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Die Wiederkehr des Biegsamen
von Nora Sobich | 01.08.2010

Sommerzeit ist Hochzeit für Geflochtenes: Sonnenhüte, Fächer und Picknickkörbe - und allen voran Strandkörbe und Schaukelstühle, in deren Korbgeflecht man sich träge einsinken lassen kann. Geflochtene Möbel sind herrlich leichte Botschafter des Sommers. Die Fertigungstechnik des Flechtens wird allerdings auch bei profaneren Produkten verwendet: beispielsweise bei Fliegenklatschen, Topfuntersetzern, geruchsabsorbierenden Wäschekörben, griffsicher umflochtenen Thermosflaschen oder bei so etwas beinahe Ausgestorbenem wie dem Teppichklopfern.

Von den einstmals traditionell geflochtenen Möbeln und Gebrauchsgegenständen aus Korb wurden viele durch industriell hergestellte Produkte aus dem Markt verdrängt und sind nur noch als Volkskunst in Museen zu sehen, wie Körbe oder Tragetaschen, Matten und Schnüre aus biegsamem Material vor allem Bast, Weide, Reisig, Rattan oder Binsen.

Doch auch die Industrie entdeckte Geflochtenes als Gestaltungsmittel. Als zum Beispiel Renault Anfang der sechziger Jahre das R4-Sondermodell „La Parisienne" auf den Markt brachte, zielte der Autokonzern mit dieser lieblich femininen Linie vor allem auf die moderne Frau ab, die es mit anonymem Industrieblech noch nicht so hatte. Die Flanken des Kleinwagens waren kultverdächtig mit Korbgeflecht-Muster bedruckt, als könnte ein nostalgisches Zitat im traditionellen Wabenmustergeflecht über verschwundene Handwerksästhetik hinwegtrösten.

Inzwischen ist die Rückbesinnung auf Altbewährtes und traditionelles Handwerk wieder aktuell. So macht beispielsweise die Firma Dedon mit geflochtenen Möbeln von sich reden. Das Unternehmen, das eigentlich dafür bekannt ist, klassische Flechtmaterialien wie Bambus, Schilf, Peddigrohr, Seegras, Rattan, Binsen oder Weidenzweige durch strapazierbaren und pflegeleichten Kunststoff, die Hularo-Faser, ersetzt zu haben, bewirbt neuerdings seine innovativen Hightech-Flechtmöbel in seinen Werbeanzeigen mit Produkten aus Naturmaterialien: Es erscheinen zauberhaft geflochtene Vogelkäfige und altertümlich mit Bast umrankte Fahrräder. Was Dedon zu dieser romantischen nostalgischen Selbstdarstellung veranlasst hat, ist womöglich der aktuelle Trend zum Geflochtenen und weist auf die Debatte um Ökologie und Nachhaltigkeit hin.

Jede Generation scheint irgendwann ihre eigene Vorliebe für Korbarbeiten zu entwickeln. Die letzte Großoffensive, als vom Bett bis zur Tapete unbedingt alles geflochten sein sollte, kam und ging mit der Hippie-Bewegung in den sechziger und siebziger Jahren. Das Angebot der damals jede Fußgängerzone besiedelten Rattanläden war aber auch immer ein bisschen wie Trophäen-Kitsch, frisch vom letzten Indonesienurlaub mitgebracht. Warum derzeit nun wieder ein Strom Geflochtenes durch Mode, Design, Architektur und Alltagswelt rauscht? Zu den als eher ungemütlich erlebten Zeiten der Finanzkrise, einer neuen Begeisterung fürs Handwerk und einem wieder aktuell gewordenen Umweltschutzanspruch scheint es jedenfalls zu passen, dass es überall heimelig, Natur verbunden und Tradition bewahrend nestelt.

In Kindergärten werden inzwischen wieder aus selbst geschnittenen Weidenzweigen Höhlen gebaut. Eltern tragen stolz handgearbeitete Körbchen von Manufactum zum Markt und zum Strand fährt es sich am besten mit kunterbunten, politisch korrekt aus recyceltem Plastik in Mexiko geflochtenen Badetaschen. Wie ein altes Nähkästchen sieht das neue strohige „Straw Vote"-Handtäschchen von Chanel aus. Der Conran-Shop baut alte französische Korbmöbel nach, wie man sie auf Flohmärkten in Frankreich sieht, und verspricht Materialien mit „Seele". Patricia Urquiola lässt keine Saison verstreichen, traditionelle Flechttechniken immer wieder neu zu interpretieren, wie mit ihrer „Canasta"-Liege, bei der das wabenmustrige Binsengeflecht bullaugengroß vergrößert ist. Auch in noch größerem Maßstab wird mitgeflochten: zwei Jahre, nachdem das „Bird's Nest"-Stadium von Herzog & de Meuron zur Olympiade in Peking eingeweiht wurde, eröffnete das Centre Pompidou-Metz mit einem geflochtenen Dach des Bambusmagiers Shigeru Ban, das wie ein traditionell chinesischer Hut für die Feldarbeit aussieht.

Doch wie hat sich die Kunst des Flechtens im letzten Jahrhundert entwickelt und welche entscheidende Flechtwerke haben die Designgeschichte geprägt? Als eine der ältesten Kulturleistungen des Menschen hat Flechthandwerk im Laufe der Zeit viele Einflüsse verwoben. Kaum eine Region der Erde, die nicht mit den ihr zur Verfügung stehenden Naturmaterialien eigene Techniken des Webens und Flechtens hervorgebracht hätte. Mit jeder Stilepoche - ob Barock, Biedermeier oder Gründerzeit - entstanden vielfältige Formensprachen, in denen sich immer auch ein Mix aus eigener Tradition und fremden Kultureinflüssen ablesen lässt: ob in leicht tropisch angehauchten Louis-Seize-Sesseln für die Orangerie, den Produkten der österreichischen Avantgardeschmiede „Prag Rudnik" oder dem fabelhaften Zwitterwesen von 1950, dem „Margherita"-Stuhl von Franco Albini, halb europäische Moderne, halb Exotik ferner Länder.

Mitte des 19. Jahrhunderts sorgte Thonet mit dem Bugholz-Stuhl für Aufsehen. Typisch für den Stuhl ist die geflochtene Sitzfläche aus Wiener Geflecht, auch Achteck- oder Wabengeflecht genannt. Das sich mit den Jahren ergonomisch anpassende Binsengeflecht konnte erstmals in die industrielle Fertigung gehen. Warum die Modernisten so begeistert waren, erklärt vor allem aber das gleichsam natürliche „form follows function"-Prinzip, das allen Flechttechniken eigen ist. Zu den populärsten Klassikern eines namenlosen Alltagsdesign gehört eine schlichte Strohgeflechtpolsterung. Dieses funktionale, kaum verbesserbare Ur-Design, das in der Bauernstube ebenso verbreitet war wie in Kirchen oder Fürstenhäusern, und heute oft mit Gasthausstuhl beschrieben wird, ist mit ehrenden Interpretationen überschüttet worden: ob von Charlotte Perriand, Vico Magistretti oder Gio Ponti, der für seinen „Supperleggera"-Stuhl indisches Rohrgeflecht verarbeiten ließ.

Die Skandinavische Moderne, die von Alvar Aalto bis Hans Wegner geradezu mit Vorliebe auf Geflochtenem saß, brachte in den zwanziger Jahren auch andere Werkstoffe hinzu, wie breite Leinengurte oder „Danish Paper Card", ein gezwirbeltes Papier, das an den Erfolg des amerikanischen „Loom Chair" erinnert, der Anfang des letzten Jahrhunderts mit der Erfindung von Packpapier zum massenhaft verkauften Kolonialschick wurde. Das erste komplett geflochtene Möbel, das ganz ohne Holzrahmenkonstruktion auskam, brachte dann Egon Eiermann im deutschen Nachkriegsdesign mit seinem legendären „E10" heraus, bei dem das voluminös polsterartige Flechtmaterial wie ein organischer Blütenrichter wirkt.

Wer es sich heute im Garten auf zeitgenössischem Design geflochtener Möbel bequem machen möchte, der ruht auf der wellenweich geschwungenen Korbliege des niederländischen Designers Roderick Vos oder gönnt sich etwas Rast im Schatten auf dem Stuhl „Patio" des Studio Hannes Wettstein, einem großporig mit Binsengeflecht bespannten Stuhl. Dazu passend lieferte die Financial Times jüngst in ihrer Hochglanzbeilage den zuckrigen Überbau. In der Flechterei wolle man eine Ästhetik sehen, die mit ihrem authentischen Charakter, ihrer Semitransparenz und ihren vielen Gestaltungsmöglichkeiten perfekt zu derzeitigen Interieurvorstellungen passe. Das lässt sich aber auch einfacher zusammenfassen: Flechten ist das schlichteste Bauprinzip der Welt.

R4 Sondermodell „La Parisienne" von Renault
Café Berlin in Quedlinburg, Foto: Erich Westendarp, pixelio.de
Handtäschchen "Straw Vote" von Chanel
Stadium "Bird`s Nest" von Herzog & De Meuron in Peking, Foto: Berit Nagel
Centre Pompidou-Metz © Shigeru Ban Architects Europe und Jean de Gastines Architectes Foto: Roland Halbe
Centre Pompidou-Metz © Shigeru Ban Architects Europe und Jean de Gastines Architectes Foto: Roland Halbe
Superleggera von Gio Ponti für Cassina
Geflochtenes Möbelstück: Die Korbliege Agung von Roderick Vos für Driade
Strandtrophäen, Foto: Rike, pixelio.de
Anzeigenkampagne für Dedon von Bruce Weber
Geflochtene Möbel – innige LIebe: Die Anzeigenkampagne für Dedon von Bruce Weber
Einkaufskörbe auf einem Markt, Foto: Vera Winandy Rang, pixelio.de
Stadium "Bird`s Nest" von Herzog & De Meuron in Peking, Foto: Berit Nagel
Centre Pompidou-Metz © Shigeru Ban Architects Europe und Jean de Gastines Architectes Foto: Roland Halbe
Produktion des Stuhls 214 bei Thonet, Foto: Nina Reetzke
214 von Thonet