top
Diego Faivre

Drei Fragen an Diego Faivre

In der performativen "Minute Manufacturing" stellt Diego Faivre Interieurobjekte aus recycelten Materialien her und überzieht diese mit farbiger Knete. Jede Minute Produktionszeit entspricht dem Gegenwert von einem Euro. Sein Konzept erklärt er uns im Interview.
18.01.2021

Anna Moldenhauer: Diego, deine Arbeit ist sehr kontrastreich – du stellst Objekte zeitsparend her, dennoch ist jedes in Form und Farbe einzigartig. Sie sind funktional, aber nicht perfekt. Sie bestehen aus recycelten Materialien und Ton, aber auch der Zufall spielt im Prozess eine große Rolle. Worin liegt für dich der Reiz in diesen Spannungsfeldern?

Diego Faivre: Die "Minute Manufacturing" läuft seit vier Jahren und ist ein persönliches Projekt, da ich viele Aspekte meines Ichs in den Prozess einbringen kann. Mich hat es immer gereizt, Widersprüche zu erzeugen, Paradoxe zu verschmelzen und zu beobachten, was als Nächstes passiert. Die Spannungsfelder ermöglichen, das man sich dem Projekt von vielen Ebenen aus nähern kann. Jeder Betrachter geht mit unterschiedlichen Themen in die Resonanz, ob es der Zeit-/Geldfaktor, die Nachhaltigkeit oder die verspielte Ästhetik ist. Indem ich in meiner Arbeit durch unsere moderne Lebensweise navigiere und dabei Themen wie Arbeit, Geld oder Ästhetik berühre, möchte ich eine Diskussion schaffen. In der "Minute Manufacturing" setzen meine eigenen Regeln den Rahmen für die Herstellung, und genau darum geht es im Design. Grenzen zu finden und mit ihnen zu agieren. Das Projekt gibt mir alle Freiheiten, die ich brauche, um zu experimentieren und diese zu verschieben.

Inwieweit ist deine Arbeit eine Kritik an der Massenproduktion von Einrichtungsgegenständen?

Diego Faivre: Wir kennen die Details wie die ursprünglichen Kosten oder den Produktionsort von Objekten oft nicht. Ich würde gerne mehr Transparenz in den Herstellungsprozess bringen: Erstens, weil es sehr interessant ist diesen zu erleben, zweitens weil wir dazu neigen, den menschlichen Faktor zu vergessen, die Arbeit nicht wertzuschätzen, die hinter den Objekten steht, die wir täglich nutzen. Die britische Sportwagenmarke TVR gibt so einen Hinweis darauf, wer das Auto gebaut hat, meist über eine im Kofferraum versteckte Zeichnung, die mit dem Namen des Arbeiters versehen ist. Statt eine kollektive Identität anzustreben, möchte ich eine Variation sehen, die in direktem Zusammenhang mit dem Arbeiter steht. Ein leicht unterschiedliches Ergebnis bei jedem Produkt einer Massenproduktion, das durch den Arbeiter selbst beeinflusst wird, könnte ein Ansatz sein, um mehr Einzigartigkeit in unsere Umgebung zu bringen.
Wir sind an gut gestalteten, voll funktionsfähigen Objekten interessiert, aber die massenproduzierten Gegenstände sind am Ende aseptisch. Eine homogene Umgebung führt zu einer kollektiven Identität, die die Kultivierung einer persönlichen Identität nicht zulässt. Ich finde es heutzutage sehr schwierig und teuer, ein einzigartiges Interieur mit Objekten zu schaffen, die die eigene Persönlichkeit widerspiegeln. Darüber hinaus möchte ich den Herstellungsprozess hervorheben, weil es mir Freude macht, mit den Händen zu arbeiten. Körperliche Arbeit ist mit vielen Vorurteilen behaftet, aber sie erlaubt es die Konzentration zu fokussieren und wirkt befreiend für den Geist. Der Instinkt mit seinen Händen zu schaffen begegnet mir eher in der Kunst und ich finde es interessant, diese rohe und spontane Produktion auch in die Industrie zu bringen.

Mit dem farbigen "Diego Clay" beschichtest du bisweilen auch bestehende Objekte und veränderst so deren Wahrnehmung – wie die Verkleidung einer Feuerleiter auf der Vienna Design Week 2019. Warum möchtest du mit deiner Arbeit unseren Blick auf Gebäudestrukturen verändern?

Diego Faivre: Wenn ich das Universum aus Ton machen könnte, würde ich es tun! Es reizt mich, die Realität zu verändern, die gerade Linie unperfekt, dick und unregelmäßig werden zu lassen. Das Spiel mit der kollektiven Erinnerung wie Objekte und Symbole gestaltet sind, bringt eine andere Dimension in das tägliche Leben. Viele Dinge nehmen wir als selbstverständlich wahr und beachten sie nicht. Diesen Gegenständen ein Podest zu bieten und sie aus der täglichen visuellen Landschaft hervorzuheben, schafft einen neuen Maßstab und eine neue Perspektive auf unsere Umgebung.

Diego Faivre in der "Minute Manufacturing"