Seine große Zeit hatte der Gestalter Herbert Hirche (1910 bis 2002) zwischen den fünfziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Damals gehörte der als Möbeldesigner, Innenarchitekt, Architekt, Ausstellungsgestalter, Hochschullehrer und Verbandsfunktionär tätige Bauhaus-Schüler zu den zentralen Figuren der westdeutschen Designszene. Er entwarf Möbel für Firmen wie Wilkhahn, Wilde+Spieth, Walter Knoll und Christian Holzäpfel. Er war mit dem Musikschrank HM 5-7 (1957) und dem Fernsehgerät HF1 (1958) ein Pionier des heute wieder so populären Braun-Designs. Er gestaltete wichtige Design-Ausstellungen wie etwa „Gute Industrieform" in Mannheim (1952) oder „Schönheit der Technik" im Landesgewerbeamt Stuttgart (1953). Er nahm 1957 an der Interbau in Berlin, 1958 an der Brüsseler Weltausstellung sowie an mehreren Triennalen in Mailand teil. Er bildete als Professor für Innenarchitektur und Möbelbau an der Staatlichen Akademie der Künste in Stuttgart ganze Generationen von Designerinnen und Designer aus. Und er übte schließlich durch seine Mitgliedschaft im Rat für Formgebung, im Verband Deutscher Industriedesigner und im Werkbund einen gewichtigen Einfluss auf die Entwicklung der Designwelt aus.
Herbert Hirche, der zunächst eine Tischlerlehre absolvierte, dann am Bauhaus bei Mies van der Rohe und Lilly Reich studierte und anschließend in deren Büro beschäftigt war, hat während des Zweiten Weltkriegs bei Egon Eiermann und später unter Hans Scharoun gearbeitet. Das erklärt seine Prägung durch die Klassische Moderne, deren Ideale er sein Leben lang hochhielt und deren - politisch unbelastete - Tradition er im Nachkriegsdeutschland fortschrieb. Darin liegt einerseits seine Bedeutung für die Entwicklung des Designs in der jungen Bundesrepublik und zugleich seine Begrenzung. Denn Hirche hat sich, es sei dahingestellt ob bewusst oder unbewusst, vom gestalterischen Credo seiner Meister niemals emanzipiert. Seine puristischen Designphilosophie, die in einer einfachen Formensprache und einer klaren Betonung der Funktion zum Ausdruck kam, passte perfekt in die Zeit des Wiederaufbaus und Neubeginns nach dem Krieg. Schon Ende der sechziger Jahre aber entsprach sie nur noch bedingt dem sich wandelnden Zeitgeist. Symptomatisch hierfür ist vielleicht die Entscheidung des Hamburger Nachrichtenmagazins „Der Spiegel", das Interieur seines gerade fertig gestellten neuen Bürogebäudes nicht von Hirche, sondern von Verner Panton gestalten zu lassen. Dessen unkonventionelles, farbenfroh verspieltes Design ist ja gleichsam als Antithese zum nüchternen Funktionalismus zu lesen, auf dem Hirche beharrte.
Auch wenn einige von Hirches Entwürfen - allen voran die Braun-Geräte, der Barwagen aus stählernen Winkelprofilen und Riffelglas und der ursprünglich für die Berliner Bauaustellung „Interbau" entstandene Polstersessel mit Stahlrohruntergestell - in manchen Museumssammlungen vertreten sind und in fast keiner Abhandlung über das deutsche Nachkriegsdesign fehlen, ist sein Name heute nur noch einem vergleichsweise kleinen Kreis designhistorisch interessierter Menschen ein Begriff. Vor diesem Hintergrund erscheint es besonders erfreulich, dass jetzt das Berliner Werkbundarchiv/Museum der Dinge den 100. Geburtstag Hirches zum Anlass nimmt, in einer kleinen Ausstellung mit dem Obertitel „Strahlend Grau" an das Schaffen des Gestalters zu erinnern, dessen künstlerischer Nachlass sich seit 2004 in der Obhut des Archivs befindet.
Die Schau - so verdienstvoll sie von der Sache her sein mag - überzeugt leider weder didaktisch noch gestalterisch. Gerade weil Hirche heute kein großer Name mehr ist und einer Wiederentdeckung harrt, gerade weil seine Entwürfe eher spröde und unauffällig daherkommen, genügt es eben nicht, die Möbel und Braun-Geräte auf ein schräg in den Raum gestelltes Metallregal zu platzieren und eine Wand mit allerlei Dokumenten wie Studienarbeiten, Zeichnungen, Plänen, Fotos und Plakaten zum Leben und Werk des Meisters zu tapezieren. Hirches Arbeiten bedürfen der Kontextualisierung und der Erklärung, sonst sehen sie im Vergleich zu den heute viel bekannteren Entwürfen seiner Zeitgenossen - man denke etwa an Eames, Saarinnen oder Jakobsen - oft karg und ungelenk, bisweilen sogar epigonal und provinziell aus. Das hätte auch mit einem bescheidenen Ausstellungsbudget geleistet werden können. Immerhin vermittelt in der Ausstellung ein „Archivraum" mit einem reichhaltig bestückten Dokumentenschrank eine Ahnung von der Bandbreite und Qualität, die Hirches Schaffen auszeichnet. Er hätte, das wird hier hinreichend deutlich, eine umfassendere und sorgfältiger aufbereitete Retrospektive verdient.
„strahlend grau - herbert hirche zum 100. geburtstag"
Werkbundarchiv - Museum der Dinge, Berlin
21. Mai bis 13. September 2010