So manch einer mag sich über die zahlreichen Anwendungen „smarter“ Toiletten wundern, die der Sanitär-Markt seit einigen Jahren anbietet. Diese Hightech-WCs sind besonders in Japan beliebt, wo Reinlichkeit einen hohen Stellenwert einnimmt und Körperreinigung ein wichtiges Ritual ist, das mit Sorgfalt und Liebe zelebriert wird – so duschen Japaner etwa, bevor sie baden gehen, um nicht schmutzig in die Wanne zu steigen. Ebenso penibel sind sie auf dem stillen Örtchen – wenngleich auch nie darüber gesprochen wird. Die sogenannten „Washlets“ bieten eine Fülle an digitalen Helferchen, die das WC zu einem Erlebnisparcours für die Sinne und insbesondere für den Allerwertesten machen. Modelle mit Bidet- und Föhnfunktion, beheizbarem Sitz und sensorgesteuertem Toilettendeckel sowie integriertem MP3-Player zum Abspielen einer „Flush-Melody“ gehören dort mittlerweile zum Standard.
Für noch mehr Unterhaltung sorgt darüber hinaus das „Sega Toylet“, das der japanische Software-Anbieter Sega vor fünf Jahren lancierte. Auf einem Monitor über dem interaktiven Urinal kann sich der Nutzer die Zeit mit Video-Spielen vertreiben, die er mit seinem eigenen Urinstrahl steuert.
„Geräusch-Prinzessin“ gegen die Scham
Weniger der Lust nach Unterhaltung als vor allem der Scham geschuldet, ist die sogenannte „Geräusch-Prinzessin“, die in Japan auf öffentlichen Toiletten weit verbreitet ist. Dabei handelt es sich um eine Audio-Funktion, die bei Berührung der Klobrille aktiviert wird und eine Spül-Melodie erzeugt, um die körpereigenen Geräusche zu übertönen. Der Spielzeughersteller Takara Tomy Arts hat zudem eine App entwickelt, die seit Ende 2010 auf dem japanischen Markt erhältlich ist, sodass die „Geräusch-Prinzessin“ überall hin mitgenommen werden kann.
Schamerfüllt sind einige Japaner aber nicht nur aufgrund der Geräusche, sondern auch angesichts medizinischer Untersuchungen. Der Geschäftsführer von Daiwa, einem japanischen Unternehmen für Medizintechnik, machte bei einem Aufenthalt im Krankenhaus die Erfahrung, dass viele Patienten gehemmt waren, eine Urinprobe in einem Plastikbecher vor Ort abzugeben – sie konnten einfach nicht „auf Kommando“ urinieren. Der Sanitär-Hersteller Toto, derzeit Weltmarktführer für „Washlets“, hat für Daiwa deshalb ein „intelligentes“ WC entwickelt, das den Patienten die unangenehme Prozedur erleichtern soll. „Flow sky“ erkennt nicht nur das Körpergewicht des Nutzers, sondern verfügt außerdem über einen Auffangbehälter in der Klo-Schüssel, der automatisch eine Urinprobe nimmt. Die „smarte“ Toilette misst sodann den Glukose-Gehalt, den Hormonspiegel und eventuelle Entzündungswerte. Alle Daten werden übers Internet an den Arzt gesendet, wo sie mithilfe einer entsprechenden Software ausgewertet werden. Auch eine Schwangerschaft lässt sich so aus der Ferne diagnostizieren. Auf Basis der Daten werden obendrein nützliche Tipps für eine gesunde Ernährung und eine bessere Gesundheitsvorsorge erstellt. Allerdings ist das Modell bislang nur auf dem japanischen Markt verfügbar und wird dort ausschließlich in medizinischen Einrichtungen eingesetzt.
Doch wer weiß, vielleicht wird es den medizinisch wertvollen Lokus eines Tages für den Heimgebrauch geben, wo er täglich Ratschläge zur gesünderen Lebensführung geben kann. Wenn Sie also in Zukunft den Besuch im Fitness-Studio durch einen gemütlichen Abend vor dem Fernseher mit einer Tüte Chips ersetzen, seien Sie gewarnt: Ihr „intelligentes“ WC wird im Nachhinein den Müßiggang bemerken und Sie mit einem Diätplan bestrafen.
Wenn das Urinal die Schranke sperrt
Was das WC dank digitaler Helfer so alles über die physische Kondition verrät, das dürfte nicht jedem recht sein. In dem Club „Zouk“ in Singapur wird derzeit ein Urinal getestet, das den Alkoholspiegel im Blut messen kann und bei gegebenem Anlass den Gast am Autofahren hindert. Im Rahmen einer Antidrogen-Kampagne hat die DDB Group, eine dort ansässige Werbeagentur, 2013 den „Thing Magic Astra“ entwickelt, einen Sensor, der auf dem Boden des Urinalbeckens installiert wird. Jeder Gast, der mit seinem Auto auf den Parkplatz des Nachtclubs fährt, muss seinen Autoschlüssel abgeben und erhält eine RFID-Karte. Durch diese „erkennt“ das Urinal den Gast und mithilfe des Sensors wird die Konzentration an Ethylglucuroniden in dessen Urin ermittelt. Überschreitet der Alkoholgehalt die zulässige Grenze, die für Autofahrer gestattet ist, ertönt ein Warnsignal auf dem Videomonitor über dem Urinal und der Gast erhält die freundliche Empfehlung, sich doch besser ein Taxi zu nehmen. Zeitgleich wird die Meldung an das Parksystem gesendet, das sodann die Parkhaus-Schranke sperrt, sodass der Gast sein Auto über Nacht stehen lassen muss.
Das digitale WC plaudert unsere intimsten Geheimnisse aus – was sicher gut gemeint ist, doch auch befremdlich wirkt und mitunter bedenklich ist. Wo das am Ende hinführen kann, das hat der amerikanische Science-Fiction-Film „Gattaca“ im Jahr 1997 schon vorweg genommen: Hautschuppen und Körperflüssigkeiten werden überall gescannt und analysiert und entscheiden aus höchster Instanz über das weitere Leben der Protagonisten.
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