Ein expressiver Individualist braucht zweifellos einen offenen Grundriss: Charles Moores Wohnhaus in New Haven ist das vierte in der Reihe seiner sieben Domizile.
Foto © John Hill Ein expressiver Individualist braucht zweifellos einen offenen Grundriss: Charles Moores Wohnhaus in New Haven ist das vierte in der Reihe seiner sieben Domizile.
Foto © John Hill Spiel mit der Tradition der Vorstadtästhetik: Wie im amerikanischen Kolonialstil üblich prägen ein klassizistischer Säulenportikus und eine weiß gestrichene Holzfassade das Gesicht des Hauses. Foto © John Hill
Spiel mit der Tradition der Vorstadtästhetik: Wie im amerikanischen Kolonialstil üblich prägen ein klassizistischer Säulenportikus und eine weiß gestrichene Holzfassade das Gesicht des Hauses. Foto © John Hill
Im Inneren ganz auf die Persönlichkeit von Moore zugeschnitten: Das kleine zweigeschossige Haus mit Satteldach blieb im Äußeren weitgehend unverändert.
Isometrie © Charles Moore Im Inneren ganz auf die Persönlichkeit von Moore zugeschnitten: Das kleine zweigeschossige Haus mit Satteldach blieb im Äußeren weitgehend unverändert.
Isometrie © Charles Moore Jeder der drei Wohntürme „Howard, Berengaria und Ethe“ wurde als freier Raumbehälter konzipiert. Im Innern angebrachte Wandschirme ermöglichen durch kreisförmige Ausschnitte Blickbeziehungen über die Etagen hinweg. Foto © John Hill
Bunt, experimentell, postmodern: An der Rückseite des Wohnhauses hat Moore kräftig gestaltet. Foto © Charles Moore Foundation
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Ein idealer Junggeselle
von Uwe Bresan
03.07.2016 Die Geschichte der modernen Architektur wird gern als eine Abfolge genialischer Architekten und Ingenieure beschrieben, die allein durch die Kraft ihrer visionären Ideen und den Mut, Neues zu wagen, das Antlitz unserer Welt verändert haben. Wir lieben diese Art der Erzählung mit all ihren Heroen. Tritt man jedoch einen Schritt zurück und schaut sich das Bild genauer an, so taucht hinter der Gestalt des visionären Entwerfers noch eine andere Figur auf, deren Einfluss auf die Architekturgeschichte nur allzu gern vergessen wird: die des Bauherrn und Auftraggebers, ohne den kein Architekt seine Einfälle realisieren könnte. Früher waren es Kaiser und Könige, Päpste und Patriarchen, die Baumeister und Künstler zu immer neuen Höchstleistungen antrieben. Doch welche Art von Bauherren und Auftraggebern kennt eigentlich das 20. Jahrhundert? Wer prägte unsere Vorstellung vom modernen Wohnen? Um es kurz zu machen: Es waren oft gesellschaftliche Außenseiter und Randfiguren, die sich mit ihren Lebensumständen – und vor allem ihren Lebensvorstellungen – an den normativen Grenzen ihrer jeweiligen Zeit bewegten. Unkonventionelle Bauherren Es waren Frauen wie Truus Schröder, Witwe und Mutter von drei kleinen Kindern, die 1924 in der niederländischen Kleinstadt Utrecht den Architekten Gerrit Rietveld mit dem Bau eines neuen Hauses in der Prins Hendriklaan Nr. 50 beauftragte. Ihr Mann war da gerade seit einem Jahr tot. Was der größere Skandal war, können wir heute nur noch erahnen: Das Haus am Ende der pittoresken Siedlungszeile mit ihren traditionellen Backsteinbauten, das scheinbar nur aus einer Ansammlung frei schwebender Kuben und losgelöster Betonscheiben bestand, oder die Tatsache, dass der Architekt nach der Fertigstellung gemeinsam mit seiner Bauherrin einzog. Das Rietveld-Schröder-Haus jedenfalls hat die Zeit überdauert und gehört heute zum Weltkulturerbe. Le Corbusiers berühmte Villa in Garches bei Paris wiederum, entstanden zwischen 1926 und 1928, die zweifellos zu den am häufigsten publizierten Bauten der Klassischen Moderne gehört, verdankt sich einer dreiköpfigen Bauherrenschaft, deren unkonventionelles Miteinander damals für ein aufgeregtes Tuscheln in der Pariser Gesellschaft sorgte. In die fertige Villa, in deren strenges, weißes Volumen der Architekt sich teilweise überlagernde Loggien, Terrassen und Balkone einschnitt und damit ein hoch komplexes Zusammenspiel von Räumen realisierte, zogen ein: die vermögende amerikanische Kunstsammlerin Sarah Stein, ihr Mann Michael sowie die gemeinsame Freundin Gabrielle de Monzie, die nicht weniger wohlhabende Ex-Frau des bekannten französischen Politikers Anatole de Monzie. Auch die Chicagoer Ärztin Edith Farnsworth, die 1945 den aus Deutschland emigrierten Architekten Mies van der Rohe mit der Planung eines Wochenendhauses in der knapp eine Autostunde von Chicago entfernten Stadt Plano beauftragte, musste immer wieder um ihre gesellschaftliche Anerkennung kämpfen. Als alleinstehende Frau galt sie in der prüden amerikanischen Nachkriegsgesellschaft als Außenseiterin und Sonderling. Ihr von dünnen Stahlstützen getragenes und nach allen Seiten hin verglastes Weekend Retreat am Ufer des Fox Rivers gilt heute als eines der berühmtesten Wohnhäuser des 20. Jahrhunderts. Ein gefeierter Erneuerer Ist diese Entwicklung nun absurd? Vielleicht ja! Aber ich nenne es lieber die feine Ironie der Architekturgeschichte. Und die ist zweifellos auch am Werk, als 1969 in der Oktoberausgabe des „Playboys“ ausgerechnet das private Wohnhaus des amerikanischen Architekten Charles Moore auftaucht. In Europa kennt man Moore hauptsächlich als Architekten der Piazza d’Italia in New Orleans. Die farben- und formenprächtige Plaza inmitten des Geschäftsviertels der Stadt gilt als Ikone der Postmoderne und erhitzt auch heute noch die Gemüter. In Amerika galt Moore hingegen schon seit Mitte der 1960er-Jahre als gefeierter Erneuerer der amerikanischen Architektur, der mit kleinen, kostengünstigen Wohnhäusern vor allem an der Ostküste der Vereinigten Staaten dem seit den 1940er-Jahren vorherrschenden International Style, dessen immer strenger gehandhabter Formen- und Materialkanon zunehmend in gesichtsloser Monotonie verkam, ein neues, lebendiges Bild der Architektur entgegensetzte. Auf die Landschaft abgestimmt Anders als die Bauten des International Style, die in ihrem engen Schematismus kaum auf vorhandene Kontexte reagieren konnten, waren seine Wohnhäuser auf die jeweilige Landschaft abgestimmt, nahmen regionale Materialien auf und spielten mit verschiedenen Traditionalismen und Symboliken der älteren amerikanischen Wohnhausarchitektur, ohne dabei starre Muster und Konventionen zu wiederholen. Damit traf Moore den Zeitgeist der 1960er-Jahre. Die gesamte amerikanische Gesellschaft befand sich damals in einem gewaltigen Transformationsprozess, in dem das herrschende System samt seiner strengen Repräsentionsformen in Frage gestellt wurde. In diesem Kontext erhielten Moores zum Teil äußerst subversive Architekturen als Modelle einer alternativen Lebenswirklichkeit vor allem bei Studenten und jungen Architekten viel Aufmerksamkeit – was 1965 zu Moores Berufung zum Dekan der Yale School of Architecture, einer der führenden Architekturschulen des Landes, führte. In New Haven, der knapp eineinhalb Autostunden nördlich von New York gelegenen Universitätsstadt, bezog Moore kurz nach seiner Ankunft aus Kalifornien ein kleines Haus im Kolonialstil in der Nähe der Schule und begann neben dem Unterricht augenblicklich mit umfangreichen Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen. Es war bereits das vierte Haus, das Moore für sich selbst realisierte. Drei weitere sollten noch folgen. Und es war, wie alle früheren und alle späteren Häuser Moores, auf seine ganz spezielle Persönlichkeit hin zugeschnitten. Drei Türme braucht das Haus Von außen sah man dem zweigeschossigen Haus, das mit seinem flachen Satteldach, den weiß gestrichenen Holzfassaden und dem kleinen Säulenportikus über der Eingangstür einen moderaten klassizistischen Charme versprühte, die Umbauten im Inneren kaum an. Dabei ließ Moore keinen Teil der bestehenden Innenarchitektur unberührt. Er riss alle Wände des Hauses nieder, entfernte die Vertäfelungen der Außenwände und öffnete schließlich Decken und Böden, um insgesamt drei Türme im Haus zu installieren, die teilweise vom Keller bis unters Dach reichten. Moore nannte sie Howard, Berengaria und Ethel. Sie schufen Leerräume und verbanden so optisch die einzelnen Ebenen des Hauses, was ein amüsantes Spiel von Blickbeziehungen in Gang setzte. Verstärkt wurde dieser Effekt noch durch Moores spezielle Behandlung der Turmwände. Sie bestanden aus dünnen, mit geometrischen Ausschnitten versehenen Wandschirmen, die, in mehreren Schichten hintereinander angeordnet, vielfältige Überschneidungen und Durchblicke bildeten. Muster, Formen und Farben entlieh der Architekt der aufkommenden Pop Art, der er auch seine Vorliebe für Neonschrift und Zitate aus der amerikanischen Alltagskultur verdankt. So entstand ein vom wilden Geist der 1960er-Jahre geprägtes Interieur, das rasch für Furore sorgte. Sechs Seiten im Playboy Wirklich publik aber wurde das Haus, wie schon gesagt, 1969 durch seine Publikation in der Oktoberausgabe des Playboy. Unter dem Titel „A Playboy Pad: New Haven Haven“ widmete das für seine freizügigen Centerfolds bekannte Männermagazin dem Haus ganze sechs, durchgehend mit Farbaufnahmen bebilderte Seiten. Inszeniert wurde die Fotostrecke als nächtliche Party. So zeigen die Aufnahmen größere und kleinere Gruppen von Gästen, die sich in den unterschiedlichen Ecken und Winkeln des Hauses amüsieren. Fast meint man das Stimmengewirr, das Klirren der Cocktail-Gläser und die schummrige Tanzmusik der späten Sixties zu hören. Der begleitende Text spricht von ein paar Freunden, die der Junggeselle in sein Haus eingeladen habe. So wohnt ein Junggeselle Die Betonung liegt auf Junggeselle. Der ist, weil er von den Zwängen eines durchschnittlichen Familienlebens befreit ist und sich deshalb ständig auf die Jagd nach neuen weiblichen Bekanntschaften machen kann, nicht nur das Idealbild des Playboys, sondern im Amerika der 1960er-Jahre auch das Idealbild des Mannes schlechthin. Man denke etwa nur an den durchschlagenden Erfolg, den Ian Flemings Figur des James Bond damals hatte. Die Wohnung des Playboy-Junggesellen spielt wiederum als Ort der Eroberung eine besondere Rolle. Die Frau, die hier eintritt, soll sich wohlfühlen und nie das Gefühl haben, allein zu sein. Denn sobald der Playboy die Frau allein lässt, etwa, um im Nachbarzimmer einen Cocktail zuzubereiten, könnte sie es sich anders überlegen und das Haus hastig verlassen. Moores offenes Interieur mit seinen Ein- und Durchblicken ist deshalb für die Macher des Playboy ideal – und so fokussieren die vermeintlichen Partyfotos immer wieder auf räumliche Situationen, in denen sich, wie etwa in den drei offenen Türmen, die verschiedenen Ebenen des Hauses optisch miteinander verbinden. Die schlagende Ironie hinter der Geschichte ist nun, dass der Architekt, Bauherr und Bewohner der abgebildeten Playboy-Bude zwar Junggeselle war, aber keineswegs ein Playboy im Sinne des gleichnamigen Magazins. Moore war schlicht und einfach schwul. Bei der Gestaltung seines Hauses konnte er deshalb auf abgeschlossene Räume wie Kinderzimmer und dergleichen verzichten und ein Zusammenspiel der Räume generieren, das alle Bereiche des Hauses spielerisch miteinander verbindet. Ob man beim Playboy von Moores Homosexualität wusste, als man das Haus als prototypisches „Playboy Pad“ porträtierte, wissen wir nicht. Moore selbst jedenfalls behandelte das Thema in Yale diskret – wohl vor allem deshalb, weil ihn zu Beginn der 1960er-Jahre Gerüchte über seine sexuelle Orientierung schon einmal eine sicher geglaubte Professur in Berkley gekostet hatten.
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