top
Einfach ist nicht einfach zu machen
von Martina Metzner | 29.09.2015
„Fröhliche Reizüberflutung“: Der „Serpentine Pavilion“ von Selgascano war ein Höhepunkt auf der London-Tour mit deutschen Architekten. Foto © Barbara Wildung, Stylepark

Oft steht, auf den Asphalt an Fußgängerüberwegen in London geschrieben und mit einem Pfeil versehen, „Look here“, um Besucher vom Kontinent auf den Linksverkehr aufmerksam zu machen. Dennoch will es uns auch am dritten Tag unserer Tour rund um das London Design Festival nicht immer gelingen, in die richtige Richtung zu schauen. Überhaupt ist diese Stadt schnell und vibrierend, schräg und traditionell. Wir, das ist eine Gruppe von deutschen Architekten und Innenarchitekten, die auf Einladung des Armaturen-Hersteller Axor eingeladen wurde, beim Design Festival Eindrücke zu sammeln und bei der Premiere des neuen, von Barber Osgerby gestalteten Bedienelements „Axor One“ dabeizusein.

Die „Living Staircase“ von Lichtdesigner Paul Cocksedge (im Bild) lädt zum Verweilen und Entspannen von der Arbeit ein. Foto © Martina Metzner, Stylepark

Mach mal Pause auf Pauls Treppe

Den Guide gibt Antje Southern – Kunsthistorikern und Autorin von Stylepark. Die Tour beginnt beim Ampersand Building, einem Bürogebäude im Stadtteil Shoreditch, das erst jüngst bezogen worden ist. In einem der oberen Geschosse treffen wir Paul Cocksedge. Der Londoner Lichtgestalter, der am Royal College of Arts studiert und schon einige imposante Installation und schlaue Produkte entwickelt hat, führt uns an das obere Ende einer raumfüllenden Wendeltreppe, die ein Drittel des lichtdurchfluteten Atriums einnimmt, um das herum die Büroetagen gruppiert sind. Cocksedge ist stolz auf seine „Living Staircase“, die ihn in den letzten zwei Jahren viel Arbeit gekostet hat.

Das Konzept ist denkbar einfach und sympathisch, und passt obendrein zum Zeitgeist: Ist man auf der Höhe einer Etage angekommen, gibt es auf der Treppe eine mit Bänken versehene Plattform, auf der man eine kurze Auszeit von der Arbeit nehmen kann. Am Geländer wachsen in Trögen Pflanzen, die für gute Luft sorgen. „Slowing down“, meint Cocksedge. Nur von dem Plan, dass die Büroangestellten sich um die Pflanzen kümmern, musste er Abstand nehmen. 700.000 Pfund hat die Treppe gekostet, die im Nachhinein in das Gebäude eingebaut wurde, was für Probleme sorgte. „Wow“, entgleitet es Anna Philipp, der geschäftsführenden Inhaberin von Philipp Architekten aus Stuttgart. „Das Bürogebäude lebt von dieser Treppe – sie bringt es auf ein ganz anderes Level.“ Nur andere Pflanzen hätte Philipp genommen – und zupft an einer Orchidee. „Filigranere Pflanzen, solche mit großen weißen Blüten.“

Auf Einladung von Axor für drei Tage in London : eine Gruppe von Architekten aus Deutschland, hier vor dem Serpentine Pavilion. Foto © Antje Southern, Stylepark

Die Raupe von Kensington Gardens

Den diesjährigen „Serpentine Pavilion“ des spanischen Büros Selgascano hatten wir schon aus dem Flugzeug als bunten Fleck in Kensington Gardens ausgemacht. Als wir nun davor stehen, kann auch das trübe Wetter der positiven, lebensbejahenden Ausstrahlung des höhlenartigen Konstrukts, das sich mit seiner farbig schimmernden Haut wie die Raupe Nimmersatt vor der Serpentine Gallery windet, nichts anhaben. Nur die Reflexionen auf dem weißen Betonboden fallen ohne Sonne etwas blass aus. Aus einem architektonisch inspirierten „LSD-Trip“ wird erst mal nichts. Etwas überrascht es uns auch, dass der Pavillon tatsächlich so aussieht, wie auf den Bildern, die in den Medien von ihm kursieren – nur etwas kleiner kommt er uns vor. Und schon etwas abgenutzt. Immerhin steht der temporäre Bau seit dem 25. Juni ¬– und schon bald, genauer, am 18. Oktober, sind die Tage dieses Experiments mit Effekten dann endgültig gezählt.

Jede Menge Reize

Dass der fröhliche Raupen-Pavillon in den sozialen Netzwerken besonders beliebt ist (News & Stories, vom 22. Juli 2015), kann man auch am Verhalten der Architekten-Gruppe aus Deutschland ablesen: Sie zücken unverzüglich ihre Handys, um zu fotografieren. „Ein Konglomerat aus Oberflächen, Netzwerken und Materialien“, so der Kommentar von Harald Klein, der mit seinem Architekturbüro kA klein Associates vor allem Interieurs für Hotelketten aus dem Premium- und Luxussegment entwirft. Sein Resümee lautet schließlich: „Eine fröhliche Reizüberflutung.“. Noch rasch ein Gruppenfoto vor der Raupe, schon geht’s beschwingt und mit farbigen Nachbildern auf der Netzhaut weiter und wir verlassen das Architektur-Intermezzo, als hätten wir einen kurzen Besuch auf dem Jahrmarkt hinter uns.

Bitte dem Mantel folgen: Designerin Fay Toogood hat 150 Mäntel aus dem Polsterstoff „Highland“ von Kvadrat gezaubert. Foto © Barbara Wildung, Stylepark

Ein Mantel mit Karte

Eines steht fest: Jeder, der zum London Design Festival reist, muss das Victoria & Albert Museum besuchen. Nirgendwo sonst auf der Welt wird zeitgenössisches Design auf so unvergleichliche Art vor dem Hintergrund einer weit zurückreichenden Geschichte präsentiert. Schon im Eingangsbereich müssen wir den Kopf weit nach hinten legen und nach oben blicken: Hier strebt eine Stele, die mit großen Swarovski-Steinen besetzt ist und „Zotem“ heißt, himmelwärts und bohrt sich durch mehrere Geschosse. Sie stammt aus der Designschmiede des Norweger Kom Thomé. Im Anschluss eilen wir wie die Träumer im gleichnamigen Film von Bernardo Bertolucci durch die historischen Räume, in denen man wahrlich „Tage verbringen könnte, ohne Langeweile zu bekommen“, wie Sabine Keggenhoff, Innenarchitektin aus Arnsberg, beseelt feststellt. In den „Cloakroom“ hat die Designerin Fay Toogood 150 Mäntel aus dem Polsterstoff „Highland“ von Kvadrat gezaubert, die nach einem stoffgewordenen Schnittmuster aussehen. Toogood bittet die Besucher, einen dieser Mäntel anzuziehen und dem eingenähten Plan durchs Museum zu folgen. Wo man wohl so alles hingeführt wird, von einem Mantel? Keiner aus der Gruppe will so recht, aber die Zeit drängt ohnehin.

„Gruselige Pracht“: In den 250 mundgeblasenen Glaskugeln der „Curiosity Cloud“ von Mischer’Traxler flattern künstliche Nachtfalter. Foto © Martina Metzner, Stylepark

Aufgescheuchte Nachtschwärmer

Die Schlange vor dem Raum mit der Installation des österreichischen Duos Mischer’Traxler nehmen wir trotzdem in Kauf. Zu gern möchten wir wissen, was sich in den Glaskugeln verbirgt, die zu mehreren tropfenförmig von der Decke hängen und die so herrlich klackern. „Curiosity Cloud“ ist in Zusammenarbeit mit dem Champagnerhersteller Perrier-Jouët entstanden und, so wird gesagt, nehme Bezug auf die Epoche des Art déco. In den 250 mundgeblasenen Glaskugeln, die bei Lobmeyr in Österreich hergestellt wurden, befinden sich künstliche Nachtfalter, die – ausgelöst von einem Bewegungsmelder – anfangen sich zu bewegen und gegen die Glaswand zu fliegen, wenn Menschen in ihre Nähe kommen. Da wir sehr viele sind, flattern sie alle wie wild umher. Jens Wendland vom Kölner Architekturbüro Raumlabor, der die Installation eifrig fotografiert, beschreibt das Ganze als „gruselige Pracht“.

All in One: Philippe Grohe, Jay Osgerby und Edward Barber bei der Premiere von „Axor One“. Foto © Axor

Erst Wählen, dann Duschen

Kein London Design Festival ohne einen grandiosen Empfang samt Produktpremiere. Da die meisten Neuheiten bereits im Frühjahr in Mailand präsentiert wurden, ist die Zahl wirklicher Premieren allerdings überschaubar – umso mehr aber sticht das Ereignis heraus. Damit, dass Axor sein neustes Produkt in London vorstellt, hat es aber noch eine andere Bewandtnis: Für die neue Kollektion hat sich das Traditionsunternehmen aus dem Schwarzwald mit dem Londoner Designerduo Edward Barber und Jay Osgerby zusammengetan. Mit „Axor One“ haben die beiden ein Bedienelement für die Dusche geschaffen, das „besonders intuitiv und einfach zu bedienen ist“, wie Jay Osgerby am Abend beim Gespräch mit Philippe Grohe hervorhebt. Philippe Grohe selbst meint, die Arbeit mit den beiden sei – in positiver Hinsicht – eine echte Herausforderung gewesen. Zunächst hätten sie über einen Touchscreen nachgedacht – die Tatsache, dass damit Elektrizität in die Nasszelle käme, hätte bei Jay Osgerby und Edward Barber, die noch nie mit einem Hersteller aus dem Bad-Bereich zusammengearbeitet hatten, aber für Unbehagen gesorgt.

Wie bei einem Lichtschalter lassen sich Kopf-, Seiten- oder Handbrause durch einfaches Drücken der „Select“-Taste in Funktion setzen. Foto © Axor

Wasser marsch!

Vier Jahre hat es schließlich gebraucht, bis die Entwicklung von „Axor One“ abgeschlossen war – dabei stellt das Bedienelement erst den Anfang einer kompletten Linie dar und weitere Elemente werden folgen. Bei der Entwicklung ging es sowohl den Designern als auch Axor weniger um die Optik – auch wenn die an ein vergrößertes iPhone-erinnernde Platte ein klares Designstatement in der Dusche darstellt – als um die Funktion. Wie bei einem Lichtschalter lassen sich Kopf-, Seiten- oder Handbrause durch einfaches Drücken der entsprechenden „Select“-Taste – auch „Paddles“ genannt – in Funktion setzen. Darüber hinaus lassen sich an dem runden zentral platzierten, Knopf Temperatur und Wassermenge regulieren. In dem Pop-up-Shop in der Clerkenwell Road, in dem die Premiere stattfindet, können wir das neue Bedienelement ausprobieren. Den Architekten gefällt die Select-Funktion und das einfache Klicken; die Schalter sind so groß, dass man sie auch mit Seife an den Händen nicht verfehlen kann. Innenarchitektin Susanne Brandherm vom Büro B-K-I gesteht, dass sie sich die Armatur etwas fragiler gewünscht hätte, kann sich aber gut vorstellen, die „Axor One“ in einem ihrer Hotel-Projekte einzusetzen.

Willkommen bei Barber Osgerby, die mittlerweile mit drei Unternehmen und 55 Mitarbeitern im Stadtteil Shoreditch beheimtat sind. Foto © Martina Metzner, Stylepark

So muss ein Designstudio sein

Am nächsten Morgen hat unsere Gruppe die Gelegenheit, im Büro der beiden Designer von „Axor One“ in Shoreditch vorbeizuschauen. Genau so stellt man sich ein Designbüro vor: Die Mitarbeiter sitzen an weißen iMac-Computern, es herrscht eine leise, konzentrierte Atmosphäre und nichts Unästhetisches stört das Auge. Durch Oberlichter wirkt der Raum besonders weiß, an der Wand unterm Bücherregal stehen die schlanken Rennräder der Angestellten. 55 Mitarbeiter beschäftigen Barber Osgerby mittlerweile, aufgeteilt auf drei Unternehmen: Das Designstudio Barber Osgerby, für das die beiden hauptsächlich arbeiten und Möbel und Produkte unter ihrem Namen herausbringen, das Universal Design Studio, das sich um Innenarchitektur-Projekte kümmert und das auch das nicht weit entfernt gelegene Ace Hotel gestaltet hat, in dem wir untergebracht sind und das zudem ein zentraler Punkt des Festivals ist. Das dritte Unternehmen heißt Map und ist eine Agentur für Corporate- und Industrial-Design.

„So leicht“: Barber Osgerby haben anlässlich der Olympischen Sommerspiele in London 2012 die offizielle Fackel kreiert. Foto © Martina Metzner, Stylepark

Eine Fackel mit 8000 Löchern

Neugierig schauen wir uns um. Edward Barber und Jay Osgerby zeigen uns die Fackel, die sie vor drei Jahren für die Olympischen Sommerspiele in London entworfen haben. 8000 Löcher haben sie in die fluid geformte, doppelwandige Aluminiumform gestanzt – genau so viele, wie es Fackelläufer gab. Als wir das ikonische Stück reihum in die Hand nehmen, sind wir erstaunt, wie leicht die Fackel ist. Im Regal sind noch weitere Meilensteine ihrer mittlerweile zwanzigjährigen Karriere untergebracht. Darunter sind der Stuhl „Tip Ton“ für Vitra und der „Loop Table“, den Cappellini 1997 herausgebracht hat und der den Anfang der Karriere von Barber Osgerby markiert. Überhaupt steht das London Design Festival in diesem Jahr im Zeichen dieser zwei Herren: Neben der Auszeichnung mit der „London Design Medal“ und einer Buchneuerscheinung mit dem passenden Titel „One by One“, bespielen sie zwei Räume im Somerset House, der neuen „Venue“ des LDF.

Grenzen überschreiten: Für die Papierleuchten „Hotaru“ haben sich Barber Osgerby mit dem japanischen Hersteller Ozeki zusammengetan. Foto © Martina Metzner, Stylepark

Licht vom Maulbeerbaum

Im „Reading Room“ des Somerset House zeigen Barber Osgerby große Papierleuchten, wie man sie aus Japan kennt – nur eben nicht rund. Sie haben dafür mit Ozeki, einem traditionellen Anbieter von Papierleuchten, gearbeitet. Auch hier, so erzählen die beiden, habe, ähnlich wie bei „Axor One“, die Herausforderung darin bestanden, Grenzen zu überschreiten. Anders als bei herkömmlichen Papierleuchten werden die Leuchten „Hotaru Double Bubble und „Buoy“ aus besonders hochwertigen Materialien gefertigt: das Papier wird aus der Rinde des Maulbeerbaums gewonnen, die Reifenkonstruktion besteht aus Bambus.

Auf Rauten aus eloxiertem Aluminium reiten: Installation von Alex Rasmussen im Somerset House. Foto © Barbara Wildung, Stylepark

Virtuell Reisen

Barber Osgerby sind aber nicht allein, im Somerset House. Auch Installationen von neun weiteren Designern wie Arik Levy, Ross Lovegrove oder Nendo im Westflügel des Gebäudes aus dem 18. Jahrhundert lassen uns immer wieder staunen. Die Inszenierungen sind perfekt, man wandelt durch die Räume und ist immer wieder überrascht – ob der Präzision der Produkte, der Ausdrucksstärke und natürlich der gekonnten Inszenierung im historischen Ambiente. So sitzen beispielsweise Menschen mit einer VR-Brille auf einer Art Rakete und lassen sich virtuell in die Höhe beamen, was der Designer Tino Schaedler gemeinsam mit den Künstlern von Realities United ersonnen hat. Man kann aber auch auf der riesigen Welle des Designers Alex Rasmussen reiten, die aus reflektierenden Rauten aus eloxiertem Aluminium besteht. Dagegen wirkt das abgedunkelte Klavierzimmer, in dem ein Spieler die einzelnen, im Halbrund vor ihm hängenden Leuchten von Luca Nichetto für Hem aufleuchten lässt, fast schon altmodisch und sentimental.

Fast schon altmodisch und sentimental: Ein Klavierspieler lässt die hängenden Leuchten von Luca Nichetto für Hem aufleuchten. Foto © Barbara Wildung, Stylepark

Reicht uns ein Telefon?

Zu guter Letzt stoßen wir im Somerset House noch auf das neue Mobiltelefon „MP 01“ von Jasper Morrison für den Schweizer Hersteller Punkt, mit dem man nur telefonieren und Nachrichten schreiben kann – und müssen uns, ob unserer vielen Handyfotos und Social Media-Postings, die wir in den letzten Stunden gemacht haben, den Spiegel vorhalten lassen. Würden wir dieses schlichte Gerät kaufen, das, ebenso wie die „Axor One“, die Dinge in unserer hochtechnologisierten Welt einfacher und direkter gestalten will? Vielleicht würden wir wenigstens im Straßenverkehr etwas aufmerksamer sein? Das Londoner Asphalt-Tattoo „Look here“ wollten wir dennoch nicht missen.

Nur telefonieren und SMS schreiben: das neue „MP 01“ Mobiltelefon von Jasper Morrison für den Schweizer Hersteller Punkt.. Foto © Martina Metzner, Stylepark

Oft steht, auf den Asphalt an Fußgängerüberwegen in London geschrieben und mit einem Pfeil versehen, „Look here“, um Besucher vom Kontinent auf den Linksverkehr aufmerksam zu machen. Dennoch will es uns auch am dritten Tag unserer Tour rund um das London Design Festival nicht immer gelingen, in die richtige Richtung zu schauen. Überhaupt ist diese Stadt schnell und vibrierend, schräg und traditionell. Wir, das ist eine Gruppe von deutschen Architekten und Innenarchitekten, die auf Einladung des Armaturen-Hersteller Axor eingeladen wurde, beim Design Festival Eindrücke zu sammeln und bei der Premiere des neuen, von Barber Osgerby gestalteten Bedienelements „Axor One“ dabeizusein.

3