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Ein Sofa ist wie eine Insel
von Uta Abendroth | 04.02.2013

Uta Abendroth: Herr Gomez, Sie waren Opernsänger und entwerfen heute Möbel. Wie ist es zu dem Wechsel der Profession gekommen?

Didier Gomez: Das mit der Oper ist lange her… Ich fühlte, dass ich mich mit Singen nicht so ausdrücken konnte, wie ich es gerne wollte und wie ich es brauchte. Etwas in mir verlangte noch nach etwas anderem.

Spielt Musik denn heute noch eine Rolle in Ihrem Leben?

Gomez: Oh ja! Eine sehr große sogar. Ich höre den ganzen Tag Musik, auch wenn ich entwerfe. Je nach Stimmung höre ich Jazz, klassische Musik, ganz verschiedene Stilrichtungen.

Immerhin hat Sie die Musik ja nach Paris gebracht.

Gomez: Das stimmt. Ich stamme ursprünglich aus Spanien, bin aber schon mit achtzehn Jahren nach Paris gezogen – und dageblieben. Es hat sich alles so gefügt. Ich habe angefangen als Designer zu arbeiten und dann ist auch noch Innenarchitektur dazugekommen.

Und das sehr erfolgreich. Sie haben Firmensitze, Läden, Büros, Hotels, Restaurants und Privathäuser für internationale Top-Marken und Prominente wie Yves Saint-Laurent, Pierre Berger, Daniel Auteuil, De Beers, LVMH, Kenzo, Dior, Cartier und viele andere eingerichtet, sogar das Pariser Apartment des Hollywood-Stars Harrison Ford. Selbst die Ladengalerie unter der gläsernen Pyramide des „Louvre“ wurde von Ihnen mitgestaltet.

Gomez: Ja, da hat sich eines aus dem anderen ergeben, so etwas kann man nicht planen. Und wissen Sie was? Ich denke, meine Kunden wissen, dass ich mit einer großen Portion Natürlichkeit und Einfachheit an meine Projekte herangehe. Ich meine das so: Perfektion ist absolut langweilig, ich finde sie sogar unmenschlich. In all meinen Entwürfen steckt deshalb etwas Unfertiges, etwas weniger Perfektion, ein „Fehler“, wenn Sie es so nennen wollen. Nur so kann sich ein Benutzer oder Bewohner mit den Objekten in seinem Umfeld – oder überhaupt in seiner Wohn-Umgebung – wohlfühlen. Es geht mir nie um das Glatte, Perfekte. Mein Design soll die Seele der Menschen berühren. Das ist möglicherweise etwas, was ich aus der Musik mitgenommen habe.

Wohnen Sie selbst denn auch mit Ihren Möbeln?

Gomez: Ich wohne mit einem ganzen Sammelsurium, in einem totalen Mix. Ich hatte das Glück, für Yves Saint Laurent zu arbeiten. Er hat mir Sachen geschenkt, die er von seinen Reisen mitgebracht hatte, Asiatika vor allem, die ich mir selbst so vielleicht nicht gekauft hätte. Aber sie sind sehr wertvoll für mich und haben deshalb einen besonderen Platz in meinem Leben. Einige Bilder habe ich auch von ihm, das ist wunderbar! Außerdem liebe ich französische Möbel aus dem 18. Jahrhundert, davon habe ich das eine oder andere Stück in meine Einrichtung integriert. Aber der wichtigste Platz im meinem Zuhause ist das Sofa, dort spielt sich alles ab.

Was macht ein Sofa für Sie zu einem guten Sofa?

Gomez: Der Komfort! Mir geht es nicht um die Struktur oder eine aufwendige Konstruktion. Ein Sofa ist für mich wie eine Insel, deshalb muss es bequem sein, mit dicken Kissen versehen. Außerdem sollte es sehr gut verarbeitet sein und sich in jede nur denkbare Einrichtung einfügen können. Natürlich ist es ein skulpturales Objekt, es braucht ja Raum. Aber gerade deshalb bin ich dafür, dieses Möbel so unaufgeregt und ruhig zu gestalten wie nur möglich.

Auf der imm Cologne hat Ligne Roset Ihr neues Sofa „Nils“ vorgestellt. Was ist das besondere daran? Und warum hat es einen skandinavischen Vornamen?

Gomez: „Nils“ ist ein unglaublich bequemes Sofa, denn sowohl der Korpus als auch die Kissen sind – in separaten Kammern – mit Gänsedaunen und -federn gefüttert. Auf Grund dieser weichen Polsterung, trägt es auch seinen Namen: „Nils“ ist eine Hommage an Nils Holgersson, den vierzehn Jahre alten Jungen, den die Schriftstellerin Selma Lagerlöf vor mehr als hundert Jahren in einem Roman mit Wildgänsen durch ganz Schweden reisen ließ.

„Nils“ ist nicht Ihr erstes Sitzmöbel für Ligne Roset?

Gomez: Nein, unsere Zusammenarbeit begann 1986 mit dem Modell „Nomade“. Dessen Sitzfläche war abgesteppt wie eine Matratze und erinnerte vage an orientalische Sofas. Das Modell damals war recht flach. Diese Komponente schlägt einen Bogen zu „Nils“, einem Sitzmöbel mit einer eher niedrigen Linienführung. Wer mag, kann für die Füße, die man unter dem Korpus mehr ahnt als sieht, zwei verschiedene Höhen wählen, entweder drei oder fünf Zentimeter.

Zwischen den beiden Modellen gab es auch solche mit geschwungener Silhouette, etwa das Sofa „Belem“ oder den Sessel „Rive Droite“.

Gomez: Ja, das ist richtig. Aber die Art, wie wir heute ein Sofa benutzen, hat sich auch total verändert. Wir nehmen die Füße mit auf die Polster, stellen mal ein Tablett darauf, legen auf den breiteren Lehnen etwa ab, und machen das Möbel somit zu einer Art Wohn-Basis. Also müssen Bestandteile wie Rücken- und Armlehnen sowie die Sitzfläche eher rechteckig und gerade sein, sonst funktioniert das alles nicht.

Alles schlicht und geradlinig, wo bleibt da die sprichwörtliche französische Eleganz?

Gomez: Die liegt in den harmonischen und ausgewogenen Proportionen sowie in der weichen Anmutung, ganz gleich ob beim Sofa, dem Sessel, der Meridienne, dem Liegesofa oder dem Hocker. Wenn Sie sich das Sofa aus der Nähe anschauen, sehen sie, wie fein die Nähte gearbeitet sind. Besonders schön ist die Doppelziernaht der Rückenkissen.

„Nils“ gibt es mit verschiedenen Bezügen wie Leder, Mikrofaser, dicken Flachgeweben oder Chenille. Haben Sie da eine Vorliebe?

Gomez: Tatsächlich mag ich die Stoffbezüge am liebsten, die fassen sich so gut an.

Was inspiriert Sie?

Gomez: Vor allem auf meinen Reisen sammle ich viele Eindrücke, die dann in mein Design einfließen. Überall auf der Welt beobachte ich die Menschen und die Art, wie sie leben.

Und worin liegt für Sie die Herausforderung im Design?

Gomez: Meine Beobachtungen umzusetzen. Jedem einzelnen Projekt liegt eine genaue Analyse zu Grunde. Ich möchte aus meinen Impressionen etwas Frisches entwickeln, etwas, das eine eigene Identität ausbildet. Und natürlich spielen da auch meine Wurzeln eine Rolle, die andalusische Kultur, die viel Orientalisches in sich birgt. Dann ist da noch meine bereits erwähnte Hochachtung für die französischen Möbel des 18. Jahrhunderts. Und das Bauhaus schätze ich ebenfalls. Aus all dem, was in mir ist, versuche ich meine ganz persönlichen Entwürfe zu entwickeln.

Haben Sie Vorbilder für Ihre Herangehensweise?

Gomez: Ich weiß nicht, wie andere Kreative an ihre Projekte herangehen. Aber ich bin ein großer Bewunderer von Ron Arad. Seine skulpturenhaften Entwürfe finde ich großartig. Und ich mag Philippe Starck. Ich habe das Glück, ihn auch als Privatperson zu kennen, die ganz anders ist, als der öffentliche Philippe Starck. Er ist ein bewundernswertes Multitalent, besitzt großes Gespür – und er hat unglaublich viel für das Design getan.

Sie sind schon so lange in Paris, da werden sie glatt als Franzose gehandelt. Aber da gibt es noch einen anderen Ort, der in Ihrem Leben eine große Rolle spielt.

Gomez: Das ist richtig. Ich habe Brasilien und vor allem Rio für mich entdeckt ...

Wo Sie sich ein zweites Leben aufgebaut haben...

Gomez: Naja, mein Lebensmittelpunkt ist nach wie vor Paris, wo ich mein Studio mit 25 Mitarbeitern habe. Aber auch in Rio habe ich ein Zuhause und ein Büro mit einem achtköpfigen Team. Es gibt da wahnsinnig viel zu tun: Südamerika ist so lebendig und dort passiert im Moment einfach sehr viel. Außerdem sind die Menschen dort so aufgeschlossen, so jung und so lebensfroh! Das macht richtig gute Laune – so wie ihre Musik.

www.didiergomez.com