„Swissair Souvenirs. Das Fotoarchiv der Swissair“ – dieser Titel mag inhaltlich völlig korrekt sein und doch führt er, zumindest ein wenig, in die Irre. Man muss nämlich weder Schweizer noch Luftverkehrsfanatiker sein, um diesen Bildband mit Interesse, Gewinn und Vergnügen zu betrachten, auch wenn es natürlich nicht schadet, diesen „special interest groups“ anzugehören. Denn beispielhaft zeigt das Buch das noch immer oft unterschätzte Potenzial des Mediums Fotografie, seine herausragenden dokumentarischen, erzählerischen und ästhetischen Qualitäten. Wer immer sich für Wirtschafts-, Unternehmens-, Technik-, Sozial-, Design-, Architektur- und Modegeschichte erwärmen kann, dem wird hier reichlich Anschauungsmaterial geboten. Nebenbei beleuchtet der Band die nur Spezialisten bekannte Tatsache, dass die Geschichte der Fotografie und der zivilen Luftfahrt aufs Engste miteinander verknüpft sind. Der Schweizer Flugpionier und Swissair-Mitbegründer Walter Mittelholzer war ursprünglich Fotograf. Er kam zur Fliegerei, weil er die Welt aus der Luft abbilden wollte. Mit Erstaunen nimmt man zur Kenntnis, dass die von ihm in den 1920er Jahren mitbetriebene Fluggesellschaft „Ad Astra Aero AG“ (die 1931 mit der in Basel beheimateten „Balair“ zur Swissair fusionierte) ihr Hauptgeschäft noch gar nicht mit dem Personenverkehr, sondern mit dem Verkauf von Luftbildern machte. Für die Luftbildfotografie wurde 1931 die Unternehmenstochter „Swissair Photo AG“ eingerichtet, die bis 1997 Teil des Konzerns blieb. Einen entsprechenden Geschäftsbereich gab es übrigens auch bei der Deutschen Lufthansa – um nur dieses Beispiel zu bemühen. Die Fotografische Sammlung der Swissair, die in ihrer Heimat als fliegendes Nationalsymbol verehrt wurde und bis zu ihrem „Grounding“ im Jahr 2001 weltweit als eine der renommiertesten Fluggesellschaften galt, umfasst insgesamt rund 290.000 Aufnahmen. Etwa 11.000 davon gehören zum Bereich Luftbildfotografie. Rund 180.000 Bilder enthält das eigentliche Fotoarchiv der Fluggesellschaft. Ihr zeitlicher Bogen ist von den abenteuerlichen Anfängen des zivilen Luftverkehrs in den 1910er Jahren über die goldene Ära der Luftfahrt in den Nachkriegsjahrzehnten bis zum Beginn der Massenfliegerei und der Großflughäfen am Ende des 20. Jahrhunderts gespannt. Nach dem Konkurs des Unternehmens sind diese Fotografien im Bildarchiv der ETH-Bibliothek gelandet, wo seit 2009 ihre archivarische Sicherung und Aufarbeitung läuft. Bis Ende 2013 sollen rund 35.000 Aufnahmen digitalisiert, inhaltlich erschlossen und online zugänglich sein. Für die „Swissair Souvenirs“ sind aus diesem wertvollen Bilderschatz knapp dreihundert Aufnahmen ausgewählt worden. Sie dokumentieren die Geschichte des Unternehmens und der Fliegerei in allen nur denkbaren Facetten. Das beginnt mit den verschiedenen, von der Swissair im Lauf der Jahrzehnte genutzten Flugzeugtypen, die mal in der Luft – etwa vor der Skyline New York oder vor Alpenpanorama –, mal am Boden gezeigt werden. Es geht weiter mit den Flughafengebäuden, in deren Entwicklung sich die Geschichte der zivilen Luftfahrt deutlich widerspiegelt. Man sieht die Wartezonen und die Check-in-Bereiche, den Tax-free-Shop, die Hangars und Werkstätten, die Gaststätten und die Sonntagsausflügler, die einst in großer Zahl zu den Flughäfen pilgerten. Natürlich fehlen auch die Bilder von Stewardessen und Stewards nicht, die seit eh und je das Gesicht der Fluggesellschaften prägen. Man kann sie in den über die Jahre wechselnden Uniformen erleben, in der Kabine, beim Service, in der Ausbildung und bei Notfallübungen. Ungemein spannend ist der Blick hinter die Kulissen des Betriebes: in die Büros der Unternehmensleitung, die Reservierungszentrale, die Datenverarbeitung, die hauseigene Wäscherei, die Betriebskantine, das Reklamebüro. Man kann die Techniker bei der Überprüfung des Fluggeräts, die Mechaniker bei der Wartung der Turbinen, die Piloten beim Flug und bei der internen Schulung, ja selbst die Putzfrau bei der Reinigung des Terminal beobachten. Thematisiert wird auch die Gepäckabfertigung, das Be- und Entladen der Flugzeuge und überhaupt die gesamte technische Logistik am Flughafen, zu der nicht zuletzt die diversen Einsatzfahrzeuge des Flughafens, die Flughafenfeuerwehr und die Swissair-Shuttlebusse gehören. Und während uns Fotos von leckeren Swissair-Pralinen oder von einem manierlich angerichteten Swissair-Kindermenü an die angenehmen Momente einer Flugreise erinnern, verweisen Bilder von Bruchlandungen und Flugzeugabstürzen auf die riskanten Seiten der Fliegerei. Den Bildern ist ein kurzer, einleitender Essay vorangestellt, der die Geschichte der Swissair rekapituliert und die besondere sozial- und fotohistorische Bedeutung des Bildarchivs erläutert. Sein Autor Ruedi Weidmann betont darin ganz zurecht, dass gerade die zahlreichen Aufnahmen, die den ganz normalen Alltag der Swissair-Belegschaft und das Leben auf dem Flughafen dokumentieren, die Einzigartigkeit dieses Bilderfundus begründen. Denn es sind diese offensichtlich nur für den internen Gebrauch gedachten Fotografien, die dank ihrer Schlichtheit und ihrer unprätentiösen Direktheit jenes hohe Maß an Authentizität entfalten, das die heutigen Betrachter zu fesseln vermag. Jeweils mit der Archivnummer und knappen Bildlegenden versehen (bisweilen würde man sich mehr Hintergrundinformationen wünschen), werden die Aufnahmen in „Swissair Souvenirs“ nicht chronologisch präsentiert. Vielmehr – und glücklicherweise – haben sich die Herausgeber zu einer Ordnung nach inhaltlichen und formalen Gesichtspunkten entschlossen. Die Designer vom Büro Hi aus Luzern trugen wesentlich zur Qualität des Bandes bei. Sie haben aus den Fotografien eine unspektakuläre, aber sehr feinfühlige und suggestive Bilder-Komposition geschaffen, der es mühelos gelingt, die Spannung über fast zweihundert Seiten hinweg zu halten. Das ist eine Leistung für sich.
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Ein Kaleidoskop der Fliegerei
von Mathias Remmele
24.05.2013 Eine Boeing 747-257 B (Jumbo) in der von 1971 bis 1980 verwendeten Bemalung in Zürich-Kloten. Foto © ETH-Bibliothek
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