In den fünfziger Jahren entwirft Jean Prouvé das Fertighaus „Maison Tropicale" für die französischen Kolonien in Westafrika. Einst als Massenbehausung gedacht, handelt es sich heute um ein exklusives Sammlerstück. Schon vor ein paar Jahren erregte eine Auktion bei Christie`s die Gemüter, als eines der Häuser nach Angaben des „Architect`s Journal" für etwa fünf Millionen Euro verkauft wurde. Worauf beruht das Interesse für das Maison Tropicale, die zahlreichen Beiträge in den Feuilletons internationaler Zeitungen, die mehrfachen Ausstellungen durch große Museen? Ist es die tragische Geschichte eines nicht zu Ende gebrachten Großauftrags der ohnehin finanziell angeschlagenen Werkstatt von Jean Prouvé? Ist es die Nutzungsgeschichte des Maison Tropicale während der politischen Wirren in Westafrika? Oder ist es der steigende Sammlerwert der Entwürfe von Prouvé, unter denen das Maison Tropicale als Meilenstein industrieller Fertigbauweise eine Sonderstellung einnimmt?
In den Jahren von 1949 bis 1951 hat Prouvé vom Französischen Überseedepartment den Auftrag, Fertighäuser für die französischen Kolonien in Westafrika zu entwickeln, um den Immobilienmangel in den Kolonien zu lösen. Geplant für den Einsatz als Privathaus und als Bürogebäude, fertigt Prouvé drei Prototypen in seiner Werkstatt in Maxéville bei Nancy. Das erste Haus wird 1949 in Niamey im Niger und zwei weitere Häuser 1952 in Brazzaville im Kongo errichtet. Letztere stehen verbunden durch eine Brücke direkt nebeneinander. Das kleinere Haus dient zunächst als Auskunftsstelle des Herstellers „Aluminium Francais" während das größere Haus von dem wirtschaftlichen Leiter Jacques Piget bewohnt wird. Wie sich jedoch schnell herausstellt, liegen die Gesamtkosten des Maison Tropicale höher als direkt in den Kolonien gebaute Häuser, außerdem erweisen sie sich als zu komplex für die Handhabung vor Ort und entsprechen mit ihrem industriellen Aussehen nicht den Wünschen der Expatriaten. Obwohl ursprünglich von 10.000 Einheiten der Maison Tropicale in Afrika die Rede war, folgen auf die ersten Modellhäuser keine weiteren Bauaufträge.
Die drei Prototypen bleiben über das Ende der Kolonialzeit hinweg fast fünfzig Jahre in Afrika. Sie werden vor Ort weiterhin genutzt, darüber hinaus geraten sie aber in Vergessenheit. Doch dann interessieren sich zunehmend Kunstsammler für die Arbeiten von Jean Prouvé und so wird der französische Kunsthändler Eric Touchaleaume auf die Prototypen des Maison Tropicale in Westafrika aufmerksam. Wie er vor Ort entdecken muss, hat jedoch die jahrzehntelange Nutzung ihre Spuren an den Häusern hinterlassen: Durch die Witterung entstanden Korrosionsschäden, die Bewohner hatten bauliche Veränderungen vorgenommen und vom Bürgerkrieg im Kongo sind in den Brazzaville-Häusern Einschusslöcher zurück geblieben. Zusätzlich sind wegen wechselnden Regierungen und den zwischenzeitlichen Bürgerkriegen die Besitzverhältnisse zunächst nicht geklärt, doch letzten Endes kann Touchaleaume die Häuser kaufen und hat die Genehmigung, sie zu exportieren. Im Jahr 2000 lässt der Kunsthändler seine Neuerwerbungen unter abenteuerlichen Umständen nach Europa bringen - so musste im Kongo zum Beispiel extra eine Bahnlinie in Stand gesetzt werden. Zurück in Europa werden die Häuser aufwendig renoviert und stehen seitdem für neue Einsätze bereit: Das Ninmey-Haus soll ein mobiles Museum zum Leben und Werk von Jean Prouvé werden. Das kleine Brazzaville-Haus wird zunächst für etwa eine Millionen US Dollar an die Bankiers Robert und Stephan Rubin verkauft, die es dem Centre Pompidou als Leihgabe überlassen haben. Zunächst präsentiert es das Centre Pompidou in Paris den Museumsbesuchern, als nächstes soll es im Herbst 2010 in Centre Pompidou in Metz und danach bis 2012 im Musée des Beaux-Arts in Nancy ausgestellt werden. Das große Brazzaville-Haus ersteigerte der Hotelier André Balazs für ungefähr fünf Millionen Euro im Juni 2007 bei einer Auktion von Christie`s in New York. Nach einer Ausstellung über Jean Prouvé im Design Museum London, währenddessen auch das wieder aufgebaute Maison Tropicale neben der Tate Modern besichtigt werden konnte, steht das Haus inzwischen irgendwo in den Tropen - einigen Gerüchten nach wird es als Bar eines Hotels auf den Bahamas genutzt.
Doch wie sieht die Konstruktion des Maison Tropicale aus, die diese ständigen Transporte ermöglicht? Um Bodenunebenheiten auszugleichen stand das Niamey-Haus ursprünglich auf einer Betonplatte, während die Brazzaville-Häuser auf Pfählen aufgebaut waren. Eine Rahmenkonstruktion aus Quer- und Längsverstrebungen hält die Paneele für Boden-, Wand- und Deckenverkleidung. Die Paneele sind maximal vier Meter breit. Alle Bauelemente bestehen aus Stahl oder Aluminium. Die Grundfläche variiert, das große Brazzaville-Haus hat zum Beispiel eine Grundfläche von zehn mal achtzehn Metern, wobei der hallenartige Raum nach Bedarf unterteilt werden kann. Eine Galerie umläuft das ganze Haus. Das Maison Tropicale lässt sich in gängige Frachtcontainer packen und somit zum Beispiel mit dem LKW, dem Zug, dem Schiff und dem Flugzeug transportieren. Das kleine Brazzaville-Haus passt beispielsweise in sechs Container, für den Auf- und Abbau brauchen vier Männer etwa sieben bis zehn Tage.
Das Maison Tropicale wird gelegentlich als vornehmster Ausdruck von Jean Prouvés Vorliebe für mobile Strukturen gesehen, die sich in einer Vielzahl an Fertigbauhäusern, Bauelementen und Fassaden zeigt. So gilt zum Beispiel das Fertighaus „Maison Meudon" (1949-52) als „Festland"-Version des Maison Tropicale - es sollte zur Minderung des Wohnraummangels im Nachkriegsfrankreich beitragen. Jedoch wurde bei der Entwicklung des Maison Tropicale besonders darauf geachtet, die einzelnen Teile im demontierten Zustand so verpacken zu können, dass sie sich eben für Überseetransporte in Flugzeuge verladen lassen. Für den Einsatz in Afrika entwarf Prouvé neben dem Maison Tropicale zusätzlich das Fertighaus „Maison du Sahara" (1958). Um dem Wüstenklima gerecht zu werden, legte er besonderen Wert auf die Klimatisierung des Hauses. Bereits das Maison Tropicale war etwa mit seinen jalousieartigen Klappen in den Wänden und den Öffnungen in der Deckenkonstruktion auf das Klima Afrikas ausgerichtet. Beim Entwurf des Maison du Sahara geht Prouvé in Sachen Klimatisierung jedoch einige Schritte weiter: Es ist ähnlich wie ein Beduinenzelt aufgebaut, es werden hitzeabweisende Materialien verwendet und es sind Geräte für die Klimatisierung eingebaut. Letzten Endes bedienen sich alle diese Entwürfe einer vergleichbaren demontierbaren Rahmenkonstruktion, wobei die Häuser in ihrer jeweiligen Konfiguration variieren und einzigartig sind.