Haben Sie eine Ahnung, wie Eiche klingt? Nein? Der schweizerische Parkettmacher „Bauwerk" führt es im Innern eines kubischen und - wie sollte es anders sein - mit Parkett überzogenen Pavillon vor. Draußen kann man es sogar selbst ausprobieren, sofern man auf gebührenden Abstand zur Umgebung achtet. Dazu bekommt man ein sogenanntes „Schwirrholz", ein langes dünnes Eichenholzbrettchen, das man, an verdrillter Schnur, einfach wie ein Lasso über dem Kopf durch die Luft schwingt - und schon beginnt es surrend sein Lied.
Wir sind im schweizerischen Langenthal - wo sonst. Zum dreizehnten Mal wurde dort am vergangenen Wochenende der Designers' Saturday zum ungezwungenen Stelldichein neugieriger Design-Afficionados. Ob unterm altehrwürdigen Gebälk des Mühlehofs im Stadtzentrum oder in der Fabrikation, den Lagern, Büros und Kellern von Création Baumann, Girsberger Sitzmöbel, Glas Trösch, Hector Egger Holzbau und Ruckstuhl - überall präsentierten auch diesmal wieder ausgewählte Hersteller der Einrichtungsbranche, Designer und Hochschulen ihre extravaganten Ideen und Installationen. Auch in Langenthal dreht sich zwar letzten Endes alles ums Produkt. Doch darf dieses für den kurzen Moment eines Wochenendes seine Fessel ablegen und frei sein Raum oder Atmosphäre schaffendes Potenzial entfalten. Im Unterschied zu einschlägigen Messen erscheint Design hier eben nicht als schwieriges Geschäft. Hier hat die Ökonomie ein Wochenende lang Pause, es dürfen Einzelteile ohne Rücksicht auf ihre Funktion tanzen lernen; Kreativität wird exzessiv zelebriert, damit das Design als familienfreundliche Inszenierung im Rampenlicht steht - ohne Schwellen und mit jeder Menge Verwöhnaroma. Auch, damit man Eiche klingen hören kann und einem überhaupt Augen und Ohren aufgehen.
Verwöhnaroma
Der „Designer Samstag", der in diesem Jahr erstmals bereits am Freitag Nachmittag mit einer Preview für das professionelle Publikum begann, verwöhnt seine Besucher wie ein Festtag; er macht sie aber auch verwöhnt, was an der Art und am Anspruch der Inszenierungen liegt, die bei dieser kleinen Designbiennale eingefordert werden. Ganz gleich ob Hersteller oder Designer, man muss in Langenthal schon etwas Besonderes bieten, um bei der stets illustren Konkurrenz bestehen zu können. Wie aber haben sich Firmen und Designer anno 2010 geschlagen?
Im Zentrum von Langenthal klafft eine große Baustelle; die Sonne scheint, die Luft ist lau, der Himmel blau. Ideale äußere Bedingungen für diesen Tagesausflug in die Welt des Designs. Also machen wir uns auf den Weg. Im Mühlehof tanzen im Dämmerlicht an filigranen Drahtgestellen über hell erleuchteten Tonnen Seifenblasen; ein Stock höher windet sich, wie eine Windhose, die den Atem anhält, ein güldener Zyklon aus Stücken einer Tapete von Zaha Hadid. Und in der kleinen Kammer, in der der Designer Jörg Boner seine Kreationen ausbreitet, darunter seinen Stuhl „Wogg 50" und eine pfiffige Thermoskanne, erfährt man auf einem bereit liegenden DIN-A3-Blatt, an dem neben dem Designer auch André Vladimir Heiz mitgewirkt hat, „Was es braucht!": Eben Hirn und Herz, Hand und Fuß. Denn, so heißt es da, „Hirn und Herz haben freien Zutritt, Hand und Fuß verkörpern den Standpunkt."
Trotz Standpunkt bewegen wir uns weiter, schließlich gibt es noch viel zu sehen. In einem nahegelegenen alten Fabrikgebäude schneit es - im Rahmen der Beiträge des Design Preis Schweiz - blütenweiße Teebeutel, lässt Belux seine Leuchten edel leuchten und aus an sich stummen Dingen wird in einer Session Musik gemacht. Langenthal ist eben auch ein charmantes Disneyland des Designs und ein weitläufiger Parcours der Sensationen.
Linie Schwarz
Nun müssen wir uns entscheiden, für „Linie Weiss" oder für „Linie Schwarz". Denn auch diesmal ist alles perfekt organisiert und wird mit schweizerischer Präzision ausgeführt - trotz großen Andrangs bereits am Freitag. Wir wählen die Schwarzfahrt und reisen mit dem Bus gegen den Urzeigersinn zu Hector Egger Holzbau. Dort - das schwirrende Parkett haben wir schon erwähnt - wartet eine Riesenhalle, in der kitschige Rehe samt Herbstlaub und in schmale Scheiben geschnittene Stühle die Empore belagern. Unten in der Halle, bei Denz, deren Farbkollektion sich - nach Le Corbusier - nun auch an Yves Kleins Palette von „YK 1" bis „YK 7" orientiert, stößt man sodann auf eine veritable Neuheit: Eine mobile und flexible Arbeitsstation von Matteo Thun und Antonio Rodriguez, „dmt" genannt, samt Tisch, Stauraum und einem Hocker, der bei Bedarf sogar als Steckarbeitstisch dienen kann.
Lichtmagie
Weiter geht's mit der „Linie Schwarz" zu Création Baumann, wo man im Keller von einem endlos scheinenden und mit farbigem Licht beleuchteten Korridor aus Stoffbändern begrüßt wird. Licht, das ist überhaupt die magische Materie, die besonders zum Inszenieren verlockt. Lista Office versucht es mit dekorativ-hinterleuchteten Lochmustern und lässt Studierende Briefablagen zum Schaukeln bringen und Radiatoren aufblasen; Foscarini verbindet Leuchten seiner „Tress"-Serie zu einer weitläufigen, immer wieder geheimnisvoll rot erglühenden Installation, in der man Raum und Zeit vergisst. Im publikumsfreundlichen Labyrinth der Designerfantasien findet ein jeder die ihm gemäße Atmosphäre. Allein die düstere Badehöhle von Duravit samt Feuerstelle und einem Zelt aus Tierhäuten übertreibt es mit der Archaisierung des Badens und ist denn doch des Guten zuviel. Da lassen wir uns lieber von den stapelweise vorhandenen Garnrollen und den Webstühlen elektrisieren, auf denen Création Baumann seine textilen Wunderwerke herstellt.
Dschungelgrün
Es folgt Gedränge auf „Linie Schwarz" bis zur Station Glas Trösch. Zwischen Moobel, Wood & Washi, den Regalen der Vifian Möbelwerkstätten und Zumtobel zeigt Irion sein „regal 2". Keramik Laufen hält sich an Scherben und bildet daraus auf dem Boden dekorative Muster. Beim „Innenbegrüner" Creaplant erscheint mit „Wonderwall" dann sogar Dschungelgrün in 3D. Der kleine Urwald für Lounge oder Empfang bildet freilich nur den Hintergrund für eine Videoinstallation der Künstlerin Susi Jirkuff, die auf Monitoren nette Tierchen in einem Dschungelpanorama zeigt. Der Kunsttransfer indes misslingt. Ach, denkt man, wie radikal war doch seinerzeit Nam June Paiks „TV-Garden". Soll man sich hier etwa Tarzan zurückwünschen, damit er in dieser artifiziellen und überladenen grünen Hölle aufräumt? Wie zum Trost gibt es hinterher leckeren Apfelsaft aus einer Apfelkistenwelle. Manchmal fällt die Mischung eben etwas zu wild aus.
Linoleumrotunde
Auf die wahrscheinlich schönste Installation trifft man in der Fabrik von Girsberger. Dort hat Forbo Giubiasco, ein Traditionshersteller von Bodenbelägen aus dem Tessin, aus einfachen Transportpaletten eine ebenso originelle wie schlichte Installation realisiert, die ohne jeden Pomp auskommt. Dazu wurde marmoriertes Linoleum in nuanciert abgestufter Farbigkeit in dünne, von der Decke hängende Schnüre und zu handbreiten Streifen geschnitten, die in die Zwischenräume der Paletten geklemmt wurden. Auf diese Weise entstand eine Rotunde voll schlichter Eleganz, deren Magie nicht aufgesetzt wirkt, sondern sich gleichsam aus den Materialien selbst entwickelt.
Mystifikationen
Überhaupt kapriziert man sich dieses Mal das ein oder andere Mal zu sehr auf Magie und Mystifikation. So stellt Girsberger einen einsamen Arbeiter in einem abgedunkelten Raum ins Gegenlicht und lässt ihn Stahlrohrgestelle für Stühle biegen, die sich im Vordergrund zu einem Rudel versammeln, das bei einer spindelförmigen Skulptur endet. Indes, die reale Produktion ist viel spannender als deren bewusst archaisierte Variante. Das lässt sich an jeder zweiten Ecke erfahren. Wir befinden uns schließlich in einer Fabrik und im Design geht es um das Faszinosum industrieller Serienproduktion, nicht um die Verklärung individueller Arbeit.
Ebenfalls nicht ganz gelingen will die Installation von Atelier Oï bei Ruckstuhl. Was sich in einem White Cube präzise zum Gegensatz aus technoider Goldfolie und sich drehenden und tanzenden „Röcken" hätte steigern lassen, das wirkt inmitten einer Fabrik einfach zu improvisiert. Von dem angekündigten olfaktorischen Effekt war ebenfalls nichts zu bemerken.
Selbstironie
Weiter eilen wir durch die Hallen und Lager. Vitra lockt dieses Mal in einen eher schlichten Kunstrasenpark, in dem Möbel der jüngsten Produktion verteilt sind, und Dietiker hängt Stühle aus der wunderbaren, unglaublich solide verarbeiten „Ono"-Serie von Matthias Weber über einen auf dem Boden liegenden Spiegel. Dass Selbstironie und kontrapunktisches Vorgehen eine prima Sache sein können, demonstriert hingegen de Sede, ein Unternehmen, das für Gediegenheit, Qualität, Langlebigkeit und handschuhweiches Leder steht, indem man Robert Haussmanns Stuhl „RH-304" zu einer Récamiere samt Tischchen verlängert und der Elementgarnitur „dS-600" bewegliche Kopfstützen und Lampen appliziert. Ruckstuhl selbst präsentiert - inmitten seines an sich schon sehenswerten Auslieferungslagers - seine Edition 2010 aus insgesamt zwölf in limitierter Auflage gefertigter Teppichentwürfe. Deborah Moss hat einen kreisrunden „Night Sky" beigesteuert, bei dem Kristallsteine auf dunklem Filz funkeln wie Sterne am Nachthimmel, Atelier Oï verbinden bei „Dessus Dessus Dessous" Bänder aus Leinen und Filz zu einem illusionistischen Raummuster, wie man es aus der Renaissance kennt, und Claudy Jongstra zupft in Handarbeit aus Filz eine gelbe Wolke, die an Gemälde des Informell erinnert. Alles raffiniert gemacht, aber sicher nicht jedermanns Geschmack.
Allerweltsfantasien
So wird es in Langenthal immer dann spannend, wenn das Produkt zwar eine Rolle spielt, aber nicht im Zentrum steht. Doch statt schlicht und einfach Geschichten aus der Produktion zu erzählen oder mittels präziser Installationen Augen, Ohren und Geist zu erfreuen, wird inzwischen zu oft und zu viel inszeniert und zu hemmungslos poetisiert. Vor allem im Fall besonders ambitionierter Installationen wird das Produkt - der Stuhl, das Regalsystem oder der Bodenbelag - zum ästhetischen Anlass für Allerweltsfantasien und die Fabrik zum Spielfeld biederer Industrieromantik.
So angenehm es ist, in Langenthal en famille von Fabrik zu Fabrik und von Inszenierung zu Inszenierung zu wandern, so offenbart der dreizehnte Designers' Saturday doch auch zwei Probleme: Erstens leidet er an Überlastung und zu vielen Besuchern und droht am eigenen Erfolg zu ersticken. Zweitens fehlten dieses Mal wirklich innovative und klare Installationen, die bewusst darauf verzichten, Design mit Mitteln der Kunst überhöhen zu wollen und dabei im Illustrativen oder in Mystifikationen zu versinken.
Draußen, hinter den Fenstern der Fabrik von Ruckstuhl, funkeln längst die Sterne. Die „Linie Schwarz" dreht noch immer ihre Runden. Als wir ins Freie treten, lassen wir schnell noch mal unser Eichenparkett über dem Kopf kreisen: Wie klingt Eiche? Genau, so. Die nächste Herausforderung, Design einmal anders zu zeigen, kommt bestimmt. Ganz sicher wieder in Langenthal.
www.designerssaturday.ch