Über den Preis mag man streiten, über seinen diesjährigen Empfänger kaum. Der in London lebende Australier Marc Newson erhielt in Hamburg den mit 50.000 Euro dotierten Lucky Strike Designer Award. Allenfalls ließe sich fragen, warum er mit diesem Preis erst 2011 als einundzwanzigster in einer langen Reihe herausragender Designer, Modemacher, Fotografen und Vermittler geehrt wurde. Womöglich hat es mit Design zu tun, dass die Marke „Lucky Strike" im Nachkriegseuropa zur Schmuggel- und Ersatzwährung wurde, etwa mit ihrem klaren Markenbild. Designer Raymond Loewy hatte es 1940 entworfen; es setzte sich durch, weil es prägnanter, besser und billiger als der Vorläufer war. Im Europa des Jahres 2011 glaubt niemand mehr so recht an die gestalterische Innovationskraft der Tabakindustrie, die dennoch weltweit blendende Renditen einfährt. Geraucht wird in Zeiten von Krisen, von politischen und sozialen Umbrüchen wie eh und je.
1991 rief British American Tobacco den „Lucky Strike Designer Award" ins Leben, um die Zigarettenmarke „Lucky Strike" im Umfeld der Kreativen neu zu positionieren. Erfreulich ist, dass man trotz eines veränderten Umfelds an der Auszeichnung festhält. Traurig allerdings, dass von der Eloquenz der Reden, die einst die Preisverleihungen der Raymond Loewy Foundation prägten, kaum noch etwas zu spüren ist. Seit einigen Jahren sind Stiftungspräsident Welfhard Kraiker und Juryvorsitzender Michael Erlhoff nicht mehr dabei und die Veranstaltung verlor spürbar an Profil. Nicht einmal eine Laudatio gibt es mehr. Neben Newson, der im Gespräch mit Jury-Mitglied Grit Seymour seine Arbeit erläuterte, vermochte einzig Nils Jockel, der Designexperte des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe, mit einer kurzen Rede, das Publikum zu fesseln. Er erinnerte an Worte und Wirken von Kurt Weidemann, den im März verstorbenen Preisträger von 1995 und späteren Juror des Awards. Ansonsten wurde gespart: Die Preisverleihung wechselte von der Spree an die Elbe, von Berlin ins Hamburger Stilwerk. Der Nachwuchspreis – er geht dieses Mal an Felix Krinke aus Aachen – wird erstmals zusammen mit dem Hauptpreis vergeben.
Vor einer Dekade sah man Marc Newsons Werk hauptsächlich als Verkörperung des Zeitgeists, tatsächlich ist es vielschichtiger. Newson ist ein Industrial Designer, der nie Design studierte, er ist Silberschmied und absolvierte am Sydney College of the Arts ein Studium in Schmuckdesign und Bildhauerei. Heute wechselt er zwischen schnellen und zeitraubenden Projekten, zwischen dem Entwurf von Industrieprodukten für den Alltag und Objekten, die wie Kunst vertrieben werden. So präsentierte er die limitierte Edition seiner speziell ausgestatteten Version des Sportboots „Aquariva" in der New Yorker Galerie Gagosian.
Zusammenhänge begreifen
Als ersten Versuch ein eigenes Objekt zu schaffen, nennt er die Uhr seines Onkels. Er war höchstens neun Jahre alt, zerlegte sie, gab dem Uhrwerk ein neues Gehäuse aus Kunststoff, das er mit einfachsten Mitteln in Form gebracht hatte. Deckel und Boden versah er mit Plexiglas, damit man hineinsehen konnte. Im Rückblick erklärt Newson, wie wichtig es war, dem teuren Gegenstand respektlos zu begegnen, mit dem Vorsatz ihn zu verändern. Es war eine typisches Jungensprojekt: „Ich wollte mechanische Zusammenhänge begreifen." Design oder Ästhetik besaßen in Australien zur Zeit seiner Jugend keinen besonderen Stellenwert. Darüber zu träumen, wie Dinge aussehen sollten, war für Newson die relevante Beschäftigung.
Andere Regeln im digitalen Zeitalter
Für Newson war die Mondlandung ein einschneidendes Erlebnis. Sie schlägt sich bis heute in seinen Entwürfen nieder. Wichtiger ist ihm der Zusammenhang: „Ich wuchs zu einer Zeit und in einer Gegend auf, in der eine optimistische Grundhaltung zur Zukunft bestimmend war", erinnert er sich. Anders als heute stellte man sich die Zukunft futuristisch vor. Heute gelte die Zukunft zumindest als unsicher. Besser, man begegnet ihr pessimistisch. Womöglich sei dies die realistischere Einstellung. Eine Einsicht, die sich allerdings nicht auf Newsons Entwürfe auswirkt. Da man als Kreativer in der Kindheit geprägt werde, sei es für einen Designer „meiner Generation viel einfacher, einen Sinn für Fantasie zu entwickeln." Im mechanischen Zeitalter, ist Newson überzeugt, gelang dies leichter als nun im digitalen, dessen Regeln unangreifbarer erscheinen.
Materialistisch denken
Als Bausteine, als Spielmaterial, mit dem er sich ausdrückt, sieht Newson die Materialien, mit denen er operiert. „Ich nutze sie, um zu kommunizieren. Wie ein Autor, der aus Worten Sätze formt." Verständnis und Interesse für Materialien hält er für Grundlagen jeder Entwurfsarbeit. Wie er mit ihnen umgeht, unterscheidet sich je nach Aufgabe. Da sind etwa die Projekte „an der Grenze zwischen Skulptur und Design", für die es nur wenige Restriktionen gibt. Doch seine Hauptaufgabe als Designer sei es mit Industrieunternehmen zu arbeiten, etwa Flugzeugherstellern wie Airbus und Fluggesellschaften wie Qantas. Briefings setzen dabei enge Vorgaben. Materialien spielen eine untergeordnete Rolle. „Sie stehen in enger Verbindung mit dem Problem, das es zu lösen gilt. Man sollte sie nie um ihrer selbst willen einsetzen."
Welche Rolle spielt für Newson der häufige Wechsel zwischen Betätigungsfeldern vom Möbeldesign, von Mode und Schmuck zu technisch geprägten Entwürfen für Flugzeuge, Boote und Autos; zwischen Unikat und Serienprodukt? „Für mich handelt Design von der Möglichkeit, all diese Dinge zu schaffen. Ich sehe keine prinzipiellen Unterschiede zwischen einem Mobiltelefon und einer Tasse. Was sich unterscheidet, sind Material, Maßstab und Funktion. Es wäre langweilig, sich ein Leben lang auf den Entwurf von Stühlen zu kaprizieren."
Vom Sinn für Dringlichkeit lernen
Mode ist etwas anderes. „Ich bin kein Modedesigner, fand es aber interessant, als ich vom niederländischen Bekleidungshersteller G-Star gefragt wurde, ob ich ein oder zwei Kollektionen entwerfen wolle." Man kann Mode nicht vermeiden. „Für Männer wie mich gibt es zu wenig Auswahl." Ein Argument, das Angebot auszuweiten. Am Abend der Preisverleihung trägt er einen leuchtend gelben Anzug, nicht selbst entworfen. „Es ist keine Raketenwissenschaft", sagt Newson, der für EADS schon ein Spaceplane für den Flug in die Stratosphäre entwarf, „aber eine komplett andere Industrie." Newson schätzt den Kontrast zu seinen übrigen Projekten, die im Durchschnitt etwa drei Jahre in Anspruch nehmen. „Mode ist sehr leicht und schnell." Für die Modeindustrie zu arbeiten, gibt ihm Kraft. Designer wie Unternehmen könnten zudem viel von dem Sinn für Dringlichkeit lernen, der in der Modeindustrie vorherrsche.
Eher symbolisch sieht sich Marc Newson von Raymond Loewy beeinflusst. „Er gehört einer gänzlich anderen Generation an", sagt Newson. Er lebte in einer Ära, die sich als visionär verstand. „So wie meiner Generation die Zukunft als futuristisch erschien, so galt das für ihn und seine Zeit umso mehr. Alles was er tat, hing mit der Zukunft zusammen und wie wir darin leben wollten." Designer seien heute viel mehr an der Gegenwart als an der Zukunft orientiert. „Es gibt eine große Unmittelbarkeit," konstatiert Newson. Loewy war einer der „Begründer der Designindustrie, wie wir sie heute kennen. Und zudem war er eine wunderbar extravagante Persönlichkeit," er war ein Lifestyle-Designer, der seine eigenen Autos entwarf. In gewisser Weise war er sein eigener idealer Konsument, der Entwürfe mit einer Art Checkliste darauf überprüfte, ob sie sich in Bestehendes einfügen ließen. „Er hatte einen Sinn für Theatralische, für Opulenz und Luxus. Aber zugleich war er ein sehr guter Designer."