Das nennt man wohl einen gelungenen Auftritt: Blauer Himmel und Sonnenschein beim Anflug auf Stockholm. Waldstücke wechseln mit verschneiten Feldern und Wiesen und zeichnen ein idyllisches Bild. Der Flughafen empfängt mit Atmosphäre, dunkles Parkett und einladende Wartesessel statt harter Kunststoffsitzschalen und PVC-Boden. Der wohlige Eindruck setzt sich nahtlos fort im Flughafen-Express, der mit stimmigem Interieur und klaren Fahrgast-Informationen punktet. Offensichtlich hat Designqualität im schwedischen Alltag auch jenseits der Stockholm Furniture Fair seinen Platz.
Vor dem Gang über die Stockholm Furniture Fair aber stehen Visiten in der Stockholmer Innenstadt auf dem Programm. Mit dem neuen Showroom im Sven Harrys Konstmuseum hat Gärnäs eine gute Nachbarschaft gewählt. Das schwedische Traditionsunternehmen versteht sich bestens auf solide und werthaltige Holzverarbeitung und liefert mit den diesjährigen Produktvorstellungen den erneuten Beweis dafür. Zum Beispiel mit „My Granddaughters Cabinet", entworfen von Lisa Hilland, ein Aufbewahrungsmöbel, das wie ein Stapel Schachteln wirkt, die sorgfältig zusammen gerückt so manches Geheimnis bewahren mögen.
In Kooperation mit dem Arkitekturmuseet zeigt das Designstudio „Form us with love" auf der Insel Skeppsholmen fünf neue Entwicklungen. Besondere Aufmerksamkeit verdient hier „Bento" für One Nordic Furniture Company aus Finnland. Stuhl und Tisch folgen dem gleichen Entwurfsprinzip. Die Einzelteile bestehen aus gebogenem Mehrschichtholz mit farbiger Lackierung und werden allein durch eine zentrale Halteschraube in ihrer Position fixiert. Für die „Slab Vases" für Silestone werden Quarzstein-Ringe in unterschiedlichen Dicken und Durchmessern über einen Metallbügel geschichtet.
Ein paar hundert Meter weiter im „Skating Pavilion" hat Magnus Wästberg eine Sonderschau mit vielen Modellen und Entwürfen von Inga Sempé ermöglicht. Nicht nur für Bewunderer der französischen Designerin, sondern für alle Designinteressierte, entstand dort ein spannender Einblick in ihre Entwurfsprozesse mit Skizzen und zahlreichen Modellen.
Die Zusammenarbeit von Leuchtenhersteller Wästberg mit Inga Sempé kann wohl als gelungen bezeichnet werden. Inga Sempé, diesjähriger „Guest of Honour" der Stockholm Furniture Fair, hat für den schwedischen Hersteller die Leuchte „Sempé w103" entworfen, die sowohl als Einzelleuchte, aber auch als System in der Reihenhängung funktioniert. Neben der klaren Form profitiert die Leuchte technisch von dimmbaren LEDs, die eine präzisere und bedarfsgerechte Beleuchtung ermöglichen sollen.
Nun aber auf zum Streifzug über die Messe, fangen wir einfach mal hinten in der Halle mit den designorientierten Herstellern an. Zwei weiße Wände, ein Unternehmen, ein Produkt. Weiß als Hintergrund hat die norwegische Neugründung „By Corporation" gut gewählt, denn das Regalsystem „Imueble" von Bjørn Jørund Blikstad wirkt mit Fächern in Schwarz und den Primärfarben wie auf die Wandfläche gedruckt und dennoch dreidimensional. Dreizehn unterschiedliche Gehrungsschnitte sind notwendig, um den schräg in den Raum ragenden Einzelelementen die optisch so wirkungsvolle Form zu geben. Ein faszinierendes Spiel mit Kanten, Perspektiven und unserer Vorstellungskraft.
Bei Swedese hingegen geht es rund. Der Hocker „Spin" von Staffan Holm kann seine Herkunft nicht verleugnen. Die DNA stammt von Alvar Aaltos „Hocker 60" von 1933, aber anders als bei Aalto sind die Beine seitlich an der Sitzfläche angesetzt. So entsteht eine gelungene Interpretation, deren Dynamik selbst im Stapel noch sichtbar ist.
Immer öfter stößt man auf Elemente, die den Raum variabel optisch gliedern oder die Akustik an Arbeitsplätzen verbessern sollen. Einfach von Raumteilern oder Akustikmaterialien zu sprechen, würde dem Ringen um neue Designansätze wohl nicht gerecht. Andererseits sind die Ergebnisse bislang eher dekorativ, der überraschende Wurf lässt auf sich warten. Abstratca hat in die Versuchsreihe zur Akustikverbesserung mit „Bits Wall" von Anya Sebton und „Aircone" von Stefan Borselius zwei neue Protagonisten gestellt, die sich dank streng geometrischer Form nicht so schnell visuell abnutzen werden. Mit „Airwave", von der Decke hängende, organisch anmutende Schaumstoffelemente, die nach Bedarf ineinander gehakt werden, sieht die Situation eher bemüht aus. Da hilft auch die kräftige Farbpalette nicht aus dem gestalterischen Dilemma.
Rot sind bei Buzzi Space die Kojen und Sitzelemente mit hochgezogenen Rücken und Lehnen. Die anregende Farbe kontrastiert mit der gedämpften Akustik, die sich bei Gesprächen in den Sitzelementen einstellt. Hier kann man beruhigt und vertraulich Informationen austauschen, und wenn mehrere Sitzelemente zusammenrücken, darf man sich fast so sicher füllen wie in einer Wagenburg.
Mit „Tati" von Broberg und Ridderstråle bleibt Asplund seiner minimalistischen Linie schon in der Inszenierung treu. Der Garderobenständer mit Fußplatte ist an Schlichtheit kaum zu übertreffen, was aber zugleich die Frage nach der Prägnanz des Entwurfs aufwirft. Daneben wirken selbst die rauchigen Farben des „Light Tray" der Designer Andreas Engesvik und Daniel Rybakken wie ein Gestaltungsfeuerwerk.
Wenn man gemeinsame Charakteristika des skandinavischen Designs benennen soll, gehören sicher die Verwendung von Holz und natürlichen Materialien, aber auch die Suche nach klaren Formen dazu. Der südschwedische Hersteller Blå Station präsentiert mit „Taylor" einen einfachen Sessel aus klaren Flächen. Designerin Mia Gammelgaard hat auf den geradlinigen Seitenteilen und der Rückenlehne mit aufgesetzten Lederflächen und stark kontrastierenden Nähten gefällige Betonungen gesetzt, der Fuß des Sessels ist aus lackiertem Stahlrohr geformt.
In der nordisch geprägten Umgebung, im Dreiklang von Holz, Stoff und sanften Formen wirkt der Auftritt von Wilkhahn schon fast kühl. Dabei steht mit „Graph" ein Konferenzsessel bereit, der das Potential hat, die Herzen der Benutzer zu erwärmen. Jehs und Laub haben mit einem Schnitt durch die Sitzschale die formale Idee definiert, nach intensiver Entwicklungsarbeit sind Sitzfläche und Lehne mit einem wohlgeformten Alu-Druckguss-Element nun wieder vereint. Der Sitzkomfort beruht auf einer besonderen Polsterung und einer ungewöhnlichen Federung, die ohne Mechanik auskommt. Für „Graph" sind bei Wilkhahn die Ziele hoch gesteckt, der gefühlten Monokultur an den internationalen Konferenztischen soll damit nun engagiert begegnet werden.
Überraschend ist wie auch „&Tradition" mit hergebrachten Mustern bricht und Designer Samuel Wilkinson für das noch junge Label frech die Füße des „Hoof Lounge Table" wie einen groben Bleistift anspitzt. Konventioneller, wenn auch nicht weniger interessant ist „Mass Light", eine Leuchte aus einer Kombination aus Marmor und opalem Glas, die überaus mildes Licht verbreitet und besonders schön als Gruppe zur Geltung kommt. Auch das Licht der Leuchten von Tom Rossau verbreitet sich gemütlich, hier steht die Stimmung statt der Ausleuchtung des Raumes im Vordergrund. Aus dünnen Furnierstreifen formt der Däne seine Lampenschirme, die auch unbeleuchtet ihren skulpturalen Charakter behalten.
Nach dem Streifzug über die Stockholm Furniture Fair bleiben kaum Zweifel, dass die skandinavischen Hersteller es ernst meinen mit der Verbindung von Entwurf, Verarbeitung und Material. Auch wenn die Messe-Offiziellen gerne von der Größe schwärmen – „Die größte Messe für skandinavisches Design" –, in den Messehallen bleibt das Angebot gut überschaubar, es dominiert die Qualität. Mancher Hersteller fokussiert im jährlichen Messereigen zuerst auf den heimischen Marktplatz und fährt mit dieser Konzentration offensichtlich gut. Die gewonnene Zeit und das gesparte Geld fließen wohl in die Produktentwicklung. Kein schlechter Weg, sich von Gestaltungseinerlei zu distanzieren.