Designs, der Seele der "progettazione industriale", der Entwicklung von Projekten und Produkten, die mitunter etwas Herausforderndes haben. Stattdessen geht es vor allem um Mode, um Selbstdarstellung. Man denke an Taschen von Louis Vuitton. Ich weiß nicht, wie das in Deutschland ist, aber in Italien gibt es keine Frau, die nicht eine dieser Taschen besitzen möchte. Ganz gleich, ob die Taschen nun echt oder falsch sind. Originalität spielt keine Rolle mehr. Das ist eine Gefahr für die originalen Objekte und Ideen, die einen Raum brauchen, in dem man sie identifizieren und sich mit ihnen beschäftigen kann.
Sie haben lange mit ihrer Frau Afra Scarpa zusammen gearbeitet, sie starb 2011. Kann man diese lebenslange Arbeitsbeziehung mit der Zusammenarbeit mit der ihres Vaters vergleichen?
Scarpa: Mit Afra arbeitete ich seit dem Studium zusammen. Dagegen habe ich mit meinem Vater nie gemeinsam gearbeitet, ich habe ihm geholfen und für ihn gearbeitet. In einigen seiner Architekturprojekte gibt es Dinge, die ich geplant habe. Aber ich sehe nicht, warum ich sagen sollte: "Nein, das habe ich gemacht". Es ist schon richtig nach dem Beitrag des Einzelnen zu fragen. Wenn es um den Fortgang eines Projektes ging, war der Dialog mit meiner Frau von entscheidender Bedeutung. Durch ihre Antworten hat sie die Grundlagen des Projektes erweitert, manchmal geschah das im Gespräch, dann wieder mittels einer Zeichnung. Der Dialog war für uns beide eine große Bereicherung. Ich danke Gott dafür, wenn ein Projekt nicht abgelehnt, aber wenn eine Änderung gefordert wird. Das weckt meine Lebensgeister. Oft werden gerade die Elemente eines Entwurfs, die man zunächst unterbewertet hat, durch die Überarbeitung besonders komplex. Gelingt es, sie harmonisch miteinander zu verbinden, wird der poetische Ausdruck des gesamten Werkes wesentlich reichhaltiger. Das weiß ich aber noch nicht zu Beginn. Dazu bedarf es der Herausforderung durch andere. Das Entwerfen selbst ist ja eher eine Geste, ein Gedanke des Augenblicks als ein rationales Abwägen. Keineswegs trivial ist dann die tägliche Arbeit, die Konkretisierung des Entwurfs. Dadurch wird er rational eingegrenzt. Was man rational nicht eingrenzen kann, ist das Unbekannte. Etwa, wenn man etwas zeichnet. Mit dem Bleistift kann man ein hässliches oder ein schönes Zeichen erschaffen. Der Unterschied zwischen diesen beiden Momenten besteht darin, dass einem das schöne Zeichen wenigstens für einen halben Tag glücklich machen kann.
Scarpa: Es braucht Gelegenheiten, Neues zu schaffen. Gelegenheiten zu neuen Vorschlägen für einen veränderten Markt, als wir ihn uns heute vorstellen können. Heute gibt es eine starke soziale Schicht, die zur Selbstdarstellung drängt. Das widerspricht den Prinzipien des Designs, der Seele der "progettazione industriale", der Entwicklung von Projekten und Produkten, die mitunter etwas Herausforderndes haben. Stattdessen geht es vor allem um Mode, um Selbstdarstellung. Man denke an Taschen von Louis Vuitton. Ich weiß nicht, wie das in Deutschland ist, aber in Italien gibt es keine Frau, die nicht eine dieser Taschen besitzen möchte. Ganz gleich, ob die Taschen nun echt oder falsch sind. Originalität spielt keine Rolle mehr. Das ist eine Gefahr für die originalen Objekte und Ideen, die einen Raum brauchen, in dem man sie identifizieren und sich mit ihnen beschäftigen kann.
Sie haben lange mit ihrer Frau Afra Scarpa zusammen gearbeitet, sie starb 2011. Kann man diese lebenslange Arbeitsbeziehung mit der Zusammenarbeit mit der ihres Vaters vergleichen?
Scarpa: Mit Afra arbeitete ich seit dem Studium zusammen. Dagegen habe ich mit meinem Vater nie gemeinsam gearbeitet, ich habe ihm geholfen und für ihn gearbeitet. In einigen seiner Architekturprojekte gibt es Dinge, die ich geplant habe. Aber ich sehe nicht, warum ich sagen sollte: "Nein, das habe ich gemacht". Es ist schon richtig nach dem Beitrag des Einzelnen zu fragen. Wenn es um den Fortgang eines Projektes ging, war der Dialog mit meiner Frau von entscheidender Bedeutung. Durch ihre Antworten hat sie die Grundlagen des Projektes erweitert, manchmal geschah das im Gespräch, dann wieder mittels einer Zeichnung. Der Dialog war für uns beide eine große Bereicherung. Ich danke Gott dafür, wenn ein Projekt nicht abgelehnt, aber wenn eine Änderung gefordert wird. Das weckt meine Lebensgeister. Oft werden gerade die Elemente eines Entwurfs, die man zunächst unterbewertet hat, durch die Überarbeitung besonders komplex. Gelingt es, sie harmonisch miteinander zu verbinden, wird der poetische Ausdruck des gesamten Werkes wesentlich reichhaltiger. Das weiß ich aber noch nicht zu Beginn. Dazu bedarf es der Herausforderung durch andere. Das Entwerfen selbst ist ja eher eine Geste, ein Gedanke des Augenblicks als ein rationales Abwägen. Keineswegs trivial ist dann die tägliche Arbeit, die Konkretisierung des Entwurfs. Dadurch wird er rational eingegrenzt. Was man rational nicht eingrenzen kann, ist das Unbekannte. Etwa, wenn man etwas zeichnet. Mit dem Bleistift kann man ein hässliches oder ein schönes Zeichen erschaffen. Der Unterschied zwischen diesen beiden Momenten besteht darin, dass einem das schöne Zeichen wenigstens für einen halben Tag glücklich machen kann.
Tisch „Delfi“ von Marcel Breuer und Carlo Scarpa, Produktionsjahr: 1969 (2009 eine „verbesserte“ Version von Tobia Scarpa). Foto © Cassina SimonCollezione
Sie sprachen von den Problemen, heute noch neue Projekte zu entwickeln, Gelegenheiten für Neues zu finden. Beobachten Sie die aktuelle Entwicklung im Detail?
Scarpa: Nein, mich interessiert nicht so sehr, was die anderen machen. Ich lese keine Zeitschriften. Vielleicht könnte ich versehentlich auch etwas kopieren, weil ich gar nicht wüsste, dass es kopiert ist. So etwas passiert. Wissen Sie, wie man Mayonnaise macht? Gibt man die Zutaten nicht langsam hinzu, bricht die Emulsion. Ich sehe die Situation so, dass die Welt heute in große Schichten von Mayonnaise geteilt ist. Nach dem Krieg gab es wenig sichtbare Unterschiede zwischen den sozialen Schichten. Die Möglichkeiten Produkte zu beziehen, waren gleichmäßig. Man ging einfach ins Geschäft. Vielleicht war die Schule, jedenfalls in Italien, früher ein bisschen seriöser. Heute ist die Ausbildung verteilter, es gibt verschiedenste Medien und Informationskanäle. Man kann auf viele Weisen verstehen, welche Werte unsere Gesellschaft hat. Doch diese Werte werden kulturell nicht mehr interpretiert.
Welche Konsequenzen hat das?
Scarpa: Design entstand, als die Menschen vom Land in die Stadt zogen. Es war die Zeit eines grundlegenden wirtschaftlichen Wandels. Man dachte nicht nur an sich selbst, sondern auch an die anderen. Man überlegte, warum soll man mit einem alten Löffel essen? Wir schaffen jetzt einen schönen Löffel. So entstand das Bauhaus, so entstanden Leitlinien des Designs. Den Sinn dieser Lehre hat man im Laufe der Zeit vergessen. Ich bin dagegen, Design als Mode zu interpretieren, auch wenn ich verstehe, dass es ein nützliches Instrument sein kann. Eine gestaltete Gesellschaft wie die unsere zu korrigieren, ist fast unmöglich. Das sollte einen aber nicht daran hindern, die richtigen Dinge zu tun. Es ist bloß schwierig, das im eigenen Stück Mayonnaise zu realisieren.
Italienisches Design ist von Strömungen und Gruppen charakterisiert. Sie haben sich an diesen Formationen nie beteiligt. Weshalb?
Scarpa: Nein, überhaupt nicht. Ich habe mich davon ausgeschlossen. Ich spiele frei.
Welche Projekte haben Sie in letzter Zeit realisiert?
Scarpa: Vor wenigen Tagen wurde in Venedig mein jüngstes Werk eingeweiht: Die Restaurierung der Galerie dell'Accademia, nach 14 Jahren! Es war ein Auftrag des Staates und brauchte wegen bürokratischer Hürden entsprechend lange. Mein Auftrag umfasste nicht nur die Neugestaltung der Räume, sondern auch Designobjekte. Zum Beispiel neue Leuchten für die Gemälde. Und das ist schwer zu begreifen. Eigentlich ist es einfach, bei mir hat es lange gedauert. Wir wollten Tageslicht im Museum erzeugen. Wir entschieden uns für parallel strahlende, kohärente Leuchten mit einem engen Abstrahlwinkel. Das versteht kein Mensch, aber nun sieht man auf den Gemälden die Pinselstriche, die 500 Jahre alt sind und aussehen als wären sie eben erst gemalt worden. Es sind konventionelle Lampen, keine LEDs. Die verbrauchen zwar nicht viel Strom, haben aber eine begrenzte Lebensdauer. Und noch findet man mit den Leuchtdioden keine entsprechende Lösung, um eine aktuelle Frage des Designs anzusprechen. Als Architekt habe ich einfach meine Arbeit gemacht. Wir haben neue Fußböden entwickelt, damit sie keine chromatischen Abstrahlungen haben. Vielleicht sind das kleine Dummheiten, Nebensächlichkeiten. Aber mir ist es wichtig, dass die Dinge gut gemacht sind.
www.simoncollezione.com
Scarpa: Nein, mich interessiert nicht so sehr, was die anderen machen. Ich lese keine Zeitschriften. Vielleicht könnte ich versehentlich auch etwas kopieren, weil ich gar nicht wüsste, dass es kopiert ist. So etwas passiert. Wissen Sie, wie man Mayonnaise macht? Gibt man die Zutaten nicht langsam hinzu, bricht die Emulsion. Ich sehe die Situation so, dass die Welt heute in große Schichten von Mayonnaise geteilt ist. Nach dem Krieg gab es wenig sichtbare Unterschiede zwischen den sozialen Schichten. Die Möglichkeiten Produkte zu beziehen, waren gleichmäßig. Man ging einfach ins Geschäft. Vielleicht war die Schule, jedenfalls in Italien, früher ein bisschen seriöser. Heute ist die Ausbildung verteilter, es gibt verschiedenste Medien und Informationskanäle. Man kann auf viele Weisen verstehen, welche Werte unsere Gesellschaft hat. Doch diese Werte werden kulturell nicht mehr interpretiert.
Welche Konsequenzen hat das?
Scarpa: Design entstand, als die Menschen vom Land in die Stadt zogen. Es war die Zeit eines grundlegenden wirtschaftlichen Wandels. Man dachte nicht nur an sich selbst, sondern auch an die anderen. Man überlegte, warum soll man mit einem alten Löffel essen? Wir schaffen jetzt einen schönen Löffel. So entstand das Bauhaus, so entstanden Leitlinien des Designs. Den Sinn dieser Lehre hat man im Laufe der Zeit vergessen. Ich bin dagegen, Design als Mode zu interpretieren, auch wenn ich verstehe, dass es ein nützliches Instrument sein kann. Eine gestaltete Gesellschaft wie die unsere zu korrigieren, ist fast unmöglich. Das sollte einen aber nicht daran hindern, die richtigen Dinge zu tun. Es ist bloß schwierig, das im eigenen Stück Mayonnaise zu realisieren.
Italienisches Design ist von Strömungen und Gruppen charakterisiert. Sie haben sich an diesen Formationen nie beteiligt. Weshalb?
Scarpa: Nein, überhaupt nicht. Ich habe mich davon ausgeschlossen. Ich spiele frei.
Welche Projekte haben Sie in letzter Zeit realisiert?
Scarpa: Vor wenigen Tagen wurde in Venedig mein jüngstes Werk eingeweiht: Die Restaurierung der Galerie dell'Accademia, nach 14 Jahren! Es war ein Auftrag des Staates und brauchte wegen bürokratischer Hürden entsprechend lange. Mein Auftrag umfasste nicht nur die Neugestaltung der Räume, sondern auch Designobjekte. Zum Beispiel neue Leuchten für die Gemälde. Und das ist schwer zu begreifen. Eigentlich ist es einfach, bei mir hat es lange gedauert. Wir wollten Tageslicht im Museum erzeugen. Wir entschieden uns für parallel strahlende, kohärente Leuchten mit einem engen Abstrahlwinkel. Das versteht kein Mensch, aber nun sieht man auf den Gemälden die Pinselstriche, die 500 Jahre alt sind und aussehen als wären sie eben erst gemalt worden. Es sind konventionelle Lampen, keine LEDs. Die verbrauchen zwar nicht viel Strom, haben aber eine begrenzte Lebensdauer. Und noch findet man mit den Leuchtdioden keine entsprechende Lösung, um eine aktuelle Frage des Designs anzusprechen. Als Architekt habe ich einfach meine Arbeit gemacht. Wir haben neue Fußböden entwickelt, damit sie keine chromatischen Abstrahlungen haben. Vielleicht sind das kleine Dummheiten, Nebensächlichkeiten. Aber mir ist es wichtig, dass die Dinge gut gemacht sind.
www.simoncollezione.com
Links: Zeichnung des Bettes „Vanessa“ von Tobia Scarpa. Foto © Studio Tobia Scarpa
Rechts: Zeichnung des Tisches „Orseolo“ von Carlo Scarpa. Foto © Studio Tobia Scarpa
Rechts: Zeichnung des Tisches „Orseolo“ von Carlo Scarpa. Foto © Studio Tobia Scarpa
Tobia Scarpa, Jahrgang 1935, ist Architekt und Designer. Bei der Präsentation im Kölner Showroom von Cassina bestand er darauf, nicht mit Titeln oder Funktionen angesprochen zu werden. Sein Vater Carlo Scarpa (1906–1978) brachte ihn zur Architektur. Bereits während des Studiums in Venedig arbeitete Tobia Scarpa mit Afra Bianchin Scarpa (1937–2011) zusammen. Beide bildeten über Jahrzehnte ein erfolgreiches Design- und Architekturteams. Bei Cassina erschienen erste Entwürfe von Afra und Tobia Scarpa ab 1965.
Dino Gavina (1922–2007) gründete sein Unternehmen Gavina SpA 1960. Er kam mit Marcel Breuer in Kontakt, dessen frühe Stahlrohrmöbel Gavina nach dem II. Weltkrieg neu verlegte und damit die Re-Editionspraxis begründete. Nachdem Gavina sein Unternehmen 1967 aus wirtschaftlichen Schwierigkeiten an Knoll International verkaufen musste, gründete er bereits ein Jahr darauf mit Maria Simoncini (gest. 2010) die Firma Simon International und damit auch das Konzept der Möbel-Edition. Carlo Scarpa und Kazuhide Takahama (geb. 1930) bildeten den gestalterischen Kern des Unternehmens. Auch Tobia Scarpa, Marcel Breuer, sowie Man Ray und Meret Oppenheim sowie Gavina selbst trugen zur Simon Collezione bei. Sie wurde mit Wirkung vom Juni 2013 von Cassina übernommen.
Dino Gavina (1922–2007) gründete sein Unternehmen Gavina SpA 1960. Er kam mit Marcel Breuer in Kontakt, dessen frühe Stahlrohrmöbel Gavina nach dem II. Weltkrieg neu verlegte und damit die Re-Editionspraxis begründete. Nachdem Gavina sein Unternehmen 1967 aus wirtschaftlichen Schwierigkeiten an Knoll International verkaufen musste, gründete er bereits ein Jahr darauf mit Maria Simoncini (gest. 2010) die Firma Simon International und damit auch das Konzept der Möbel-Edition. Carlo Scarpa und Kazuhide Takahama (geb. 1930) bildeten den gestalterischen Kern des Unternehmens. Auch Tobia Scarpa, Marcel Breuer, sowie Man Ray und Meret Oppenheim sowie Gavina selbst trugen zur Simon Collezione bei. Sie wurde mit Wirkung vom Juni 2013 von Cassina übernommen.
Lesetipp:
Carlo Scarpa | Tobia Scarpa
von Carlo Scarpa und Tobia Scarpa
Hrsg.: Museum of Decoartive Arts, Bordeaux
Kindle Edtion, 60 S.
4,11 Euro
Das Abenteuer des Design: Gavina
von Virgilio Vercelloni
Gavina, Mailand
Hardcover, 220 S.
Nur noch im Antiquariat erhältlich
Punkt und Kontrapunkt, über Afra und Tobia Scarpa
von Constanze Schummer
Erschienen in: Design Report, 7/8, 1995, S. 72–79
Carlo Scarpa | Tobia Scarpa
von Carlo Scarpa und Tobia Scarpa
Hrsg.: Museum of Decoartive Arts, Bordeaux
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Das Abenteuer des Design: Gavina
von Virgilio Vercelloni
Gavina, Mailand
Hardcover, 220 S.
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Punkt und Kontrapunkt, über Afra und Tobia Scarpa
von Constanze Schummer
Erschienen in: Design Report, 7/8, 1995, S. 72–79