top
Pavillon von UN Studio und MDT-Tex für das Amsterdam Light Festival

Stylepark Techtextil
Wie ein Wesen aus der Tiefsee

Beim Entwurf des Informationspavillons für das Amsterdam Light Festival haben sich UN Studio und MDT-tex von Leuchtfischen aus den Untiefen des Meeres inspirieren lassen.
13.04.2017

Seit sechs Jahren findet in Amsterdam jedes Jahr zwischen November und Januar, wenn es besonders kalt und dunkel ist, das Amsterdam Light Festival statt. Eine wechselnde Jury sucht dafür jeweils die besten Vorschläge zu einem bestimmten Oberthema aus. Die Kunstwerke werden dann in der Innenstadt aufgebaut und können kostenlos besichtigt werden. Aber auch wenn keine Tickets für die Ausstellung selbst erworben werden müssen braucht doch jedes Festival einen zentralen Informationspunkt, an dem sich die Besucher über die Kunstwerke und die möglichen Routen informieren können. Im November 2016 wurde dieser temporäre Pavillon an einem der belebtesten Verkehrsknotenpunkte von Amsterdam, dem Waterlooplein, aufgebaut, am östlichen Ende der Blauwbrug und direkt gegenüber der Amsterdamer Oper. 

Für die Gestaltung des Pavillons hatten die Veranstalter UNStudio angefragt, das Architekturbüro von Ben van Berkel und Caroline Bos, das ebenfalls in Amsterdam sitzt. Für UNStudio kam die Anfrage zu einem günstigen Zeitpunkt, denn das Büro definiert sich nicht nur als bauendes, sondern auch als forschendes Architekturbüro, dass im Austausch mit Wissenschaftlern und Experten anderer Disziplinen die eigene Architektur in Sachen Materialverwendung und Konstruktionsmethodik auf dem jeweils neuesten Stand halten möchte.

Im Rahmen dieser Forschungen hatte UNStudio 2013 in Kooperation mit MDT-Tex, dem deutschen Spezialisten für textile Strukturen, begonnen, ein neues, visionäres Fassadensystem mit textilen Bestandteilen zu entwickeln, das „Cirrus System“. Dieses gemeinsam entwickelte System soll für die Ästhetik, Funktionalität und Flexibilität textiler Architektur neue Standards setzen – und der temporäre Informationspavillon des Lichtfestivals bot nun einen perfekten Anlass für einen ersten Prototypen von „Cirrus“.

Das Leitmotiv für das Festival lautete „Biomimicry“ und daraus entwickelten die beiden Büros einen Pavillon, der prinzipiell aus zwei schlichten Würfeln besteht, die aber gegeneinander verdreht und natürlich von innen beleuchtet werden. So entstand eine komplexe, dreidimensionale Form, die mit ihren verschiedenfarbigen, pulsierenden Lichtwechseln nachts über dem dunklen Wasser der Amstel tatsächlich an bestimmte, selbstleuchtende Tiere der Tiefsee erinnerte. Oder, wie Ben Van Berkel den Pavillon erklärte: „Similar to deep sea creatures that use bioluminescence to signal, attract and inform, the Eye_Beacon uses choreographed light sequences to alert visitors to its dual function as both a sculpture and an information point for the festival.“

Zwar saßen die Serviceschalter für das Festival letztlich in einem schlichten Standardcontainer. Um diesen herum allerdings wand sich eine effektstarke Struktur, die im Prinzip als offenes Gerüst konstruiert wurde, das, um dem Bild der beiden gegeneinander verdrehten Würfel zu entsprechen, mit insgesamt 316 mit zugfestem Textil bespannten Stahlpaneelen verkleidet wurde. Aufgrund der komplexen Gesamtform musste jedes Paneel als Einzelstück mit immer neuen Abmessungen produziert werden, das verursachte außerdem 276 unterschiedliche Winkel bei den Eckverbindungen. Nur der komplett parametrisierte Entwurfs-, Produktions- und Montageablauf von MDT-Tex machte diesen Bau im Kosten- und Zeitrahmen möglich, da die Firma alle Module in ihrem Stammwerk in Hardheim selbst produzierte und anschließend in Amsterdam montierte. 

Der temporäre Pavillon wurde sowohl von UNStudio als auch von MDT-Tex als Forschungsprojekt in eigener Sache gebaut – als Demonstrationsobjekt, das die Eigenschaften von textil umhüllter Architektur vor Augen führt: die sichtbare Leichtigkeit und die Formenvielfalt, die letztlich aus zwei- und dreidimensionalen Modulen erzeugt wurde. Auch wenn der Pavillon bei Tag nicht leuchtete –die skulpturale Form ließ ihn aus jeder Blickrichtung stets anders erscheinen. Die über die Oberfläche verteilten Öffnungen in seiner textilen Haut ließen kurze Blicke ins Innere der Struktur zu und erinnerten gleichzeitig an die Kiemen eines lebendigen Organismus – von dem man sich auch nicht besonders gewundert hätte, wenn er zum Ende des Festivals im Januar 2017 kopfüber in die Amstel gesprungen und davon geschwommen wäre, zurück in die Tiefsee aus der er stammte.     

Die Entwicklung von Cirrus läuft derweil weiter: derzeit werden mehrere gemeinsame Projekte von UNStudio und MDT-Tex geplant, die noch dieses Jahr zu einer öffentlichen Präsentation des gesamten Systems führen sollen. Das nächste Pavillonprojekt wird auf der Techtextil-Messe in Frankfurt präsentiert werden – in einem Messe-Bereich, der sich dem Leben auf dem Mond widmen wird. (sp)