Vermag Architektur das zu leisten, was Menschen nur annähernd schaffen? Kann sie den Dialog zwischen den Religionen fördern und dabei Gemeinsamkeiten offenbaren, aber auch Differenzen festhalten? In Deutschland ist der interreligöse Dialog schon länger im Gange. Es ist das Land, das Luther und damit neben der römisch-katholischen die evangelische Kirche hervorbrachte, es ist als Land der „Shoa“ auf besondere Weise mit dem jüdischen Glauben verbunden und es ist geprägt durch die Integration von islamischen Immigranten und deren Nachkommen. Die Gesellschaft Deutschlands ist mittlerweile also vielfach religiös und multikulturell durchmischt - und weltweit geachtet für ihr friedliches Nebeneinander der Kulturen und Religionen. Auch wenn es einige Querköpfe und ewig Gestrige immer wieder schaffen, die Offenheit- und Toleranz-Kultur der Deutschen in Frage zu stellen. Nun könnte der interkulturelle und interreligiöse Dialog in Deutschland durch ein besonderes Exempel nachhaltig untermauert werden, das mit nichts vergleichbar ist. Ein Wagnis.
Schon alleine die Idee ist mutig. Dass sie auch umgesetzt werden soll, zeugt von einem besonderen Willen: In Berlin soll ein gemeinsames Haus geschaffen werden für alle drei monotheistischen Religionsgemeinschaften, für Christen, Juden und Muslime. Ein Bet- und Lehrhaus, das Kirche, Synagoge und Moschee zugleich ist. Multireligiöse Räume und Häuser gibt es auch anderswo, etwa an Flughäfen. In Bern entsteht gerade eines für sechs verschiedene Religionen. Doch keiner dieser Entwürfe ist so konsequent, so prägnant und vielleicht auch so polarisierend wie das Bethaus in Berlin, dessen Siegerentwurf vor einigen Monaten der Öffentlichkeit präsentiert worden ist. Nun stellt ein Buch alle 38 Entwürfe des internationalen Architektur-Wettbewerbs vor und vermittelt einen Eindruck davon, wie man an das Projekt herangegangen ist – und das nicht nur auf Deutsch und Englisch, sondern auch auf Hebräisch, Türkisch und Arabisch.
Seinen Anfang nahm das Projekt vor rund zwei Jahren, als die evangelische Gemeinde St.Petri-St.Marien sich vor die Aufgabe gestellt sah, den Petriplatz in Berlin Mitte wieder zu beleben. In den Jahren 2006 bis 2009 war man bei Ausgrabungen auf die Fundamente der Vorgängerkirchen gestoßen, die bis auf das 13. Jahrhundert zurückgehen. Vier Kirchenbauten folgten dem Auf und Ab der Stadt. Der letzte, 1853 von Heinrich Strack in neugotischem Stil entworfen, wurde – er war durch die Bombardements des Zweiten Weltkrieges schwer beschädigt worden – unter Walter Ulbricht zu DDR-Zeiten abgerissen. Seitdem blieb der Petriplatz leer – bis die Ausgrabungen begannen.
Es kam die Idee zu einem Museum auf. Sie wurde aber verworfen, weil man etwas Lebendigeres, Zukunftsträchtigeres haben wollte. So entstand die Idee ein Bet- und Lehrhaus für die drei monotheistischen Religionen zu errichten, die die Stadt Berlin heute prägen. Der aufwendig gemachte Bildband begleitet den Prozess anhand von Beiträgen von Gregor Hohberg, dem Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde St.Petri-St.Marien, und seinen Kollegen Tovia Ben-Chorin, Rabbiner der Jüdischen Gemeinde in Berlin, und Imam Kadir Sanci, islamischer Religionswissenschaftler und Mitglied des „Forum für interkulturellen Dialog“, die eingeladen worden waren, das Vorhaben mitzugestalten. Nach zweijähriger Planungsphase lobte der eigens für dieses Projekt geschaffene Verein „Bet- und Lehrhaus Petriplatz“ einen Architekturwettbewerb aus. Die Jury unter Vorsitz von Hans Kollhoff entschied sich auf der Basis von 38 Einreichungen – die sämtlich in dem Band durch Renderings oder Modelle dokumentiert werden – schließlich für den Entwurf des Berliner Büro „Kuehn Malvezzi“.
Der Mangel an historischen Vorbildern und die Aufgabe, drei Religionen unter einem Dach zu vereinen, brachte sehr unterschiedliche Entwürfe hervor, teils von namhaften internationalen Büros wie Mario Botta oder Jürgen Mayer H.. Der geschlossene Wettbewerb machte präzise Vorgaben: Das Bet- und Lehrhaus sollte sich auf dem Grundriss der ehemaligen Strackschen Kirche erheben und die archäologischen Funde in den Neubau integrieren. Als Material wurde Backstein präferiert. Zentraler Aspekt war, die drei Religionen in einem Haus einerseits zu vereinen, sie andererseits aber separat zu behandeln. Dafür stellten die Initiatoren die Aufgabe, einen Zentralraum zu schaffen, der nicht nur als Übergang zu drei einzelnen Beträumen fungiert, sondern auch – symbolisch und konkret – das Miteinander der Religionen zum Ausdruck bringen sollte. Nicht zuletzt wünschte man sich eine gewisse Erhabenheit des Raumes und einen besonderen Umgang mit Licht.
Der Entwurf von Kuehn Malvezzi entspricht all diesen Anforderungen und behauptet sich darüber hinaus als prägnante Landmarke. Zugleich fügt er sich aber auch harmonisch in das städtische Umfeld ein, das hauptsächlich von Wohnhäusern geprägt ist. In der Tat erhaben wirkt sein kirchenähnlicher, 32 Meter mächtige Turm und der darunterliegende Kubus, der in seinem Inneren einen über mehrere Geschosse reichenden und in einer Kuppel gipfelnden Zentralraum aufweist und damit Sakraltypologien aller drei Religionen vereint. Nicht zuletzt sind es die drei getrennten Beträume, die in ihren Grundrissen einen klassischen christlichen, jüdischen beziehungsweise islamischen Gottesraum zitieren. Das gesamte Gebäude wird, durch orientalisch anmutende Lichtschlitze im Mauerwerk, von Licht durchflutet.
Vergleicht man den Entwurf von Kuehn Malvzzi mit den Vorschlägen, die auf den Plätzen zwei und drei landeten, so wirkt deren Gebäude allerdings wie ein Kompromiss. Der zweitplatzierte Entwurf von Riepl Riepl Architekten, Linz, macht bei den Gebetsräumen weniger Zugeständnisse an die jeweilige Bautradition und löst die Aufgabe mittels dreier quadratischer Räume moderner. Der drittplatzierte Entwurf – von Wandel Höfer Lorch, Saarbrücken – erscheint aufgrund seiner einzigartigen skulpturalen Strahlkraft und die Verbindung dreier monumentaler Baukörper, die wie geschliffene Felsbrocken anmuten, ebenfalls radikaler, doch bleibt hier der zentrale Sakralraum auf der Strecke, wird zu einem reinen Übergangsbereich reduziert.
Auch die anderen Entwürfe erfüllen die Anforderungen nicht ganz so gekonnt wie der Siegerentwurf von Kuehn Malevezzi, was allein deswegen schon erstaunlich ist, da sich das Büro von Wilfried Kuehn, Simona Malvezzi und Johannes Kuehn vor allem einen Namen mit Ausstellungsarchitektur gemacht hat. Man kann die 38 Entwürfe im Grunde in zwei Gruppen aufteilen: Auf der einen Seite gibt es diejenigen Entwürfe, die den drei Religionen – in der äußeren und/oder inneren Gestalt des Baus – durch einen eigenständigen Auftritt Tribut zollen. Diesen gegenüber stehen jene Entwürfe, die den Schwerpunkt auf das Gemeinsame und Vereinende legen und sich deshalb vor allem auf den zentralen Sakralraum als Begegnungs- und Dialogstätte konzentrieren. Navid Kermani, ein in Deutschland lebender Schriftsteller und Orientalist, der mit einem Beitrag im Buch vertreten ist, hat durchaus Recht, wenn er schreibt, dass vielen Entwürfen eine „westliche Kirchenarchitektur“ zugrunde liege, weshalb er einen davon abgeleiteten Turm nicht empfehlen könne. Kermani geht sogar so weit zu behaupten, der Entwurf von Francesco Venezia sei der einzig überzeugende, der das Zusammenspiel der Religionen aus architektonischer, aber vor allem aus theologischer Sicht meistere.
Natürlich wirft der Entwurf von Kuehn Malvezzi die ein oder andere Frage auf. Zum Beispiel wäre da der etwas langatmig ausfallende Zugang zu den Gebetsräumen durch den neun Meter über dem Erdgeschoss liegenden Zentralraum, den man über einen die Empfangshalle spiralförmig umfangenden Treppenaufgang erreicht. Wäre ein weniger umständlicher Zugang nicht vorteilhafter? Oder ließen sich die Sakralräume aufs Hochparterre verlegen, wo sich jetzt der Empfang und ein Café befinden? Auch vermisst man im Außenbereich einen Rückzugsort, einen Garten oder einen abgeschirmten Platz, wo sich die Menschen unter freiem Himmel zum Gespräch oder zur Versenkung treffen können.
Gleichwohl ist der Siegerentwurf ein guter Kompromiss – wie überhaupt das gesamte Projekt, den drei Religionen ein gemeinsames Haus zu bauen, ein Kompromiss ist. Bis es realisiert werden kann, wird wohl noch eine Weile dauern, muss die für den Bau nötige Summe doch durch Spenden aufgebracht werden. Wie das Gebäude dann angenommen und von den verschiedenen Religionsgemeinschaften genutzt werden wird, bleibt abzuwarten. Schon jetzt aber lässt sich erkennen, dass Toleranz, Weitsicht und der Wille zum Dialog das Vorhaben eines interreligiösen Bet- und Lehrhauses prägen. Die symbolische Architektur wird Aufsehen erregen, auch und gerade, weil die Idee, auf der sie basiert, zu Debatten führt. So fördert der Bau schon vor seiner Grundsteinlegung einen interreligiösen Diskurs.
Das Haus der drei Religionen
Bet- und Lehrhaus Berlin
Entwürfe für einen Sakralbau von morgen
Gregor Hohberg / Roland Stolte (Hg.)
Beiträge in deutsch, türkisch, englisch, hebräisch, arabisch
Hardcover mit Schutzumschlag, über 180 Abbildungen, 268 Seiten
DOM publishers, Berlin, 2013
48 Euro