Ein überraschender Frühlingstag im Herbst. Die Sonne scheint keineswegs auf nichts Neues, und ganz Langenthal saugt die laue Luft ein, breitet die Arme aus und heißt jeden willkommen, der an Design und dessen Inszenierung interessiert ist. Und wahrlich, man kommt an den sechs, über die Stadt verteilten Stationen auf seine Kosten. Gerade in Zeiten virtueller Präsentationen und klappernder Messestände in schlecht belüfteten und künstlich erhellten Hallen erweist es sich als unschätzbarer Vorteil, Produkte in realen, manchmal auratischen Räumen erfahren zu können. Hier, bei den Gastgebern, in den Fabrikanlagen von Création Baumann, Girsberger Sitzmöbeln, Glas Trösch, Hector Egger Holzbau und Ruckstuhl sowie im Mühlenhof und der Ruckstuhl City, lassen sich Stühle, Lampen, Möbel, Teppiche, Vorhänge, Bürosysteme, Bodenbeläge, Armaturen, Keramikplatten, Tapeten und einiges mehr erleben, wie nirgendwo sonst.
Orte für Produkte
Überall ist Wunderland, überall ist Leben, ob neben der Werkbank, auf einem Zuschneidetisch, hinter einem Webstuhl oder einer Spinnereimaschine, im Keller zwischen Tanks und auf Paletten, von der Sonne beschienen zwischen Garnrollen und Nähmaschinen, im Hochregallager oder vor einem Defilee aus Teppichrollen - stets fühlt sich der Besucher mitten in der Produktion und angeschlossen an den Prozess des Entwerfens, Prüfens, Weiterentwickelns und Herstellens - auch und gerade, weil Dinge vorgestellt werden, die hier nicht produziert werden. Und bevor man im raschen Takt mit dem Shuttlebus zur nächsten Station weiterreist, labt man sich an schmackhafter Speise und erfrischendem Trank. Kurz: Beim 12. Designers' Saturday in Langenthal wird Design begreifbar und ganz selbstverständlich erfahrbar. Kein Produkt wird entrückt, nichts isoliert, sondern an den Werkplätzen der lokalen Designindustrie eingesetzt in den Rahmen der Kultur des Herstellens.
Parcours für Flaneure
So wurde in bewährter Manier ein Parcours für Flaneure geschaffen, zugunsten der Vielfalt aber diesmal auf ein zentrales Thema oder Leitmotiv verzichtet. Und noch etwas hat sich verändert: die Auswahl für die Teilnahme fand in zwei Runden statt. Die Teilnehmer mussten zuerst durch den Vorstand des Designers' Saturday nominiert werden, um danach von einer internationalen Fachjury aus den Disziplinen Produktdesign, Innenarchitektur, Architektur und Architekturkritik, begutachtet zu werden.
Neben allerlei Neuheiten sind es vor allem die zahlreichen, oft raffiniert und liebevoll gestalteten Installationen, die das Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande bewirken. Allein all das aufzuzählen und zu beschreiben, was es staunend zu entdecken gab, ist unmöglich - und wann kann man das schon einmal sagen. Auf Neuheit allein kommt es dabei oft nicht an; und manchmal zählt noch nicht einmal, ob einem das Produkt zusagt oder nicht. Ist die Inszenierung gelungen, so strahlt das tatsächlich auf das Produkt ab. Und so genügt schon ein konzentriertes Umherschweifen, das sich nicht an die vorgegebene Abfolge hält, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie originell und abwechslungsreich man in Langenthal von Raum zu Raum, Fabrik zu Fabrik eilen konnte. Vorhang auf, das Potpourri beginne.
Tanz der Lampions
Im dunklen, eng wie ein Schacht sich in die Höhe erhebenden Korridor des Hochregallagers der Création Baumann schweben die Lampions von Aqua Créations auf und ab, auf dass mitten in der Schweiz ein Stück japanische Ästhetik einziehe und der profane Raum poetisiert werde. Und das heißt: ein wenig kitschig findet man die tanzenden Formen schon, aber der Raum als Ganzes ist trotzdem hinreißend.
So schmal die Klamm hier, so breit das Tal dort. Bei Ruckstuhl, wo man im Untergeschoß auf dem Weg zum hochwertigen Teppichboden wunderbar in natürlichen Materialen und Farben schwelgen kann, findet sich nämlich eine - ganz anders geartete - Entsprechung: hier dehnt sich zwischen hunderten von Teppichrollen ein einladendes Terrain, auf dem Wogg unter weißen, hell erleuchteten Stoffzylindern seinen Arbeitstisch Wogg 48 präsentiert, dessen in der Höhe variables Gestell mit dehnbarem Stoff umhüllt ist, in dem sämtliche Kabel und Peripheriegeräte verschwinden. Und gleich dahinter zaubert Foscarini aus Lampen der Serien Mite und Mega-Kite eine Licht-Raum-Installation, die demonstriert, dass man aus standardisierten Produkten auch besondere innenarchitektonische Lösungen formen kann. Man stelle sich zur Probe beide Installationen in einer Messehalle vor: Was dort aufgesetzt, womöglich banal wirkte, hier gibt ihm der nicht neutrale Raum Halt und Charakter.
Hocker zum Aufblasen
Weiter geht es durch Flure, Hallen und Keller. Plötzlich löst man sein eigenes Bild in Spiegelkabinetten auf, lernt bei bigla Office mit myBox ein Mischwesen aus Rollcontainer und Stehpult kennen oder bestaunt bei Hay, wie Oskar Zietas Hocker aus Metall aufgeblasen wird, als bestünde er aus weichem Kunststoff: mit einem hörbaren „Plopp" eben. Da ist er tatsächlich zu greifen, der Produktionsprozess. Bei arwa Keramik Laufen AG betritt man in einem dunklen Raum ein Gewirr aus leuchtenden Wasserschläuchen, die sich wie Tentakel bewegen, und Dornbracht schlägt vor reproduzierten Badeszenen und mit duftenden Amphoren aus farbiger Seife eine Brücke von der Antike in die Gegenwart der Badkultur.
Stühle können wachsen
Vitra hat den Designers' Saturday sogar zu einer veritablen Premiere genutzt und mit „Vegetal" einen neuen Stuhl von Ronan & Erwan Bouroullec präsentiert - in einer kinetischen Installation, in der viele Stühle scheinbar schwerelos vor einer großen hellen Fläche hängen und sich langsam in alle Richtungen drehen: ein kleines Stuhl-Ballett in Zeitlupe. Es war nicht allein die Vorliebe der beiden Brüder für organische Formen, sondern das Wissen um eine eigenwillige Technik, mit der im 19. Jahrhundert in Nordamerika junge Bäume während ihres Wachstums in die Form von Stühlen gebracht wurden, das zu der Idee führte, einen Stuhl zu entwerfen, der aussehen sollte, als wäre er natürlich gewachsen. Selbst die Konstruktionsweise aus durchgefärbtem Polymaid sollte einer organisch gewachsenen Struktur möglichst nahe kommen. Vier Jahre intensiver Arbeit vergingen zwischen den ersten Ideen bis zur Präsentation. Nun schillert das in Herbstfarben gehaltene vegetabile Ergebnis raffiniert zwischen floralem Ornament und künstlicher Blüte, erster und zweiter Natur.
Déformation professionelle
Dass man mit Design als einer Déformation professionelle überaus locker umgehen kann, das haben Studierende des Instituts Innenarchitektur und Szenografie der Basler Hochschule für Gestaltung und Kunst erfolgreich vorgeführt. Man nehme dazu einen unbequemen Holzstuhl, unterziehe ihn einer Dekonstruktion, sprich: zerlege oder zersäge ihn, verleihe ihm eine neue Sitzfunktion - und fertig ist das innovative Sitzmöbel. „ichair" hat Fabiana Dondiego ihren Laptopsessel mit Kopfstütze genannt, Sitting Bull Mario Thomas sein Sitzobjekt, das den Rechner sogleich auf die Hörner nimmt. Und auch, was den Witz der anderen Ergebnisse angeht, sollte man eher von einer Déformation productive sprechen. Es war nicht die einzige, an diesem Samstag im November zwischen Werkbank und mechanischem Webstuhl. Nur einmal verlangte, trotz aller frühlingshaften Gefühle, auch der Herbst nach seinem Recht. Drinnen, nicht draußen. Im Dunkel hatte horgenglarus, die älteste Stuhl- und Tischmanufaktur der Schweiz, aus hölzernen Sitzschalen Lampenschirme montiert, unter denen trockenes Laub raschelte. Entworfen wurde die poetische Inszenierung vom Studio Hannes Wettstein - die erste Arbeit nach dem Tod des Gründers. Eine Arbeit in seinem Geist. Über den Herbst hinaus.