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Entbehrung würde gut tun
von Sandra Hofmeister | 30.03.2012
Louisa Hutton und Matthias Sauerbruch, Foto © Kalle Koponen

Ihre Entwürfe stellen sich den Ansprüchen der Nachhaltigkeit und entwickeln gleichzeitig eine klare Ästhetik: Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton vom Berliner Architekturbüro Sauerbruch Hutton haben Gebäude wie das Museum Brandhorst, das Umweltbundesamt Dessau oder das kürzlich fertiggestellte Hochhaus der neuen ADAC-Hauptverwaltung in München konzipiert. Sinnlichkeit und Leidenschaft sind nach ihrer Überzeugung Aspekte, die der Nachhaltigkeit von Architektur ein konkretes Gesicht geben. Sandra Hofmeister traf Matthias Sauerbruch für ein Gespräch.

Sandra Hofmeister: Obwohl Nachhaltigkeit in der Architektur ein omnipräsentes Thema ist, bleibt die Ästhetik in der Diskussion meistens auf der Strecke. Wie kann beides zusammenfinden?

Matthias Sauerbruch: Mit Blick auf die Architekturgeschichte lässt sich feststellen, dass es nach gängiger Interpretation immer wieder große Paradigmen und Situationen gibt, die jeweils eine bestimmte Architektursprache hervorbringen. Das bedeutet, dass Architektur als kulturelles Phänomen auf Zeitumstände reagiert. Das Thema Nachhaltigkeit – und hinter diesem Begriff steckt im Grunde alles, was mit dem Klimawandel zu tun hat – sei es der sparsame Umgang mit Energie, die Fragen der Überbevölkerung und der Urbanisierung, oder der schonende Gebrauch von Ressourcen – macht nach meiner Überzeugung das eigentliche Paradigma des 21. Jahrhunderts aus. Auch Architektur muss sich daran messen lassen. Ähnlich wie Künstler gehen Architekten auf den kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kontext ein. Sie können sich nicht vor dem Thema der Nachhaltigkeit drücken, sondern müssen mit ihren Gebäuden einen Beitrag dazu leisten.

Wie aber kann dieser Beitrag konkret aussehen, wo Nachhaltigkeit in der Öffentlichkeit normalerweise auf Zahlen und Verordnungen reduziert wird?

Sauerbruch: Wer das Gesamtziel im Auge behält, der wünscht sich, dass Gebäude lange Zeit genutzt und auch von zukünftigen Generationen als sinnvoll, angenehm und brauchbar empfunden werden, damit sie nicht abgerissen, sondern so lange wie möglich geschätzt werden. Deswegen kann es nicht allein um Lüftungstechnik und modernste Bautechnologien gehen. Im Vordergrund müssen die Werte stehen, die die Menschen davon überzeugen, ein Haus langfristig zu erhalten. Häufig engagieren sich Menschen mit vollem Einsatz dafür, dass ein Haus oder ein Quartier nicht abgerissen wird. In der Regel geht es dabei um Häuser oder Viertel, die einen besonderen Charakter haben, oder die – um ein schwieriges Wort zu verwenden, –einfach „schön" sind und eine sinnliche Qualität haben.

In München wurde gerade diskutiert, das Kulturzentrum am Gasteig abzureißen, obwohl der Gebäudekomplex keine dreißig Jahre als ist.

Sauerbruch: Das ist übrigens ein verbreitetes Phänomen: Was die Eltern errichtet haben, wird oft als schwach und fehlerhaft empfunden. Was hingegen die Großeltern gebaut haben, das liebt man schon eher. Je größer die zeitliche Distanz ist, desto eher ist man bereit, Architektur zu akzeptieren.

Wenn wir die Halbwertszeit von Architektur verlängern wollen – und auch das gehört mit zur Nachhaltigkeit ...

Sauerbruch: ... ja, das ist das eigentliche Kernthema!

... dann sollten wir also auch über die Schönheit und den Bezug zu den Menschen diskutieren?

Sauerbruch: Ich glaube es geht tatsächlich um Emotionalität: Architektur muss die Menschen ansprechen und eine Art Beziehung zwischen den Nutzern und dem Objekt herstellen. Darüber hinaus muss sie natürlich solide sein und Flexibilität bieten. Häuser, die nur auf eine Funktion ausgerichtet sind, haben ein Problem, wenn diese Funktion wegfällt. Deshalb sollten wir in Strukturen denken, die sich anpassen können. Im Sustainability-Jargon wird das oft als „news fit" bezeichnet – ein Wert, der die Chance mit einkalkuliert, dass sich Menschen längerfristig in Räumen wohlfühlen möchten und diese darum entsprechend erhalten und pflegen. Es geht schließlich auch darum, dass Gebäude Woche für Woche geputzt, repariert und unterhalten werden. Ohne diese Leidenschaft sehe ich nicht viel Zukunft für ein Gebäude, mag seine Architektur auch noch so energieeffizient sein.

Dann ist die Leidenschaft also mit ausschlaggebend für Nachhaltigkeit?

Sauerbruch: Auf jeden Fall. Gerade beim Thema Nachhaltigkeit lässt sich leider auch eine Überinstrumentierung beobachten. Man kann das gut mit der Autoindustrie vergleichen: Ein Hybridmotor ist eine instinktive und schnelle Reaktion auf das Problem des Verbrennungsmotors und insofern ein praktikabler Weg. Eigentlich ist es aber nicht so sinnvoll, ein Auto gleich mit zwei Motoren und so viel Technologie auszustatten, dass schon seine Herstellung alleine so viel Energie absorbiert, die durch die Nutzung gar nicht mehr einzuholen ist.

Bleiben wir kurz beim Autobeispiel. Am sinnvollsten wäre es vielleicht, Fahrrad statt Auto zu fahren ...

Sauerbruch: ... Da haben Sie recht (lacht) ...

Auf die Architektur übertragen stellt sich dann die Frage, wo die Grenzen des Wachstums und des Bauens liegen. Vielleicht sollten wir sie deutlicher verinnerlichen?

Sauerbruch: Das ist ein schwieriges Thema. Im Wohnsektor zum Beispiel ist der Quadratmeteranteil pro Einzelperson kontinuierlich gestiegen. Selbst in schrumpfenden Städten gibt es wachsenden Bedarf an Wohnfläche, weil die Menschen größere und hochwertigere Wohnungen haben wollen. Hier Verzicht einzufordern, wird kaum auf Begeisterung stoßen. Allerdings wird auch der Wohnungsmarkt deutlich auf die steigenden Energiekosten reagieren müssen. Wenn das vielleicht idealistisch klingen mag, so bin ich doch überzeugt davon, dass man bestimmte Einschränkungen auch mit Qualität kompensieren kann. Gute Architektur und gutes Design kann den Verlust von Fläche und vielleicht auch von Komfort aufwiegen.

Dann allerdings müsste sich im Bewusstsein um Standards viel verändern.

Sauerbruch: In der Arbeitswelt ist es in Deutschland in der Regel üblich, dass jeder sein eigenes Büro hat – wie ein eigenes Wohnzimmer. Das ist jedoch alles andere als effizient in Bezug auf Flächenverbrauch und Energiebedarf. Man könnte mehr in kollektiven Räumen denken, in denen ähnlich wie Bibliotheken viele Leute arbeiten. Solche Räume können eine räumliche Qualität entwickeln, die sich deutlich und positiv von der eines Einzelbüros mit Kaninchenstallcharakter unterscheidet.

Die Grenzen des Wachstums sind uns eigentlich seit vierzig Jahren bekannt. Mit der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise sind sie jedoch samt den Ängsten, die damit verbunden sind, noch konkreter geworden. Deuten Sie das als Chance oder eher als Krise für die Architektur?

Sauerbruch: In erster Linie ist es natürlich eine Krise, weil viele Aufträge ausbleiben. Gleichzeitig sehe ich darin eine riesige Chance. Wir sind heute dazu angehalten, jeden Cent mehrfach umzudrehen und den Einsatz von Mitteln zu überdenken. Das ist eine gute Gelegenheit, normale Kategorien und Konventionen zu hinterfragen und sie zu verlassen. Wer das Geld und die Mittel nicht hat, der denkt anders über Baustandards und räumliche Notwendigkeiten nach. Und ein Stück Entbehrung würde der Architektur an vielen Stellen gut tun.

www.sauerbruchhutton.de

Zum Weiterlesen:
Colour in Architecture
Von Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton
Hardcover, 288 Seiten, deutsch / englisch
Distanz Verlag, Berlin, 2012
58,00 Euro
www.distanz.de

Louisa Hutton und Matthias Sauerbruch, Foto © Kalle Koponen
ADAC Hauptverwaltung München, Foto © Werk 5
ADAC Hauptverwaltung Seitenansicht, Foto © Werk 5
FPR Feuerwehr und Polizeiwache Berlin, Foto © Jan Bitter
GSW Hauptverwaltung Berlin, Foto © Annette Kisling
KFW Westarkade Frankfurt, Foto © Jan Bitter
SAB Museum Brandhorst München, Foto © Andreas Lechtape