Der Versuch einem vergessenen Stadtteil neues Leben einzuhauchen, kann leicht missglücken. Wie entwirft man ein urbanes Wahrzeichen mit starker Identität, welches das Potenzial des Standortes ausschöpft und sich zugleich in die bestehende Bebauung eingliedert? Central Saint Giles in London, Renzo Pianos neues Bauprojekt, das sowohl Büroflächen als auch Wohnungen und Geschäfte aufnimmt, verleiht dem Areal zwischen Covent Garden, Bloomsbury und Soho eine neue Bedeutung.
Renzo Piano, wie auch Rogers und Foster, entwickelten vor vier Jahren jeweils einen Masterplan für dieses Areal; Piano gewann den Wettbewerb. In der Saint Giles High Street stand einstmals ein grauer Gebäudekoloss aus den sechziger Jahren. Bestimmte existierende bauliche Muster wurden in Pianos Masterplan aufgegriffen, so korrespondiert die Hauptzugangsroute beispielsweise mit dem Durchgang durch den Kirchgarten auf der anderen Seite der Straße.
Um den Entwurf auf der historischen Saint Giles High Street realisieren zu können, mussten nicht nur Gemeindeinstitutionen vor Ort beschwichtigt werden, sondern auch der englische Denkmalschutz. Überdies galt es, den komplexen Räumlichleiten gerecht zu werden: Der Bereich wird durch eine Einbahnstraße mit einigen Läden, Restaurants und Wohngebäuden und südlich durch den neuen Molteni/Dada-Showroom mit seinen großen Glasfassaden beherrscht. Eine Kirche und der dazugehörige Garten werden von dem nunmehr unter Denkmalschutz stehenden Bürogebäude „Centrepoint" aus den sechziger Jahren überragt, während das Areal im Nordwesten durch den zukünftigen Bahnhof an der Tottenham Court Road flankiert wird.
So wie das Projekt jetzt umgesetzt wurde, gruppieren sich um einen öffentlich zugänglichen Innenhof auf über 120.000 Quadratmetern verschiedene Bürogebäude, Läden und Wohnblocks. Im Zentrum erhebt sich ein vollständig verglaster Trakt mit Restaurants und Läden. Ein öffentlicher Weg verläuft durch das Areal, der zum öffentlichen und von Licht durchfluteten Innenhof, dem „Princes Circus", führt.
Ein besonderer Blickfang sind die in lebhaften Farben gehalten Fassaden aus Keramikfliesen, die wie Piano findet, zu „schweben" scheinen. Die zur Straßenseite und nach Innen gerichteten Gebäudefronten sind in unterschiedlichen Winkeln zueinander positioniert. Zudem unterscheiden sie sich farblich und in ihrer Größe voneinander. Jede Fassade zieht das Licht auf ihre eigene Weise an und verleiht der Architektur eine entsprechende Dynamik. Leicht zurückgesetzte, schmale Fassadenabschnitte der einzelnen Einheiten sind durchgehend verglast und mit Fensterpfosten mit Zinnen versehen. So kann Licht in die Tiefe der Gebäudestruktur einströmen und der Panoramablick bleibt ungetrübt. Dieses Vorgehen wählte Piano auch bei dem wahrscheinlich 2012 fertig gestellten Wolkenkratzer „Shard of Glass" an der London Bridge, um die Leichtigkeit der Architektur zu gewährleisten.
Die Durchlässigkeit der Öffnungen zwischen den Gebäuden sowie die immense Höhe der verglasten Einheiten entfalten für den Besucher auf Bodenhöhe eine spektakuläre Wirkung. Vom Innenhof zwischen den Gebäuden aus, der mit Sitzgelegenheiten, Bäumen und einigen Skulpturen verschönert wurde, kann man einen flüchtigen Blick auf die umgebenden Straßen werfen. Eine etwa 1.900 Quadratmeter große Lobby erstreckt sich nördlich des offenen Eingangs auf der Südseite. Sie ist mit verglasten Platten mit abgesetzten Luftschlitzen, schlanken Säulen und Hängeleuchten, entworfen von Renzo Piano, ausgestattet. Eine Mischung aus speziell angefertigten Designelementen, einschließlich Bodengittern, glasierten Keramikfliesen, von Hand poliertem Wandverputz und Punktstrahlern.
Die Nachhaltigkeitsstrategie umfasst eine Doppelfassade sowie ein begrüntes Dach, ein System für die Nutzung des Regenwassers und eine Biomassekesselanlage, die Wärme generiert. Fast alle der im Gebäude verwendeten Materialien sind wieder verwertbar.
Die Umsetzung des Entwurfs hat 170 Millionen Pfund gekostet. Es ist eher unwahrscheinlich, dass man eine solche Summe gegenwärtig in ein Projekt mit einem derartigen Gestaltungsniveau und öffentlichen Wert in Central London investieren würde. Renzo Pianos Fähigkeit, mit komplexen Formen und Details umzugehen, wird von seinem Bestreben bestimmt, in einem grauen, seelenlosen Kontext einen authentischen Ort schaffen zu wollen. Während die Farbgebung einige Diskussionen auslöste, lag jener Blogger, der die Fassaden als „frech" und sehr „London-like" bezeichnete, genau richtig. Vielleicht vermag es Renzo Piano in die Seele Londons zu blicken.