Modisch? Wer will schon modische Möbel in seiner Wohnung haben? - Möbel haben zeitlos und langlebig zu sein, fern von allen kurzfristigen Strömungen und modischen Spielereien - das galt noch vor wenigen Jahrzehnten als ausgemacht. Mode war für einen seriösen Produktgestalter lange Zeit tabu und wohl auch deshalb wurde die schwarze Existenzialisten-Kluft zur Uniform der Architekten und Produktgestalter der Moderne, irgendwo zwischen nötiger Exzentrik und betonter Ablehnung alles Bunten, Lauten und Oberflächlichen. Auf der Suche nach Zeitlosigkeit und Alltagstauglichkeit musste sich das Produktdesign des Zwanzigsten Jahrhunderts notwendigerweise von einer Disziplin distanzieren, die doch anscheinend bloß Kurzlebigkeit und Festtagsexzentrik zelebrierte. Auch die Ornamentdebatte vergrößerte wohl unvermeidbar die Kluft, schloss sie doch eine rein schmückende Funktion im Wertekanon der Moderne aus. Stoffe, Textilien oder Leder schienen nun wie die Materialien einer weiblichen Disziplin, die den harten Materialien aus der Industrie, dem Metall, Glas, Stahl eines männlich konnotierten Industriedesigns gegenüberstanden.
Doch da die verschiedenen künstlerischen Bereiche einander immer stärker beeinflussen und sich selbst einstmals unvereinbare Bereiche wie Kunst und Design annähern, sind sich in den vergangenen Jahren auch Mode- und Produktdesign näher gekommen. In unzähligen Cross-Marketing-Aktionen kooperierten Designer und Hersteller: Yoshji Yamamoto entwarf Taschen für Mandarina Duck, Issey Miayke Staubsauger für Dyson, Marcel Wanders Accessoires für Puma und Zaha Hadid Schuhe für Lacoste oder das brasilianische Label Melissa. Viele Designer möchten sich nicht mehr zwingend auf einen Bereich festlegen. Hedi Slimane etwa, ehemaliger Chefdesigner bei Dior Homme, entwarf 2007 mit „F-System" auch eine Möbel-Kollektion: Orientiert an Funktionen des 18. Jahrhunderts, sahen die Stücke so aus, als habe sie AG Fronzoni persönlich entworfen, sie wirkten industriell produziert, waren tatsächlich aber aus eloxiertem Metall und Ebenholz in limitierter Stückzahl handgefertigt. Wie in der Mode, verrät auch das Möbeldesign mit Materialien, Formen, Produktionsweisen und Funktionen besonders viel über die gesellschaftlichen Entwicklungen einer Zeit, über ihre Begehrlichkeiten, Konventionen, Werte und Ideale. Und längst hat auch auf den Möbelmessen der Saison-Turnus der Mode Einzug gehalten, müssen laufend Neuheiten präsentiert oder Klassiker „in die Gegenwart geholt" werden.
Mode ist seit jeher die Disziplin, die kommunikative Funktionen in den Vordergrund stellt, die bloßer Schmuck und bloßes Statement sein darf. „Mode", so Roland Barthes, „hat immer praktischen Nutzen und rhetorische Aussage". Was dem eigenen Körper so nahe kommt wie Kleidung, fordert zu einer Auseinandersetzung mit dem Selbst anscheinend stärker auf als Möbel, die dem Körper nur zeitweise nahe kommen und erst als „dritte Haut" gemeinsam mit ihrem Besitzer dessen Haltung, Status oder Prestige kommunizieren. Mode reagiert schneller auf gesellschaftliche und technologische Entwicklungen als es das Möbeldesign kann. Was auf den Laufstegen zu sehen ist, dient dennoch meist mehr der Vermittlung einer Lebens-, Gefühls- und Markenwelt, als dass es tatsächlich als Verkaufsangebot zu verstehen ist. Da aber Identität und Individualität zu zentralen Verkaufsargumenten geworden sind, kann die Möbelbranche von der Mode in Sachen Markeninszenierung einiges lernen: Modelabels verstehen es perfekt, in den zehn Minuten einer Fashion-Show die Kernaussagen der Kollektion zuzuspitzen und die emotionalen Qualitäten der Marke zu verankern. Modedesigner entwerfen immer öfter auch die eigenen Showrooms, Ladeneinrichtungen und Erscheinungsbilder, um das Markenimage möglichst stringent zu halten. Modelabels verstehen sich zunehmend als Lifestyle-Marken, die nicht nur Kleidung entwerfen, sondern für eine klar definierte Zielgruppe ganze Lebenswelten abbilden und ihr die dafür erforderlichen Produkte in möglichst vielen Bereichen anbieten.
Diesem Trend folgend präsentierten sich auf der diesjährigen Mailänder Möbelmesse ungewöhnlich viele Modelabels mit einer Home-Kollektion. Erstmals zeigte etwa das italienische Label Diesel Leuchten und Möbel, die in Kooperation mit Foscarini und Moroso hergestellt werden: Sideboards, die an die Tour-Koffer von Rock-Bands und Leuchten, die an Elemente einer DJ-Konsole erinnern. Tische und Lampenschirme, auf denen Röntgenaufnahmen von Plattentellern und Prints alter Soundsysteme zu sehen sind. Dunkel überfärbte Tische und Stühle, die an das Spiel mit Nutzungsspuren, Waschungen und Färbungen bei Jeans denken lassen. Möbel- und Leuchtenentwürfe also, die - fernab von allen Überlegungen nach universeller Einsetzbarkeit und visueller Langlebigkeit - ein Thema konsequent durchspielen wie in der Mode und damit vermutlich erfolgreich eine bestimmte Klientel ansprechen.
Auch Maison Martin Margiela, das seit 2002 zur Diesel-Gruppe gehört, präsentierte in Mailand mit einer Nachbildung des Pariser Studios sein stringent durchgestaltetes Universum, das dennoch als Gegenentwurf zu den Lifestyle-Welten der großen Marken gelten kann: ein in sich geschlossener Kosmos, in dem Aktenordner, Taschenrechner und Computer unter weißen Houssen verschwinden und Idee und Konzept in den Vordergrund treten. Wie mit den Margiela-Ausstellungen, die in Antwerpen und München zum zwanzigjährigen Bestehen des Hauses zu sehen waren, belegte die Inszenierung eindrucksvoll, wie stark der Einfluss konzeptioneller Modemacher auf alle gestalterischen Bereiche mittlerweile ist. Denn seit den Neunzigerjahren hat sich die Mode mit Designern wie Rei Kawakubo, Martin Margiela oder Hussein Chalayan den Status einer konzeptionellen, kritisch-intellektuellen Disziplin erobert, welche die eigene Disziplin und ihren übersteigerten Ästhetizismus deutlicher in Frage stellt als es je ein etablierter Möbeldesigner gewagt hat.
Mode hat in vielen Bereichen eine Vorreiterrolle fürs Design übernommen: Individualisierung und Customization wurden hier schon durchgespielt als in der Produktgestaltung noch kaum einer davon sprach. Themen wie Vintage, Ethno oder die Wiederentdeckung des Traditionellen und Handwerklichen spiegelten sich im Möbeldesign oft erst Jahre später. Die Mode bedient sich traditionell im Fundus der Vergangenheit, entwirft Samples, Mixes und Coverversionen, die im zeitgenössischen Möbeldesign zwar ebenso vorhanden sind, aber noch immer nicht offen benannt werden. Mode spielt als Beleg gesellschaftlicher Entwicklungen heute in den Feuilletons eine größere Rolle als Möbel- oder Produktdesign. Alternative Modemagazine befassen sich mit Zeichenhaftigkeit und kulturellen Codes wie es kaum ein Designmagazin tut. Während das wagemutige Experiment im Modedesign selbst für viele große Namen eine halbjährliche Notwendigkeit darstellt, wird es im Möbeldesign meist den unbekannten Newcomern überlassen. Modemacher wie Hussein Chalayan haben sogar die Rolle des forschenden Gestalters eingenommen, die einst dem ingenieursbetonten Industriedesign vorbehalten schien, der mit neuen Technologien, Materialien und Anwendungsmöglichkeiten experimentiert. Die Präsentation seiner „One Hundred and Eleven Collection" von 2006, bei der Kleider per eingebauter Mikrotechnologie von einem ikonischen Moment der Mode zum anderen wechselten, sich von einem viktorianischen in ein Zwanzigerjahre-Modell wandelten oder auslandende Hüte zu kleinen Käppis transformiert wurden, wird wohl als der Moment in die Designgeschichte eingehen, ab dem das Klischeebild des oberflächlichen Modedesigners selbst beim seriösesten Produktgestalter endgültig der Vergangenheit angehörte.