Im Gespräch: Eric Jourdan
Ich denke mit der Hand
Nach Tätigkeiten bei dem Uhrenhersteller Cartier sowie mit Philippe Starck machte sich Eric Jourdan, der an der École Nationale Supérieure des Arts Décoratifs in Paris studiert hat, schnell selbstständig. Neben seiner Arbeit für die Möbelindustrie entwickelt der 1961 geborene Franzose Objekte für Pariser Galerien oder für Privatkunden. Seine Werke sind unter anderem Musée des Arts Décoratifs oder im Le Fonds national d'art contemporain in Paris zu sehen. Auf der imm cologne stellte er die Polsterlinie „Riga“, den Beistelltisch „Liam“ sowie das Sideboard „Postmoderne“ für Ligne Roset vor.
Martina Metzner: Vor zehn Jahren haben Sie den Sessel „Shaman“ entwickelt. Er spricht eine völlig andere Sprache als „Riga“, den Sie nun zur imm cologne zeigen. Was ist in der Zwischenzeit passiert?
Eric Jourdan: Ich habe mich verändert. Mittlerweile arbeite ich sehr viel mit Pariser Design-Galerien für kleine Editionen zusammen. Diese Arbeit ermöglicht mir, mich freier auszudrücken. Und das beeinflusst auch meine Arbeit für Ligne Roset. Ich mache sehr viele Ausstellungen – vor allem mit der Galerie En attendant les Barbares. Michel Roset kommt zu diesen Ausstellungen – und dann fangen wir an zu diskutieren. Er fragt oft, ob ich das nicht auch für Ligne Roset machen könne.
Sie beginnen ein Projekt zu entwickeln, in dem Sie Details und Elemente zeichnen. Womit haben Sie bei „Riga“ angefangen?
Eric Jourdan: Ich habe vielleicht 50 Schwünge gezeichnet, bis es gesessen hat. Dann habe ich den Sessel drumherum gezeichnet. Ich werde älter und merke, ich bin weniger radikal, weniger minimalistisch. Und ich fühle mich mittlerweile sehr Französisch. Das klingt vielleicht ein wenig bizarr, aber ich arbeite nicht international wie die Bouroullecs. Das hat auch etwas mit meiner Ausbildung zu tun, denn ich habe die École nationale supérieure des Arts Décoratifs abgeschlossen. Dort haben wir auch klassische Gestaltung studiert. Und jetzt, da ich älter werde, beginne ich, mich wieder mehr dafür zu interessieren (lacht). Es waren die 1980er Jahre, wir sprachen damals von einem „stile barbare“ – aus dieser Stimmung heraus gründete sich auch die Galerie „En attendant les Barbares“– in Erwartung der Barbaren. In Deutschland ist diese Bewegung weniger bekannt. Sie ist in etwa vergleichbar mit der Haltung, die Andreas Brandolini in Deutschland vertrat. Ich hatte diese Zeit vergessen – und jetzt kommt alles wieder hoch.
In letzter Zeit wurden viele Ohrensessel vorgestellt. Es gibt zwei in der Kollektion von Ligne Roset, die ihrem ähneln, mit feinen Linien, auf schmalen Füßen balancierend – „Beaufixe“ von Inga Sempé und „Toa“ von Rémi Bouhaniche. Braucht es denn noch einen weiteren?
Eric Jourdan: Sessel, in denen man auch den Kopf anlehnen kann, sind in der Tat derzeit sehr gefragt. Und es ist gar nicht so einfach, einen solchen zu gestalten, der elegant und gleichzeitig komfortabel ist. Zu Beginn meiner Karriere habe ich mich für Komfort gar nicht interessiert. „Riga“ zeichnete ich so, dass man in dem Sessel so gemütlich sitzen kann, wie in den Sesseln für ältere Menschen. In Frankreich heißen diese Ohrensessel mit hohem Rücken „Voltaire“.
In Ihren Entwürfen kann man klassische Zitate erkennen. Welche Epoche in Kunst und Kultur hat Sie denn am meisten geprägt?
Eric Jourdan: Ich bin ein Fan von Möbeln aus der Zeit von Ludwig XIV. Aber ich mag natürlich auch George Nelson. An den Design-Hochschulen beginnt man mit Gropius, mit dem Bauhaus. An der École nationale supérieure des Arts Décoratifs allerdings blickt man auch auf die Epochen davor. Das ist in etwa vergleichbar mit Leuten, die französische Geschichte studieren und mit der französischen Revolution beginnen. Was die Architektur betrifft, so interessiere ich mich für die Bauten des 17. Jahrhunderts, die man etwa im Pariser Viertel Marais findet.
In Paris gibt es ja diese wunderbaren, großen Appartements wohlhabender Familien. Haben Sie da als Designer Zugang?
Eric Jourdan: Gestern war ich bei Leuten in St. Germain, die ein Kanapee von mir entworfen haben wollen. Ihr Appartement misst 600 Quadratmeter. Wenn man bedenkt, dass ein Quadratmeter dort bei 15.000 Euro liegt … Ich arbeite für diese Klienten, ja. Durch meine Arbeit mit den Galerien komme ich in Kontakt zu ihnen. Ich entwerfe für sie Bibliotheken, Kanapees und so weiter. Das ist eine spannende Arbeit.
Sie haben einen sehr variantenreichen Arbeitsalltag also, für die Industrie, für die Galerien, für wohlhabende Kunden …
Eric Jourdan: Für mich macht das keinen Unterschied. Denn für alle Arbeiten zeichne ich (lacht).
Ich habe ein wiederkehrendes Element bei ihren Tischen und Regalen entdeckt, und zwar Teile von Rahmen beziehungsweise Fassungen – etwa bei ihrem neuen Sideboard „Postmoderne". Woher kommt‘s?
Eric Jourdan: Das entwickelt sich durch das Zeichnen. Wenn ich zeichne, setze ich den Stift nie ab. Dadurch entstehen die kurvenreichen Konstruktionen, die fließenden Übergänge. Die endgültige Form hat also etwas mit der Art und Weise zu tun, mit der ich zeichne. Daher sage ich immer, ich denke mit meiner Hand. Ich bin nicht wie andere Designer, die ein Bild, ein Konzept von ihrem Projekt im Kopf haben und es dann realisieren. Die zudem noch wissen, welches Material es sein wird … Was mich interessiert, ist der Ausdruck, wenn das Produkt Form angenommen hat. Das Material … na ja, da gibt es schon Materialien, die ich nicht mag – etwa Plastik. Welches Material ich für ein Projekt verwende, entsteht auch im Austausch mit den Galerien oder Michel Roset. Voilà, daher sage ich, ich bin kein internationaler Designer.
Fertigen Sie Modelle an?
Eric Jourdan: Nie. Ich fertige Zeichnungen an und gebe sie dann dem Modellbauer. Ich bin einfach nicht gut im Handwerklichen, auch wenn ich das alles im Studium gelernt habe. Wenn der Prototyp fertig ist, besprechen wir noch Verbesserungen, die er wiederum umsetzt. Um Ihnen ein Beispiel zu geben, nehmen wir den „Pouf“ von „Riga“. Ich habe ihn auf einem Stück Karton im Atelier von Ligne Roset gezeichnet, sehr niedrig. Dann kam Michel und fragte, ob man da nicht etwas machen könne. Das setzten wir sofort um. Und dadurch ist er nun deutlich höher geworden. Es ist genial, mit Ligne Roset zusammenzuarbeiten. In der Entwicklungsabteilung kann man an Ort und Stelle experimentieren, Modelle anfertigen und verändern. Die Fabrik befindet sich außerhalb von Lyon, auf dem Land. Es ist sehr schön dort.
Apropos Lyon. Ich habe gelesen, dass Sie für ihren Beistelltisch „Garry“ – ebenfalls für Ligne Roset – das Musée des Confluences in Lyon als Inspiration herangezogen haben.
Eric Jourdan: Das hat etwas mit der Struktur zu tun. Für „Garry“ habe ich eine Konstruktion gezeichnet, die auch ein wenig schwierig erscheint. Ich interessiere mich sehr für Architektur. Gerade gestern habe ich eine Dokumentation auf Arte über die Elbphilharmonie gesehen. Als ich sie gesehen habe, dachte ich nur, das kann nicht wahr sein, der Bau ist unglaublich! Herzog & de Meuron sind großartige Architekten.
Sie stammen aus einer Architekten-Familie. Wieso sind Sie selbst nicht Architekt geworden?
Eric Jourdan: Nach dem Gymnasium habe ich damit geliebäugelt. Heute mache ich Möbel. Ich könnte ja noch Architekt werden (lacht).
Ich würde gerne nochmal auf Ihre „barbarische Zeit“ zurückkommen. Was genau war da los?
Eric Jourdan: Das waren die 1980er Jahre, wir waren dekadent, da gab es Pop, man ging in den Palace, einen Pariser Club, wo sehr viele modebewusste Leute herumhingen. Wir waren völlig frei, gestalteten frei. Das war ein Bruch mit dem „international style“ – ähnlich wie Memphis in Italien, nur eben die französische Version. Man interessierte sich nicht mehr für Designer wie Pierre Paulin oder Roger Tallon, sondern für Leute wie Philippe Starck. Diese Bewegung fand in den Pariser Galerien statt, bei Neotu, Creo, Leitfiguren waren etwa Garousse & Bonetti. Es war eine exzessive Zeit!