Stockholm Furniture & Light Fair 2020
Harmonie aus Kontrasten
Ihr seid dieses Jahr die Ehrengäste auf der Stockholm Furniture Fair. Aus diesem Anlass habt Ihr für das Foyer der Messe einen beeindruckenden temporären Ausstellungsraum geschaffen. Was hat Euch bei Eurem Entwurf geleitet?
Jonathan Levien: Wir wussten, dass wir den Menschen Einblick in unsere Arbeit und unsere Arbeitsweise geben wollten. Wir wollten unsere Zeichnungen, Modelle und Prototypen zeigen. Also mussten wir einen Raum schaffen, der genau das ermöglichte.
Das Ergebnis Eurer Überlegungen war ein kleiner Pavillon, den Ihr nach oben mit Bögen und Gewölben abschließt. Warum habt Ihr Euch für ein so klassisches Architekturvokabular entschieden?
Jonathan Levien: Als uns der Anruf erreichte, das wir als Ehrengäste nach Stockholm eingeladen seien und diese Installation schaffen dürfen, waren wir gerade auf Sizilien. Dort hat uns die Kirche San Cataldo in Palermo tief beeindruckt. Ihr Innenraum hat etwas extrem Berührendes und Intimes mit seinen quadratischen Deckengewölben und seinen gelben Buntglasfenstern. Wir spürten intuitiv, dass wir diese Atmosphäre gern auch in unserer Ausstellung haben wollten.
Der gesamte Pavillon ist aus Sperrholz konstruiert. Warum gerade dieses Material?
Jonathan Levien: Uns war wichtig, dass der gesamte Bau aus lokalen Materialien gefertigt ist. Das gesamte verwendete Holz stammt aus Skandinavien. Außerdem sollten alle Teile auch im Anschluss an die Ausstellung sinnvoll weiterverwendet werden können. Schließlich dauert die Messe nur wenige Tage.
Auch wenn Ihr keine Architekten seid – mit dem Thema Raum habt Ihr Euch schon bei vielen Eurer Möbeldesigns beschäftigt.
Jonathan Levien: Das stimmt. Einen Stuhl etwa sehen wir als einen Raum. Er bildet eigentlich nur den materiellen Rahmen für jenen Raum, den der Mensch in ihm einnimmt. Gleichzeitig ist ein Stuhl der Mittler zwischen dem Sitzenden und der Architektur. Für uns sind Designs eigentlich immer Skulpturen, die einen bestimmten Raum definieren – ihn aussondern aus der Umgebung.
Gleichzeitig scheinen sich viele Eurer Entwürfe aus der Fläche heraus in die dritte Dimension zu entwickeln?
Jonathan Levien: Richtig! Nicht zuletzt deshalb, weil die meisten unserer Entwürfe natürlich ihren Ursprung in einer zweidimensionalen Zeichnung haben, die dann zu einem dreidimensionalen Objekt wird. Insbesondere Nipa ist eine äußerst versierte Zeichnerin und Malerin. Das ist ihr wichtigstes Werkzeug. Ich dagegen bin ein Handwerker. Ich baue und skulptiere die Objekte, die sie gezeichnet hat. Manchmal läuft es allerdings auch umgekehrt und sie zeichnet die Dinge, die ich gebaut habe. Immer aber geht es um die Übersetzung zwischen Räumlichem und Nicht-Räumlichem – und das soll sich an unseren Entwürfen ablesen lassen.
Textil ist ein wichtiger Bestandteil Eures Schaffens als Designer. Was fasziniert Euch daran so besonders?
Nipa Doshi: Textilien sind sehr strukturelle Materialien. Sie können sowohl zweidimensionale wie dreidimensionale Gestalt annehmen. Und selbst die einfachsten Textilien sind immer noch in vielerlei Hinsicht "hightech". Ich liebe das Konstruktive an der Arbeit mit Textilien, die Tatsache, dass man nie weiß, was passieren wird, bis man es ausprobiert hat – wie sie sich verhalten werden, wie sie sich bewegen, wie sie fallen. Und schließlich mag ich an Textilien auch die Eigenschaft, dass man sie als Kleidung tragen kann, aber auch auf ihnen sitzen und Räume aus ihnen bauen kann. Ganz zu schweigen von den Möglichkeiten, die sich durch den Einsatz von Farben und handwerklichen Techniken ergeben.
Wie seid Ihr mit dem Thema Textil in Berührung gekommen?
Nipa Doshi: In Indien, wo ich aufgewachsen bin, spielen Textilen im Alltag eine wesentlich größere Rolle als im Westen. Meine Mutter etwa besaß hunderte von Saris, die aus allen denkbaren Stoffen gefertigt waren. Deshalb habe ich eine enge Verbindung zum Medium Textil, auch wenn ich mich früher nie deshalb in eine ethnische Schublade stecken lassen wollte. Als ich aber anfing, mich mit Stoffen zu beschäftigen, weil es bei unseren Möbelentwürfen eine Rolle spielte, stellte ich fest, dass ich ein echtes Talent für textile Designs besitze.
Nipa Doshi: "Maya" bedeutet auf Hindi "Illusion". Unser "Maya" ist ein transparenter Vorhangstoff, der ermöglichen soll hindurchzublicken, doch selbst verborgen zu bleiben. Meine Inspirationsquelle für diesen Stoff waren die indischen Chanderi-Saris – aus Seide gewebte, halbdurchsichtige Saris, die die Frauen während der Sommermonate tragen. Wie diese Saris zerstreut "Maya" das Licht, aber lässt den Wind hindurch.
Ist "Jaali" auch für Vorhänge gedacht?
Nipa Doshi: Nein, "Jaali" haben wir in erster Linie als Bezugstoff entworfen. Er ist sehr architektonisch gedacht und verbindet Muster mit Textur, Oberfläche mit Tiefe, Licht mit Schatten. Außerdem spielt die Farbe natürlich eine große Rolle.
Neben solch abstrakten Textilentwürfen habt Ihr für die Pariser Galerie Kreo auch eine Serie von Tapisserien mit gegenständlichen Motiven geschaffen. Welche Aspekte bestimmen bei Euch die Gestaltung?
Nipa Doshi: Ich bin ein unglaublich visueller Mensch. Viel Zeit im Studio verbringe ich damit, mir Dinge einfach anzuschauen. Wenn ich Bilder von, sagen wir, Picasso oder Le Corbusier betrachte, dann versuche ich, sie nachzuvollziehen und in meine eigenen Entwürfe zu übersetzen. Die Tapisserien sind meine Interpretation von Le Corbusiers Entwurf für Chandigarh, seine berühmte Planstadt in Indien.
Welche Bedeutung hat Chandigarh für Dich?
Nipa Doshi: Nicht nur Chandigarh, die gesamte Moderne in Indien war für mich während meiner Jugendzeit eine prägende kulturelle Erfahrung. Ich bin in Ahmedabad aufgewachsen, wo Le Corbusier unter anderem das Sanskar Kendra Museum und das Mill Owner's Associaton Building errichtet hat. Das Haus meiner Tante wurde vom Assistenten von Balkrishna Doshi entworfen. Die Menschen haben bei Indien immer das Bild eines sehr traditionellen Landes vor Augen, aber ich bin in einem sehr modernen Indien großgeworden.
Mir scheint, für Eure neue Leuchtenserie "From Earth to Sky" ist die abstrakte Kunst der Vierziger- und Fünfzigerjahre ein wichtiger Bezugspunkt?
Nipa Doshi: Definitiv. Ich habe mich in der Vorbereitung auf das Projekt in zahllosen Zeichnungen und Bildern insbesondere mit den Arbeiten von Hans Arp und Alexander Calder auseinandergesetzt.
Jonathan Levien: Ich bin seit langem Fasziniert vom Wechselspiel von Geometrie und freier Form. Geometrie hat für mich etwas Faktisches, nicht Diskutierbares, während die freie Form in meinem Verständnis intuitiv, seelisch ist. Wir spielen in unserer Arbeit immer wieder mit diesem Gegensatz von Zerebralem und Emotionalem.
Ihr spielt bei den Leuchten aus der "From Earth to Sky"-Kollektion nicht nur mit Formen, sondern auch mit Materialien, indem Ihr Hochpreisiges neben Billiges und perfekt Verarbeitetes neben Rohes stellt. Was ist die Idee dahinter?
Jonathan Levien: Kontrast ist für uns elementar. Er war von Beginn an, seitdem wir im Jahr 2000 unser eigenes Studio gegründet haben, die Grundlage unseres Schaffens als Designer. Wir haben jede Art von Purismus immer abgelehnt und nie geglaubt, dass es das eine gute Design, den einen guten Geschmack gibt. Uns ging es in unseren Entwürfen immer um Tiefe, um Vielschichtigkeit, darum, eine Geschichte zu erzählen.