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Die Zukunft ausmalen
von Thomas Edelmann | 06.10.2009

Die tröstliche Botschaft der diesjährigen IAA: Das Rad muss nicht neu erfunden werden. Doch so gut wie alles andere, was mit der Benutzung des zeitgenössischen Automobils zu tun hat, steht auf dem Prüfstand: Ganz gleich, ob Mild-, Voll-, Plug-In-Hybrid oder reines Elektro-Auto: Gefragt sind neben einer alltagstaugliche E-Technik, neuartige Geschäftsmodelle für Hersteller, Zulieferer und Werkstätten, vor allem aber neue Autotypologien. Während konkurrierende Marken und Hersteller heute bereits gemeinsam Bauteile entwickeln, um Geld zu sparen, leisten wir uns parallel an der Wasserstoff-Brennstoffzelle und am Elektroauto weiterzuforschen, „konsequent mehrspurig", nennt das Daimler-Vorstand Thomas Weber. Doch werden wir tatsächlich für alle infrage kommenden Techniken eine flächendeckende Infrastruktur errichten? Neben Autogas und Erdgas - die bereits heute bei Kosten und Verbrauch Vorteile bieten, also künftig Batterie-Tausch-Stationen, Wasserstoff- und Stromtankstellen?

Bislang präsentierten Autoausstellungen Technik eher als Alibi. Motoren, auf Hochglanz poliert und ohne ein einziges Tröpfchen schmutzigen Öls bewegten sich langsam und geräuschlos auf den Messeständen, so als sei das Zeitalter des Elektroautos schon längst angebrochen. An all diesen Konzepten wird seit Jahren geforscht, immer wieder wird für die nahe Zukunft der Durchbruch versprochen, gelingen kann er nur, wenn Hersteller wie Techniker, den Druck des Marktes und des Gesetztes zu spüren bekommen. Unklar ist zunächst einmal das Ziel. Soll das Elektro-Auto entstehen, um Abgase zu reduzieren und die wenig effiziente Verbrennungstechnologie durch eine bessere Technik abzulösen? Steht „peak oil", der Gipfel der Ölförderung auf der Welt so unmittelbar bevor, dass technische Alternativen mit Macht und politischem Nachdruck eingeführt werden müssten? Oder sind die alternativen Antriebe was sie schon in den letzten Jahrzehnten waren: Eine PR-Option neben anderen.

Der amerikanische Verbraucheranwalt Ralph Nader, der mit seinem Buch „Unsafe at Any Speed" Mitte der sechziger Jahre die Debatte um die Sicherheit des Autos forcierte, gibt nicht viel auf Ankündigungen. „Die Industrie kehrt immer gern in die Zukunft zurück", sagt er. „Seit Dekaden tut sie das." Neue Dinge werden angekündigt, aber sie kommen nie, solange mit den konventionellen Techniken noch genug Geld verdient wird. Und tatsächlich: Welchem anderen Produktionszweig würden wir es durchgehen lassen, uns regelmäßig mit „Studien" und „Show Cars" zu füttern, die weder etwas mit der vermarktbaren Realität noch mit der tatsächlichen Firmenpolitik zu tun haben?

„Es gibt keinen anderen Industriezweig ähnlicher Bedeutung," erkannte 1977 der Maschinenbauingenieur Jörg Linser, „der so weitgehend zu wirklichen Neuerungen unfähig ist und sich trotzdem selber oder über eine sogenannte Fachpresse als Wegbereiter modernster Technologie darzubieten versteht, wie die PKW-Industrie." Seit Linsers polemische Abrechnung „Unser Auto - eine geplante Fehlkonstruktion!" erschien, hat sich an der Ausstattung der Autos Erhebliches geändert. Motoren wurden stärker, Fahrzeuge größer und schwerer, sicherer und in vielen Details komfortabler. Die von ihm kritisierte Korrosionsanfälligkeit ist heute kaum noch ein Thema, das zuverlässige Zusammenspiel elektronischer Baugruppen und Steuerungen aber umso mehr. Und noch immer ist das Auto auf Abnutzung statt auf Langlebigkeit orientiert.

Das Wohlfühl-Mantra

Die zentrale Marketing-Botschaft dieser IAA lautet: Autofahrer, sei beruhigt, Du wirst auch in Zukunft auf nichts verzichten müssen, nicht auf Größe, nicht auf Komfort, nicht auf Geschwindigkeit und schon gar nicht auf Beschleunigung. Die großen Hersteller träfen mit diesem Ansatz perfekt den Zeitgeist, der horrende Schulden mit Steuersenkungen für problemlos vereinbar hält und Atomkraft als Ökostrom begreift. Und doch dürfte sich für den Autokäufer des Jahres 2020 einiges ändern. Es beginnt beim Preis. Das Elektro-Auto der Zukunft spart im Verbrauch, kann teilweise sogar Bremsenergie nutzen und entfaltet sein Drehmoment höchst spontan. Im Vergleich zum heutigen Serienwagen dürfte es etwa dreimal so teuer werden. Bei wem die Industrie die erhöhten Entwicklungs- und Produktionskosten wieder einsammelt, ist klar: Beim Käufer und Steuerzahler.

Noch ist das Auto ein Universalist. Selbst mit Nischenmodellen kann man zum Einkaufen fahren, oder ans Meer, auf die Autobahn und in die Stadt. Weder gesetzliche Vorgaben, noch eine Maut schränken uns bislang nennenswert ein. Lediglich der Spritpreis und der individuelle Flensburger Punktestand sind in der Lage, unsere automobile Beweglichkeit zeitweise zu beeinträchtigen. Während heute riesige Stecker und lange Kabel, die ins Auto führen auf Messeständen zum Ausweis der Fortschrittlichkeit geworden sind, dürften sie im Alltag eher lästig fallen. Aufladen ist weit umständlicher als Auftanken. Kein Killerargument, aber eine zusätzliche Belastung, die mit dem Auto als liberaler Manifestation der Individualität nur schwer vereinbar ist. Noch machen entsprechend motorisierte Autos einen Heidenlärm. Beraubt uns das nahezu geräuschlose E-Auto nicht all der automobilen Protzerei? Also eines wesentlichen Daseinsgrundes des modernen Menschen wie wir ihn kannten?

Das Emotions-Drama

Die größte Schwierigkeit, glaubwürdige Entwürfe für die Zukunft zu liefern, haben heute die Designer. Im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten steht die Marke, steht das Gesicht. Sie sind meisterhaft, sobald es darum geht, einen Ford Ka und einen Fiat Cinquecento aussehen zu lassen, als hätten sie nichts miteinander gemeinsam, obwohl beide längst mit identischer Technik fahren. Eben noch sollten die Designer Autoskulpturen schaffen, die möglichst emotional überzeichnet sind. Nun geht es darum eine Technik als Gipfel der Innovation zu feiern, die aus Sicht der Nutzer nicht nur Vorteile bringen wird. So wenig wir Eurozentriker das hören mögen: Geld wird heute mit neuen Automodellen für China, Südamerika und Indien verdient, hier konzentriert sich derzeit europäisches Design-Know-How.

Ein verbreiteter Ansatz sieht so aus, dass beim Design erst einmal alles beim Alten bleibt. An der Form der Fahrzeuge ändert sich nichts. Umso größer und aberwitziger werden Beschriftungen, Ornamente und Aufkleber, mit denen das Marketing suggeriert, wie fortschrittlich die Technik sei, die unter der Blech- und Kunststoffhaube steckt.

Von der Technik hat sich das Automobildesign in den letzten Jahren bis hin zur Ignoranz etabliert. Eine fragwürdige Tendenz, denn weder sind die Autos dadurch schöner, effizienter noch funktionaler geworden.

Studien wie der L1 von Volkswagen, der unter Leitung des Designers Thomas Ingenlath entstand, zeigen zumindest einen anderen Weg auf. Hier haben Designer sich bei Aerodynamikern Rat geholt und trotzdem einen eigenständigen Entwurf geliefert. In dem Zweizylinder-Turbodiesel-Hybrid sitzen die Passagiere hintereinander in einer gut schützenden Kohlefaser-Struktur. Dies, die geringe Zuladung wie auch der Einstieg ins Cockpit von oben (wie bei einem Segelflieger) dürfte die Durchsetzung beim sparwilligen Publikum allerdings erschweren. Verbiegen, falten, auffallen um jeden Preis, das scheint die Devise vieler Designer zu sein.

Die Verschwörungs-Theorie

Längst habe die Industrie alle technischen Probleme neuer Antriebe gemeistert, sie und die Ölindustrie wollten sich nur das gute Geschäft mit der bewährten Technik nicht verderben lassen, lautet ein gängiges Laienurteil. Eine Halbwahrheit. Längst gab und gibt es E-Mobile. Der Belgier Camille Jenatzky stellte im April 1899 mit einem Elektroauto als erster den Rekord von 100-Stundenkilometern auf. AEG produzierte 1907 mit der Marke Protos ein Elektroauto, selbst einen E-LKW gab es damals. Ein populäres Beispiel aus jüngster Zeit ist der stromlinienförmige Zweisitzer Saturn EV1, der in Kalifornien von 1996 bis 2003 einige begeisterte Anhänger fand. Doch Industrie, Lobbyisten und die Bush-Administration kippten 2003 den Clean Air Act, ein Gesetz, nach dem der Anteil von Elektro-Autos in Kalifornien bis auf 10 Prozent steigen sollte. Der Dokumentarfilmer Chris Paine untersuchte 2006 in seinem Film „Who Killed the Electric Car?", weshalb das Experiment abgebrochen und sämtliche rund 800 Autos bei den bis dahin begeisterten Leasing-Nehmern des „EV1" eingesammelt und verschrottet wurden. Politik und Lobbyisten seien schuld, behaupten Paines Interview-Partner, aber auch die Käufer trügen eine Mitschuld, da sie in Amerika Kompaktautos traditionell missbilligten und nicht „wie die Europäer" fahren wollten. In London sind es die Reva Electric Cars aus Indien, die abgasfreie Mobilität ermöglichen und aussehen wie gemorphte Karikaturen zeitgenössischer Autos.

Sollen sich neue Techniken im Auto durchsetzen, bedarf es eines Wandels bei den Nutzern. Nicht Verzicht, wohl aber Umorientierung. Warum kaufen wir Limousinen, auf deren Rückbank man sich Kopf und Knie stößt? Wofür brauchen wir eine Motorisierung, die auf dem Weg zur Arbeit oder zum Kindergarten keine Vorteile bietet? Es sind wir Käufer, die Moden mitmachen, unterstützen und forcieren. Womöglich sollten wir zunächst ein ökologisches Fahrsicherheitstraining absolvieren, bevor wir nach neuen Techniken verlangen.

Den Durchbruch bringen vermutlich nicht Private, sondern Unternehmen wie UPS, die für ihre Flotten abgasfreie Fahrzeuge nutzen, vielleicht auch E-Vans wie den „Teamo", den Smart-Erfinder Johann Tomforde als Lieferwagen mit Boat Chassis entwickelt hat, 700 Kilogramm leicht. Nur wenn wir Mobilität ganzheitlich begreifen und unsern Alltagsverstand nicht aufgeben, bedeuten neue Antriebe tatsächlich einen Fortschritt.

Batterietauschanlage bei Renault
Messestand von Better Place
Opel Ampera
Teamo e-cargo-van von Hymer
Lohner Porsche, 1900 Weltausstellung Paris mit elektrischen Radnaben-Motoren
Schuckert Droschke, 1899, Batterie unter dem Wagenkasten aufgehängt
Lohner Porsche, 1900, Weltausstellung Paris mit elektrischen Radnaben-Motoren
Stadtdroschke Typ B, 1905
Messestand von Better Place
Messestand von Better Place
Messestand von eon
Messestand von Peugeot
Tesla Roadster
VW L1
Betriebsfahrzeug von UPS
Eon Stromtankstelle