Arno Schmidts Kurzroman „Brand’s Haide“ ist 1951 erschienen und besteht aus drei Teilen mit eigenem Titel. Es beginnt mit „Blakenhof oder die Überlebenden“, es folgt „Lore oder das spielende Licht“, und es endet mit „Krumau oder willst Du mich noch einmal sehen“. Die Geschichte spielt im Jahr 1946. Ein Kriegsheimkehrer, aus britischer Gefangenschaft entlassen – Unteroffizier Schmidt –, kommt im (fiktiven) Dorf Blakenhof in der Lüneburger Heide in einer Baracke unter, die er sich mit zwei Frauen teilt. In eine der beiden, Lore, verliebt er sich. Doch am Ende zieht sie es vor, statt den armen Schmidt, der für eine umfangreiche Biografie auf den Spuren des von ihm verehrten Friedrich de la Motte Fouqué wandelt, einen reichen Mexikaner zu heiraten. Schmidt bleibt allein zurück. – Alles sehr sehr grob geschnitzt, was bei A.S. aus Sprache quillt.
Eines Abends, „Lore ist tanzen!“, sitzt Schmidt stumm und kopiert Briefe und Brieffetzen des Generals Fouqué an seinen Bruder, „a mon très cher frère, Henry Charles Frederic Baron de St. Surin in Celle“, Grete hilft, beim Einpacken der morschen Blätter in Cellophan. Er geht dann doch; Grete muss „ohnehin wach blieben, bis Lore kommt“ – „sie will ja auch mal allein sein; sich waschen oder so“. „Zurück im blauen Raume“ säuft er „vom steinkalten gepreßten Strahlwasser“, bis er „den Bauch prall am Koppel fühlte“ und schreibt dann „auf rauhes Mondpapier“: „Dichter: erhältst Du den Beifall des Volkes, so frage Dich: was habe ich schlecht gemacht?! Erhält ihn auch Dein zweites Buch, so wirf die Feder fort: Du kannst nie ein Großer werden. Denn das Volk kennt Kunst nur in Verbindung mit -dünger und -honig ...“ (Undenkbar, heute, da nur noch der Applaus zählt.) Doch dann: „Hoho!: Stimmen, Schritte, flottes Gelächter. Ich trat breit ins Fenster und sah zu: Die Tänzer kamen nach Hause: 3 Mädel, 2 Kerle; schmusten, alberten, klatschten sich zum Abschied auf die Schultern (und Lore immer dazwischen mit Gang und Wortschatz eines gefallenen Engels). Samba, Samba: noch von fern näselte Einer süß aus den Hüften und im Boptakt: Allerdings / sprach die Sphinx / dreh das Dings / mehr nach links /: und da gings /: oh Deutschland, mein Vaterland!“ – Ob das heute auch noch mag helfen?
Aber das ist ohnehin nur ein Beispiel von vielen aus „Arno Schmidt. Eine Ausstellung in 100 Stationen“ (wo man auch den Schlager von Evelyn Künneke hören kann) und jeder Menge wunderbar anregender oder anrührender Zitate, mit Zettelkästen, Manuskripten und Büchern, aber eben auch mit Schmidts Lederjacke, einem Teddy, einem kleinen Schiffchen aus Rindenholz und Eingemachtem aus dem Keller. Man eilt von einem zum anderen, taucht ein in den Kosmos des „sprachmächtigsten, innovativsten und provozierendsten Autors der Nachkriegszeit“. Der steckt, naturgemäß, voller Widersprüche, weshalb die einzelnen Stationen in Gegensatzpaaren organisiert sind – von Antike und Zukunft, Tradition und Avantgarde, Preisträger und Verfolgter bis gesund und krank, rechts und links. Womit wir wieder bei der Sphinx wären, die empfiehlt ... dreh das Dings / mehr nach links ...
Man kann aber auch in den wichtigsten Werken Schmidts schmökern, Wörter aus einem virtuellen Zettelkasten auswählen, woraufhin die passenden Schmidt-Sätze erscheinen – oder einige seiner Zettelkästen mit all den winzigen Notizen bestaunen. Sie sollten sich allerdings beeilen – zwischen feiertäglichem Gänsebraten und Punsch bleibt sicher noch eine Lücke –, denn Arno Schmidt, seine Sphinx und sein Teddybär schütten ihr Füllhorn nicht mehr allzu lange aus. Allerdings ... (tw)
Arno Schmidt. Eine Ausstellung in 100 Stationen
Akademie der Künste,
Hanseatenweg 10, 10557 Berlin
bis zum 10. Januar 2016
Di – So 11-19 Uhr
www.adk.de