Es war vor zwei Jahren, kurz nach den Enthüllungen von Edward Snowden, als in Berlin plötzlich hier und da wieder mechanische Schreibmaschinen auftauchten. Selbst „digital natives“ priesen plötzlich die analoge, mit keinem Server vernetzte Technik. Ich selbst habe nie gern mit der Schreibmaschine geschrieben. Wahrscheinlich, weil ich es nicht richtig gelernt habe, mich zu oft vertippe, und weil sich Worte, Sätze oder ganze Abschnitte im Text nicht wie am Rechner mir nichts dir nichts verschieben lassen. Die Freiheit, auf einem Blatt Papier machen zu können, was die Typen hergeben, sie nach Lust und Laune herumwandern, über- oder nebeneinander ihr Spiel mit Bild und Bedeutung treiben lassen zu können, vermisse ich gelegentlich aber doch. Was mit Software komplizierte Operationen erfordert, wenn man es überhaupt schafft, mit der Schreibmaschine ist es im Prinzip ganz einfach. Fehler verzeiht sie trotzdem keine.
Seit Friedrich Kittler und Friedrich Nietzsche, der als einer der ersten eine Schreibmaschine besaß, wissen wir: „Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken.“ Was das bei Künstlern heißt, die sich buchstäblich der Schreibmaschine verschrieben haben, zeigt eindrucksvoll der Band „Schreib/Maschinen/Kunst//“ von Marvin und Ruth Sackner. Die Autoren sind passionierte Sammler der „Typewriter Art“ und das 1979 von ihnen gegründete „Sackner Archive of Concrete and Visual Poetry“ gilt weltweit als das größte seiner Art. Rund 600 Beispiele – aus Zehntausenden – der Konkreten und Visuellen Poesie haben die beiden für den kapitalen Band ausgewählt, von den Anfängen einer eher dekorativen Schreibmaschinenkunst über Lautgedichte des Dadaismus und konkrete Gedichte der 1960er-Jahre bis hin zu zeitgenössischen Arbeiten, die nicht selten die Einzigartigkeit des getippten Blatts im digitalen Zeitalter unterstreichen.
Über die Rubriken mag man streiten, der Reichtum an Ideen, Bildern und Varianten aber ist wahrlich riesengroß: Es gibt Buchstaben- und Zahlenbilder, Bilder aus Satzzeichen und aus überschriebenen Zeichen. Mal werden Worte ineinander verschachtelt, mal wird ihre Anordnung dem Zufall überlassen. Mal bilden die Typen regelmäßige Muster, mal mäandern sie über das Blatt. Mal formen sie Labyrinthe, und mal sind sie so organisiert, dass aus ihnen die Gestalt von Tieren, Landschaften, Gebäuden oder Gegenständen entsteht.
Ganz zu schweigen davon, wie sich Wörter, Zeichen und Bedeutung verändern, wenn sie mit einem Mal lernen, sich frei zu bewegen und ins Bildhafte auszubrechen. Ganz gleich, ob Gerhard Rühm aus vielen einzelnen „vereinigen“ ein großes „V“ formt, an dessen Spitze sich die Worte tatsächlich vereinigen, ob Geof Huth das Wort „rain“ über die Seite regnen lässt oder Emmett Williams aus einem kleinen „a“ ein visuelles Buchstabengedicht zaubert – man staunt, was eine Schreibmaschine so alles möglich macht. Und wer mehr über das Sackner-Archiv, die Geschichte des dekorativen und künstlerischen Maschinenschreibens und der Konkreten und Visuellen Poesie erfahren möchte, der lese den ausführlichen, ebenfalls mit vielen Abbildungen versehenen, Text der beiden Sammler.
Das Ganze ist ein ebenso sinnliches wie die grauen Zellen anregendes Vergnügen: Denn wer auf diese Weise tippt, der macht sich frei und wirft mit den horizontalen Linien, denen wir für gewöhnlich und ohne nachzudenken folgen, auch viele andere Konventionen über den Haufen. „Wer Dichtung will, der muss auch die Schreibmaschine wollen“, hat Arno Schmidt in „Zettels Traum“ geschrieben, mit einer Schreibmaschine, versteht sich. Und er hat hinzugefügt: „‹Intuition› ist etwas, das überwunden werden sollte.“ Gut getippt! (tw)
Marvin und Ruth Sackner
Schreib/Maschinen/Kunst//
352 S., geb., ca. 600 Abb.
Sieveking Verlag, München 2015
ISBN 978-3-944874-25-8 (Deutsch)
69,90 Euro