Vermutlich wäre die Welt um ein Bonmot ärmer, hätte der verarmte Dandy Oscar Wilde seine letzten Tage in einem Zimmer mit Wandfliesen aus der neuen Serie „La Diva" von Villeroy und Boch verbringen dürfen. Denn am üppigen Dekor der Fliesen, in Kombination mit den goldenen Zierleisten und dezenten Längsstreifen der mattdunklen Sockelzone, hätte er sicher seine Freude gehabt. Vielleicht hätte er sich das Muster sogar in einem jener Salons vorstellen können, in denen der Held seines Romans „Das Bildnis des Dorian Gray" sich bewegt: Luxuriös, edel, romantisch, aber auch ein bisschen düster.
Was Wilde von Keramik als Material für Wandverkleidungen im Wohnbereich gehalten hätte, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Rundum mit dekorativen Fliesen ausgestattete Räume kennt man schließlich weniger aus dem mitteleuropäischen als aus dem arabischen Kulturkreis, wo man haptisch kühle Oberflächen zu schätzen wusste. Aber wer weiß, vielleicht hätte Wilde die orientalisierende Anmutung von „La Diva" tatsächlich sehr charmant gefunden. Auf den ersten Blick sieht man ohnehin gar nicht, dass es sich um Fliesen handelt. Wären da nicht die Fugen, könnte man sie glatt für eine historische Ledertapete halten. Selbige wurden übrigens, ebenso wie Wandkacheln, von den Mauren über Spanien nach Europa gebracht und waren deshalb lange unter der Bezeichnung „peaux espagnoles", also „spanische Häute" bekannt.
Jedenfalls versprüht die „La Diva"-Serie, zu der neben den Wand- auch dekorative Bodenfliesen gehören, mehr als nur einen Hauch von Tausendundeiner Nacht. Wobei es ungemein schwierig ist, die Fliesendesigns in einen konkreten kulturellen Kontext einzuordnen. Wohl nicht umsonst heißt eine der „La Diva"-Farben „Tulipe Noire". Gleichzeitig scheinen aber noch diverse andere Epochen und Stile mit von der Partie zu sein - vom viktorianischen England bis zum spanischen Barock und der byzantinischen Spätantike. Wirkt eines der Interieurfotos wie im Harem eines Scheichs aufgenommen, weist das andere eher Ankläge an das Art Déco auf - nicht zuletzt dank der „Emily", die auf dem mosaikgekachelten Tresen thront.
Luxuriös und von einem Geheimnis umweht, scheinen die Wandfliesen aus Steingut und die Bodenfliesen aus Feinsteinzeug jeglicher Selbstbeschränkung oder Sparmaßnahme eine Absage zu erteilen. Natürlich ist üppige, historisierende Ornamentik, nicht nur dank Marcel Wanders, schon seit längerem wieder salonfähig. Aber selten kam sie derart wenig ironisch gebrochen daher. Und selten hatte sie die Assoziationsvielfalt von „La Diva" zu bieten, die quer durch alle Epochen und Kulturen reicht. In diesem Sinn lässt sich die Fliesenserie am besten mit einem Ausdruck beschreiben, den die New York Times 2003 für einen aktuellen kulturellen Trend prägte: „ethnically ambiguous". Was auf Models und Schauspieler zutrifft, deren Herkunft dank eines bunt gemischten Stammbaums nicht an ihrem Äußeren ablesbar ist, und was Musik oder Mode beschreibt, die stilistische Einflüsse aus aller Welt aufnimmt, gilt auch für die neueste Fliesenserie von Villeroy & Boch.
Womit sie bei genauerer Betrachtung, trotz oder gerade wegen ihrer wenig modernistischen Ästhetik, viel zeitgeistiger ist, als man auf den ersten Blick denken mag. Weit entfernt von Oscar Wilde jedenfalls - dessen Bonmot wir noch schuldig geblieben sind. Dieser beklagte sich nämlich auf seinem Sterbebett in einer schäbigen Absteige in Paris: „Diese Tapete und ich tragen ein Duell auf Leben und Tod aus. Einer von uns beiden muss gehen." Nur wenige Tage später - Wilde ging am 30. November 1900 dahin - gewann die geblümte Tapete.