Es hat sich gelohnt, noch einmal genauer hinzusehen. Im hintersten Winkel versteckt, befand sich der eigentliche Star der Ausstellung „Denkräume für Design“, die im Rahmen der „Creative Business Week“ in Münchens Alter Kongresshalle zu sehen war. „Look Twice“ stand in großen Lettern über dem in Weiß gehaltenen, futuristisch angeordneten Schauraum Nummer 6, der die Designideen verschiedener junger Künstler auf kleinen Inseln präsentierte. Es ging um multisensorische Objekte, digitale Sinnlichkeit und Räume von morgen. „Schau’ zweimal hin“ – diese Worte dürften die Besucher tatsächlich als Aufforderung erreicht haben, denn der flüchtige Blick genügte oft nicht, um sich den Intentionen der technologisch inspirierten Objekte zu nähern.
In vielen anderen Schauräumen der Alten Kongresshalle war das nicht immer so. Die zweite „Munich Creative Business Week“ (MCBW) hatte überwiegend Design-Aussteller angelockt, die ihre Produkte auf den Markt bringen wollten. Eingeteilt in die drei Themenbereiche „Technologie“ – hierzu gehörte „Look Twice“ –, „Marke“ und „soziokultureller Nutzwert“, wirkte die Zusammenstellung oft weniger wie eine Ausstellung und eher wie eine Verkaufsmesse. Hier ein neues E-Bike made in Bayern, dort einige verspielte LED-Lampen, daneben recyclebare T-Shirts mit plakativen Aufschriften oder ein ganzer Raum mit koreanischem Design.
Bei einer derartigen Vielfalt tat es gut, im „Look Twice“-Raum innezuhalten: Betrachten, nachdenken, Denkprozesse erkennen, eigene Hypothesen aufstellen – durchatmen. Kuratiert wurde „Look Twice“, die Ausstellung über intelligente Materialien und neue Technologien im Raum, von Nadin Heinich von Plan A. Sie wollte zeigen, inwieweit Informations- und Kommunikationstechnologien bereits unser gesamtes Leben durchdringen und welchen Einfluss sie auf Design und Architektur haben können. Schon ihr Buch „Digital Utopia“, das 2012 erschienen war, thematisierte genau diese Bezugssysteme.
Einer der Höhepunkte der Ausstellung war unter anderem Tom Bielings „Mobile Lorm Glove“. Der mit Drucksensoren ausgestattete Handschuh soll gehörlos-blinden Menschen die Kommunikation erleichtern, indem er das Tastalphabet „Lorm“ in Text übersetzt. In Form einer SMS kann der Sehende lesen, was sein Gesprächspartner gesagt hat.
Carole Collets unwirklich anmutende Pflanzen können Strom leiten oder Kleidung herstellen. Collet beschäftigt sich in ihren Arbeiten mit synthetischer Biologie und deren Potential für die Herstellung neuer Textilien. Ihre Arbeiten blicken in eine mögliche weit über die Digitalisierung hinausgehende Zukunft und fragen: Können Designer in Zukunft womöglich sogar den Gencode von Pflanzen programmieren? Für ihre Projekte tauscht sie sich regelmäßig mit Wissenschaftlern aus.
In Aurélie Mossés Projekt „Reef“ geht es darum, Technologie und Natur nicht als Gegensatz zu begreifen. Sie setzt darauf, Architekturen zu entwickeln, die in eine Wechselbeziehung mit ihrer Umwelt treten, anstatt sich abzuschotten. Das Material, das an Papierfächer erinnert, reagiert auf Wind und Wärme und erfindet sich dadurch ständig neu.
Nadin Heinich kommentierte die zum Teil recht erfrischenden Ansätze, in denen die jungen Designforscher die gestalterischen Potenziale neuer Technologien ausloten wiefolgt: „Starke Arbeiten sind für mich jene, die den Betrachter zum Nachdenken bringen und die nicht einfach nur schön sind. Ich wünsche mir mehr davon in der Zukunft. Denn wenn wir uns fragen, wie wir uns die Welt in Zukunft wünschen, sollten wir die Antworten nicht nur in die Hand von Ingenieuren legen.“
Was an Theorie hinter so manchem Exponat der Ausstellung steht, wurde am Abend in einem Symposium vertieft und diskutiert, an dem Stylepark als Kooperationspartner mitgewirkt hat. Fragen gab es jede Menge: „Was, wenn Gebäude als dynamische Organismen statt als statische Objekte konzipiert werden?“ Oder: „Wie lassen sich die Grenzen zwischen Technik, Design und Architektur auflösen?“ Mitdiskutiert haben Carole Collet, Gründerin des Master-Studiengangs „Textile Futures“ am Londoner St. Martins College, der Designer Moritz Waldemeyer, bekannt für seine LED-Installationen und Wearables für Rihanna oder Philip Treacy, der Klimaingenieur Thomas Auer und der Schweizer Architekt Philippe Rahm.
Sie alle beschäftigten sich damit, wie die Welt von morgen wohl aussehen sollte, könnte und würde. Heinich: „Utopische Ansätze sind wichtig, um Denkprozesse anzustoßen. Wir sprechen hier von technologischen Entwicklungen, die Einfluss auf die Architektur und Design nehmen werden und in fünfzig oder hundert Jahren Teil der Realität sein können.“
Im Rahmen der MCBW, die sich ansonsten recht wirtschaftsorientiert gab, der richtige Ansatz, um mehr Tiefe und Vielfalt in das Gesamtkonzept „Design in München“ zu bringen. Wir jedenfalls würden uns schon jetzt für 2014 noch mehr Raum für Designtheorie, Zukunftsforschung und Off-Kultur wünschen.
Den thematischen Hintergrund von „Look Twice“ bildet die Publikation:
Digital Utopia – Über dynamische Architekturen, digitale Sinnlichkeit und Räume von morgen,
hrsg.v. Nadin Heinich,
plan A Verlag der Akademie der Künste,
Berlin 2012, 184 Seiten, deutsch-englisch, 29,90 Euro.