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NACHHALTIGKEIT
Sinnsuche im Design

Nachhaltiges Design studieren – wie funktioniert das? Prof. Jörg Gätjens, Dozent an der Privatschule ecosign/Akademie für Gestaltung in Köln erklärt uns das Konzept für eine Ausbildung zur DesignerIn, die das Verantwortungsbewusstsein für Umwelt und Gesellschaft in den Mittelpunkt rückt.
07.03.2022

Anna Moldenhauer: Herr Prof. Gätjens, seit 1994 besteht die Möglichkeit an der ecosign "Nachhaltiges Design" zu studieren. Damals stand das Thema Nachhaltigkeit noch nicht im gesellschaftlichen Fokus. Gab es einen Auslöser für das Angebot?

Prof. Jörg Gätjens: Die Schule wurde von Prof. Karin-Simone Fuhs gegründet, um die soziale Nachhaltigkeit zu fördern. Sie folgt der Lehre des Künstlers Joseph Beuys und betrachtet die Schule als eine Art soziale Plastik, die Raum gibt, um über Lehre und Bildung die Gesellschaft im nachhaltigen Sinne zu verändern. Natürlich gab es auch in den 1990er Jahren bereits DesignerInnen, die sich mit dem Thema der Nachhaltigkeit intensiv auseinandergesetzt haben, wie etwa Victor Papanek. Dieser hat bereits vor der Gründung der gemeinnützigen Organisation "Club of Rome" im Jahr 1968 und der Publikation "Grenzen des Wachstums" von Dennis Meadows und Donella Meadows aus dem Jahr 1972 Artikel und Bücher veröffentlicht, in denen es um die Haltung der DesignerInnen ging. Das Fazit war, dass es kaum einen anderen Beruf gibt, der mehr Schaden anrichten kann. Schlimmer waren für ihn nur noch die Werbekaufleute. Ebenso gab es in den 1980er-Jahren mit den Schriften von Lucius Burckhardt einen soziologischen Ansatz über die Gestaltbarkeit von Gesellschaft durch die bewusste Gestaltung des Raumes. Im Kontext all dieser VordenkerInnen bewegt sich die Akademie seit ihrer Gründung. Das Lehrangebot berücksichtigt folglich neben der Designpraxis auch Designtheorie, Philosophie und Kulturwissenschaften, um der Komplexität des Themas Nachhaltigkeit gerecht zu werden, welches das gesamte Studium umspannt. Über allem steht der Schwerpunkt der Nachhaltigkeit.

Die ecosign ist eine private Hochschule und bildet aktuell knapp 300 Studierende aus. Warum hat man sich dazu entschlossen in diesem vergleichsweise kleinen Rahmen zu bleiben?

Prof. Jörg Gätjens: Die Vermittlung funktioniert in einer familiären Atmosphäre einfach besser. Wir können in den kleinen Kursen die Studierenden umfassender betreuen und intensiv diskutieren. Zu der Grundlehre gehören darüber hinaus Projekte mit jeweils bis zu zwanzig Studierenden, die in Kooperation mit Industrie und Wirtschaft realisiert werden. Diese Kurse fördern automatisch einen direkten Austausch, der die Studierenden schnell nach vorne bringt. Neben dem Input der Lehrenden ist uns auch die Diskussion unter den Studierenden wichtig. Das heißt wir haben eine sehr dezidierte Feedbackkultur, um zu vermitteln, wie man Rückmeldungen für eine Weiterentwicklung nutzen kann und wie man selbst die Arbeit von anderen bewertet, ohne die jeweilige Person zu verletzen. Diese Lernatmosphäre und eine so individuelle Betreuung wäre in größeren Dimensionen kaum möglich. Seit dem Sommer letzten Jahres Jahres kooperiert die ecosign mit der Hochschule Fresenius. Aufbauend auf dem bisherigen Bachelorstudiengang bot sich so auch die Möglichkeit, einen ergänzenden Master Studiengang in Nachhaltigem Design anzubieten. Über ein Qualifizierungsmodul wird es Studierenden aus anderen Fächern ermöglicht an die Inhalte des Bachelor Studiengangs anzuschließen, um sich für den ecosign Master zu qualifizieren. Wir bieten regelmäßig BewerberInnentage an, bei denen man sich einen guten Eindruck machen kann, ob das Studium an der ecosign zu einem passen könnte.

Sie lehren an der ecosign Akademie seit 2014, seit 2021 als Professor für Produkt- und Interiordesign mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit. Wie lässt sich Nachhaltigkeit im Design am besten erlernen?

Prof. Jörg Gätjens: Das Thema ist sehr komplex und wir bemerken zudem, dass in den letzten Jahren der Designbegriff zunehmend neu definiert wird. Wir knüpfen mit unserem Lehrangebot an die Hochschule für Gestaltung Ulm an, die bereits ab 1953 einen wissenschaftlichen Designdiskurs gefördert hat. Um die Nachhaltigkeitsproblematik in der Tiefe verstehen zu können, ist ein theoretischer Input von Nöten. Auf dieser Basis kann man gestalten – von Produkten bis zur Kommunikation, von Prozessen bis zu gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Die Herangehensweise ist sowohl interdisziplinär wie transdisziplinär. Das heißt es geht über die Disziplinen hinaus zu den Akteuren der (Zivil-)Gesellschaft, die das Design nutzen sollen. In diesem permanenten Diskurs entstehen dann Konzepte und das ist die Basis allen Gestaltens. Wenn ich ein gutes Konzept habe, kann ich nicht mehr so viel falsch machen.

eecosign/Akademie für Gestaltung in Köln
Prof. Jörg Gätjens

Welchen Einfluss haben die Studierenden auf die Inhalte des Lehrplans?

Prof. Jörg Gätjens: Wir nehmen Anregungen der Studierenden auf und setzen sie in Angebote um – es ist ein permanenter Austausch. Wir lernen auch viel von den Studierenden, denn sie bringen von vorneherein ein großes Nachhaltigkeitsinteresse in die Ausbildung ein. Das schärft unseren Blick für die aktuellen Fragestellungen und wir können ihnen zeigen, wie man das eigene Engagement produktiv lenken kann. Die Nachhaltigkeit im Design ist keine feststehende wissenschaftliche Disziplin, sondern eine gemeinsame Suche und Weiterentwicklung. Um sich nachhaltigen Designs anzunähern gilt es immer den gesamten Produktlebenszyklus zu durchdenken, vom Rohstoff über die sozialen Bedingungen der Fertigung bis zum Kreislauf des Recyclings. Gerade die Zirkularität ist ein großes Thema. Das schließt auch das kritische Hinterfragen der eigenen Idee mit ein, denn mitunter lässt sich diese nicht allein in ein Produkt übersetzen, sondern bedingt auch die Anregung eines sozialen Prozesses, den ich über meinen Ansatz mitgestalte. Eine Abschlussarbeit eines Studierenden der Ecosign stellt beispielsweise die Frage, warum wir in Deutschland Trinkwasser in Supermärkten kaufen, für das teils lange Transportwege notwendig werden, anstatt das Leitungswasser zu trinken, welches hierzulande das am besten überwachte Lebensmittel ist. Um diese Gewohnheit zu verändern, braucht es ein gesellschaftliches Umdenken, einen Anreiz – wie etwa Wassergläser, die mit den volkstümlichen Namen für Leitungswasser bedruckt und nachhaltig wie auch ästhetisch verpackt sind.

Wie hat sich der Blick der Studierenden auf nachhaltiges Design in den letzten Jahren verändert?

Prof. Jörg Gätjens: Wenn man die aktuelle Pandemie als großes Thema kurz außen vor lässt, bleibt im Kern die Suche nach der richtigen Herangehensweise, nach dem Sinn des Designs. Viele Studierenden steigen mit der Vorstellung in die Ausbildung ein, nachhaltige Möbel entwerfen zu wollen und kommen dann im Laufe ihres Studiums auf die Frage, ob es diese überhaupt braucht. Enzo Mari hat mich bereits vor über 20 Jahren sehr verblüfft als er fragte: "Alles was ich produziere ist der Müll von morgen, wie kann ich denn noch gestalten?". Er hatte nicht nur einen sehr dezidierten sozialen Standpunkt, sondern seine Projekte waren auch im Sinne der Nachhaltigkeit geprägt. Was dazukommt ist ein geschärfter Blick der jungen Generation, gestärkt durch Strömungen wie "Fridays for Future". Sie wollen wissen, wie sie ihre Kreativität für einen nachhaltigen Wandel in der Gesellschaft einsetzen können und welches Wissen hierzu wichtig ist. Das reicht von einem Verständnis für die Systeme bis zu der Vermittlung. Mit einer Verzichtsdebatte erreichen wir nichts, da braucht es andere Ansätze.

Sie sind selbst Industriedesigner. Was ist Ihnen mit Blick auf den späteren Berufsalltag wichtig in der Lehre zu vermitteln?

Prof. Jörg Gätjens: Wir bieten für die Verknüpfung aus Lehre und Beruf in der Projektarbeit Einblicke in die Praxis. Zudem geht es uns vorrangig darum GestalterInnenpersönlichkeiten auszubilden. Deshalb ist auch kein Studienverlauf wie der andere. Es gibt schon ein festes Studienprogramm, innerhalb dessen ist aber eine individuelle Schwerpunktsetzung möglich. So kann ein Studium an der ecosign beispielsweise mit Inhalten aus dem Produktdesign beginnen und im Verlauf mit Kursen der Fotografie, der Illustration und der Typologie frei kombiniert werden. Die Studierenden sollen anhand des interdisziplinären Angebots herausfinden, welche Inhalte sie interessieren und wo sie für eine berufliche Perspektive Schwerpunkte setzen wollen. Es geht um die Selbstfindung im Rahmen nachhaltiger Gestaltung. Nur wenn diese stattgefunden hat, kann man als GestalterIn auch im Anschluss beruflich erfolgreich sein.

ecosign – Design Studium an der ecosign/Akademie für Gestaltung