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Ein Schnellhase mit Profil
von Thomas Edelmann | 08.04.2011

Die Zeichen, die er setzte, sind einfach. Als die Deutsche Bahn 1994 ein neues Logo brauchte, weil sie an die Stelle von Bundesbahn und Reichsbahn trat, vereinfachte Weidemann die alte Marke, die noch aus dem Dampflokzeitalter stammte. Die negative Schrift setzte er positiv und modernisierte sie moderat, aus Schwarz wurde Rot. Keine grundstürzende Neuerung, aber eine, die das Bahn-Logo auch in Zeiten von Kopierer und Internet in allen Größen und Anwendungen lesbar hält. „In der Typographie gibt es so wenig grundsätzlich neu zu erfinden, wie in der Kochkunst oder im Bett", behauptete Weidemann. Als ihn sein Auftraggeber auf die drei gekreuzten farbigen Striche für die Bankgesellschaft Berlin anspricht: „Da ist Ihnen aber nicht sehr viel eingefallen, Herr Professor", antwortet er: „Darauf bin ich besonders stolz, ein Zeichen ist gut, wenn man es in den Sand kratzen kann!" Da ahnte er noch nicht, dass die Bankiers ihr Institut kurze Zeit später so komplett in den Sand setzen würden, dass die Berliner Staatsfinanzen auf Jahrzehnte ruiniert sind. Sein Logo wandelte sich zum Erkennungszeichen des Skandals – und funktionierte so immer noch.

Kurt Weidemann sonderte unterhaltsame Lehrsätze ab, wie andere leere Sprechblasen. Schon bei der Schriftsetzerprüfung galt er als „Schnellhase", der 1.400 Buchstaben in der Stunde von Hand setzen kann. Schrift und Sprache haben Weidemann schon immer fasziniert. Er hatte zuviel erlebt, um brav zu sein. Das machte ihn als Freund und Gesprächspartner für Unternehmer und Konzernchefs attraktiv. „Angstgrenzen zur Wahrheit geduldig abzubauen", schrieb er, „das gibt Profil." Auf seinem Briefkopf prangte das Bild eines Narren, der gemächlich neben dem König einher spaziert. Er war kein Jasager. „Wer schon zu Lebzeiten das Maul hält, wo er etwas sagen müsste oder etwas zu sagen wüsste, ist bereits eine Leiche auf Abruf."

Weidemann wuchs in Armut auf, als seine Mutter starb, war er gerade elf. Mit siebzehn wurde er 1940 Kriegsfreiwilliger. „Für mich war der Heldentod eine fest programmierte Zielsetzung, der ich nirgends ausgewichen bin, ohne sie geschafft zu haben." 1943 wurde er in einem Bunker verschüttet, verlor zeitweise seine Sprache. „Ich hätte lieber irgendwo ein Loch gehabt, das zuheilt, oder den Arm in Gips." In russischer Kriegsgefangenschaft arbeitete Weidemann als Steinbruch- und Straßenbauarbeiter. Nach der Rückkehr der denkbar größte Kontrast: Von der Grob- zur Feinmotorik, in Lübeck, wo er aufwuchs, machte er 1951 eine Schriftsetzerlehre. „Nachdem ich in der Gefangenschaft Jahre unter freiem Himmel gearbeitet habe, wollte ich einen Beruf mit Dach überm Kopf." Anschließend studierte Weidemann an der Akademie in Stuttgart Gebrauchsgrafik, wo er von 1963 bis 1983 den Lehrstuhl für Information und Graphische Praxis innehatte. Er war Schriftleiter der Fachzeitschrift „Druckspiegel", arbeitete als Texter und Werbeberater und wurde später Präsident von internationalen Grafiker- und Typografenverbänden. Den Auftrag zur Neugestaltung des Erscheinungsbilds der Post gab er Mitte der siebziger Jahre zurück, weil die sich partout vom traditionellen Posthorn trennen wollte. „Der Auftritt", sagte Weidemann über Voraussetzungen von Erscheinungsbildern in einem Interview, „bildet sich zunächst durch die eigenen Leistungen heraus und nicht durch einen Schönheits-Chirurgen für die grafische Gestaltung." 1990 überarbeitete Weidmann Schriftzug, Farbe und Wappen von Porsche. Er freundete sich mit Alfred Herrhausen an, noch bevor dieser zur Deutschen Bank kam. Nach Herrhausens Ermordung durch die RAF gab Weidemann dessen Schriften heraus. Durch Herrhausen war er in Kontakt mit Edzard Reuter gekommen und entwickelte für Daimler Benz die Schrifttrilogie „Corporate A, S, E", die in unterschiedlichen Ausprägungen, mal moderner, mal klassischer auftreten kann.

Er gestaltete Bücher und Schutzumschläge, unter anderem für die Büchergilde Gutenberg, Ullstein, Propyläen, Ernst Klett, Thieme und den Siedler Verlag. Für die Deutsche Bibelgesellschaft entwickelt er 1979 eine neue Schrift, ursprünglich „Biblica", später „ITC Weidemann" genannt, mit der, bei verbesserter Lesbarkeit, mehr Lettern auf eine Seite passen, „dadurch werden die Leute frommer, weil die in der gleichen Zeit automatisch noch mehr über ihr Seelenheil lesen können." In den späten achtziger Jahren kämpft er gegen „Künstler, die sich in unseren Beruf verirrt haben" wie Neville Brody und David Carson. „Der Gestalter hat sich nicht zwischen den Autor und den Leser zu drängen. Er muss zwischen beiden vermitteln", sagte Weidemann und es scheint zunächst ein Kampf gegen Windmühlenflügel. Doch von Brody und Carson ist heute kaum noch die Rede. Weidemann stellte bereits 1967 fest: „Alles, was brillant oder extrem andersartig ist, hat bestenfalls eine kurzlebige Gegenwart, aber keine Zukunft. Es widersetzt sich Auftrag und Wesen der Typographie." Weidemann versammelte seine unterhaltsamsten Merksätze, Reden und Interviews in etlichen Büchern. Sein Lehrbuch „Wo der Buchstabe das Wort führt" dokumentiert sein Werk und regt junge Gestalter an, denen er auch als Lehrer an verschiedenen Hochschulen diente. Von einem Herzinfarkt erholte er sich, indem er seine Feldtagebücher edierte, „Kaum ICH" heißt der Band, der 2002 zu seinem achtzigsten Geburtstag erschien. Kurt Weidemann, 1922 im masurischen Eichmedien geboren, starb am 30. März in Sélestat im Elsass. Seine präzise Schlagfertigkeit wird fehlen, auch sein Insistieren auf Bewährtem, wenn es das Richtige ist.