Ohne Filter
Anna Moldenhauer: Gary, warum hast du dich für Dieter Rams als Thema entschieden?
Gary Hustwit: Ich hatte ihn für "Objectified" interviewt, den Film, den ich 2009 gedreht habe. Das Interview lief gut – ich hatte das Gefühl, er wusste es zu schätzen das wir nicht viel Equipment sein Haus gebracht haben. Wir waren sehr respektvoll gegenüber seinem persönlichen Raum. Dieter wird nicht gerne interviewt, er hat nicht gerne fremde Menschen in seinem Haus, die Gegenstände bewegen und seine Welt stören. Zudem ist er der Meinung, dass es genug Bücher gibt, die seine Arbeit und seine Überzeugungen vermitteln. Ich war mir aber sicher, dass ein Dokumentarfilm ein anderes Publikum erreichen kann als ein Buch, eine neue Generation von DesignerInnen und EndverbraucherInnen. Mit dieser Idee konnte ich ihn schließlich überzeugen.
Was wusstest du über Dieter Rams bevor du mit den Dreharbeiten begonnen hast?
Gary Hustwit: Ich kannte seine Vita, aber nicht seine Meinung zum Thema Nachhaltigkeit. Wie er heute versucht ein Umdenken, ein Nachdenken anzuregen, bei Verbrauchern und Unternehmen. Und das obwohl er lange Zeit sehr mit dem Design von Konsumgütern verwachsen war. Für mich war es ein Weckruf über die eigene Einstellung zu Geräten nachzudenken und welche Lebenszeit diese haben sollten. Sehr interessant für mich waren auch seine Ansichten darüber, wie die Technologie unser Verhalten geändert hat. Ich denke er ist wenig entsetzt, wie sehr wir unser Leben von der digitalen Technik bestimmen lassen.
Hat die Zusammenarbeit mit Dieter Rams deine Sichtweise auf Design verändert?
Gary Hustwit: Auf jeden Fall. Sein Denken hat definitiv meinen Blick auf Design verändert, wie auch mein persönliches Verhalten. Es hat auch meine Ansichten über das Filmemachen verändert, weil man seine 10 Prinzipien auf meine Arbeit anwenden kann. Seine Liste hängt bei mir im Büro und ich habe während der Dreharbeiten immer wieder über seine Vorstellungen zum Thema Einfachheit und Ehrlichkeit nachgedacht. Dementsprechend war es mir ein Anliegen einen in gewisser Weise unaufdringlichen Film zu schaffen.
Wie hat die Arbeit mit Dieter Rams dein persönliches Verhalten verändert?
Gary Hustwit: Nachdem ich ein wenig Zeit mit Dieter in seinem Haus verbracht hatte, hatte ich das starke Bedürfnis mein Haus aufzuräumen. (lacht)
Er ist der Begründer der Declutter-Bewegung, sein Motto ist "Less but better". Ein weiterer Grund, warum ich dachte, dass dieser Film zum richtigen Zeitpunkt kommt. Unsere Art zu konsumieren, diese Wegwerfgesellschaft – ich bin der Überzeugung das Dieter's Ideen wichtig sind für den populären Diskurs. Aber auch auf der persönlichen Ebene hat es mich dazu gebracht, mehr über die Dinge nachzudenken, die ich besitze und kaufe.
Woher denkst du kam sein Umdenken?
Gary Hustwit: Nun, er schaut zurück und bedauert es auf eine Art, Teil des Konsum-Systems gewesen zu sein. Gleichzeitig denke ich, dass die Produkte, die er für Braun entworfen hat, designt wurden um im besten Fall ein Leben lang zu halten und auch reparabel waren. Sie wurden nach höchsten Standards entworfen und produziert. Bei den Dingen, die wir heute kaufen gehen wir schon im Vorfeld davon aus, das sie nicht lange halten werden.
Man erwartet im ersten Moment einen Film über die Arbeit des Designers, erhält aber als Bonus einen sehr nahen Blick auf die Person Dieter Rams. Warum hast du beschlossen den Menschen in den Vordergrund zu stellen?
Gary Hustwit: Man kann aus den Biografien eine Menge Informationen über ihn bekommen, aber nicht seinen Geist, seine Emotionen erfahren. Wie es ist in seinem Haus zu sein, ihn auf Reisen oder bei einem Ausstellungsbesuch zu begleiten. Ich bin überzeugt davon, dass man sich noch mehr für seine Arbeit interessiert, wenn man ihn über das Medium des Films auf einer persönlichen Ebene kennengelernt hat. Und sieht, wie viel Engagement, Ehrlichkeit und Sorgfalt er seiner Arbeit entgegenbringt. Wenn du ihm eine Minute dabei zusiehst wie er einen seiner Bonsais pflegt, bekommst du ein ganz anderes Gefühl für ihn als Person und Designer als wenn du ein Buch über ihn liest. Ja, ich denke es ist in vielerlei Hinsicht ein sehr humanistischer Film. Und es war für mich auch eine besondere Erfahrung einen Film quasi alleine zu drehen.
Du hat in deiner Laufbahn bereits zahlreiche DesignerInnen interviewt, was war bei Dieter Rams anders?
Gary Hustwit: Die meisten Menschen verändern ihr Verhalten, wenn die Kamera läuft. Sie möchten ein möglichst perfektes Bild von sich erzeugen. Ich glaube nicht, dass Dieter die Meinung anderer Leute so sehr kümmert. Er verhält sich nicht wirklich anders, wenn die Kamera läuft. Was für einen Filmemacher ein großes Glück ist. Er hat keine Angst, seine Meinung zu äußern, über Design oder über andere Themen. Somit gibt es keinen künstlichen Abstand zwischen Motiv und Betrachter, keine Kunstgriffe. Und das merkt der Zuschauer. Ich denke das Ehrlichkeit sehr wichtig ist. Man muss in der Lage sein darzulegen woran man glaubt, bevor man darüber sprechen kann was man nicht glaubt und Vergleiche anstellt.
Dieter Rams war an hunderten Produktentwicklungen beteiligt – nach welchen Kriterien hast du entschieden welche seiner Arbeiten im Film erwähnt werden?
Gary Hustwit: Dieter und ich haben tagelang darüber gesprochen, welche Designs den meisten Einfluss hatten. Zudem wollte ich anhand der Produkte die verschiedenen Facetten seiner Designphilosophie zeigen, die die 10 Prinzipien repräsentieren. Viele Arbeiten von ihm haben heute eine Parallele zum digitalen Design oder Interaktionsdesign. Wie die Taschenrechner, die Dieter Rams zusammen mit Dietrich Lubs für Braun entworfen hat. Eine klare Benutzerführung mittels Reduktion, Farbcodierung und ergonomischer Form.
Ich finde die Ähnlichkeit von Dieter Rams Entwürfen zu aktuellen Designs ist unverkennbar, beispielsweise in Bezug auf Apple.
Gary Hustwit: Dieter sieht es als Kompliment, wenn Unternehmen sich von seinen Designs inspirieren lassen. Für ihn ist es eine Art der Evolution. So wie seine Arbeit bei Braun eine Art Evolution des Bauhauses und der Ulmer Schule war. Ich habe die Thematik im Film nicht weiter vertieft. Der Betrachter soll die Verbindungen selbst herstellen und sich seine Meinung ungefärbt bilden.
Deine Wurzeln liegen in der Musikindustrie. Ich habe gelesen, dass beim Schreiben des Drehbuches in deiner Vorstellung die Töne vor den Bildern erscheinen. Wie klang Rams für dich?
Gary Hustwit: Er klang wie ein Stück aus dem Werk von Brian Eno. Ambient, elektronisch. Ich hatte sofort das Gefühl, dass die Sensibilitäten von Rams und Eno übereinstimmen würden. Auch wenn sie aus ganz unterschiedlichen kreativen Bereichen kommen. Eno und Rams sind wie die beiden Enden eines Spektrums. Brian Eno kombiniert Töne auf zufällige, unerwartete Art und Weise. Bei Rams geht es um Kontrolle, um Vollständigkeit, es gibt keine Willkür. Trotzdem haben sie eine Schnittmenge. Ich hatte gehofft, dass Eno ein Fan von Dieter Rams Arbeiten ist und dem war so. Somit hat es einfach Sinn gemacht sie zu kombinieren. Ich höre seit 30 Jahren Enos Musik, daher finde ich es unglaublich das er ein Teil des Projektes geworden ist.
Gibt es etwas, dass dich an Dieter Rams überrascht hat?
Gary Hustwit: Seinen Sinn für Humor habe ich nicht erwartet. Man projiziert von den klaren, minimalistischen Designs auf seine Persönlichkeit, aber er ist im Grunde das genaue Gegenteil. Er hat eine starke Verbindung zur Natur, sein Garten und der Wald nahe seinem Wohnhaus sind für ihn essentiell. Zudem ist er einer der einflussreichsten Produktdesigner der Welt, bedauert aber gleichzeitig Teil des Konsum-Systems zu sein. Er steckt voller Widersprüche, und es war spannend diese während der dreijährigen Zusammenarbeit zu entdecken.
Welche Wirkung hat deiner Meinung nach dieser Einblick auf die junge Generation DesignerInnen?
Gary Hustwit: Ich denke es bestärkt junge DesignerInnen darin nach vorne zu schauen. Das es in Ordnung ist mit seinen Ideen zu hadern, mit sich selbst zu ringen. Und auch mal seinen Standpunkt zu verändern, sich dem Einfluss, den man hat bewusst zu werden. Das all das keine Hürden sind, um großartige Produkte herzustellen. Design soll dem Menschen nützen. Es kann die Ausrichtung der Gesellschaft und Industrie in gewisser Weise lenken. Da ist es meiner Meinung nach sinnvoll zu hinterfragen, ob wir die Produkte die aktuell produziert werden wirklich alle brauchen.
Du bist als Filmemacher unabhängig, wie hast du das Projekt finanziert?
Gary Hustwit: Mit einer Kombination aus Kickstarterkampagne und einem Zuschuss meiner Produktionsfirma aus den Verkäufen meiner bisherigen Filme. Bei der Realisation eines Filmes helfen mir auch oft meine Familie und Freunde. Ich arbeite unabhängig, weil ich denke das das Ergebnis ansonsten ein komplett anderes wäre. Mich interessiert es nicht für jemanden zu arbeiten, der die Geschichte schreibt, von der er denkt das sie erzählt werden sollte. Ich möchte mir für den Film Zeit nehmen können und selbst entscheiden. Den Dingen Raum zu geben war auch bei Rams ein essentieller Teil meiner Arbeit.
Gibt es einen Film, den du noch auf der Leinwand vermisst?
Gary Hustwit: Ich interessiere mich immer noch für Design, obwohl ich vier Design-Dokumentationen veröffentlicht habe. Ich bin sicher, dass ich immer wieder darauf zurückkommen werde. Aber ich habe eine Liste von 50 Filmen, die es im Moment nicht gibt, die ich gerne machen würde. Und das sind Musik, Kunst, Design, Architektur und andere Bereiche. Jeder Film braucht zwei bis drei Jahre in der Umsetzung, das ist eine große Verbindlichkeit. Auch weil ich in der Zeit alle in meinem Umfeld in den Wahnsinn treibe, weil ich über nichts anderes rede. (lacht)
Wie bist du zum Film gekommen?
Gary Hustwit: Ich habe die Filme gemacht, weil ich sie mir gerne anschauen wollte und sie bis dato nicht existierten. Ich hatte nie den Wunsch Filmemacher zu werden, aber ich wollte diese Filme sehen. Und nicht darauf warten, dass irgendwann sie jemand dreht. Und damit bin ich nicht alleine, die Nachfrage nach Dokumentationen über Design ist da. Ich denke, die Tatsache, dass ich kein Designer bin oder nicht in der Designindustrie tätig war, hat definitiv dazu beigetragen, die Filme zu dem werden zu lassen, was sie sind. Es ist schön, einen objektiven Standpunkt zu haben. Wenn ich in der Branche wäre, hätte ich eine andere Sichtweise. Die Filme sind Erkundungen für mich. Ich bekomme einen Crashkurs in Produktdesign, Architektur, Open Design, Typografie. Der Film ist das Nebenprodukt der Erforschung. Und ich freue mich schon auf den nächsten.
"Rams" wird derzeit im Rahmen spezieller Veranstaltungen weltweit gezeigt.