Shenzhens Beitrag zur Shenzhen & Hong Kong Bi-City Biennale of Urbanism \ Architecture 2011 wurde am 8. Dezember eröffnet. Als Motto wählte Chefkurator Terence Riley den Slogan „Architecture Creates Cities. Cities Create Architecture." Hier einige der Highlights und einige Betrachtungen zu Architektur und Urbanität.
Wie bei der „Strada Novissima", die Paolo Portoghesi 1980 für die Architekturbiennale in Venedig errichten ließ, nimmt „The Street" das Zentrum des eigentlichen Ausstellungsgeländes ein und kann als Herzstück von Terence Rileys Konzept angesehen werden. An der Inszenierung von 1980 nahmen zwanzig Architekten teil, darunter Rem Koolhaas, Frank Gehry und Arata Isozaki. Jeder von ihnen war angehalten, eine Fassade zu gestalten, die dann von Bühnenbildnern umgesetzt wurde, dahinter konnten die Architekten Modelle, Zeichnungen und Fotos ihrer Arbeiten ausstellen. Dieses Ausstellungskonzept wurde zur Metapher für eine Situation, in der sich Idee und Form der Architektur in den Hintergrund zurückziehen, während die Fassade zum Manifest gerät.
Nach dreißig Jahren ist das Phantom der Metapher noch immer präsent. Die zwölf teilnehmenden Architekten aus aller Welt wurden gebeten, Fassaden zu gestalten, die eher räumlich und stofflich wirken sollten als zweidimensional. Ausgangspunkt ist das Anwenden szenografischer Techniken, wobei sie die ausgetretenen Pfade weitestgehend verlassen und etwas wirklich anderes kreieren sollten, bis hin zum Pflanzen Shenzhen-typischer Vegetation (als Verkörperung einer Balance zwischen Natur und menschlicher Entwicklung wie im Beitrag von Open Architecture, Beijing), bis hin zur Präsentation eines großen schwarzen Ballons (wie beim Entwurf des Teams von MAD Architecture, Peking, das die Ambiguität in der Auffassung des Raumes zelebriert – und zugleich vielleicht den aufblasbaren Charakter von Architektur selbst aufzeigen wollte), bis hin zum Aufhängen weißer Troddeln, die die Grenzen des Raumes umreißen (und das Gefühl unbefugten Eindringens vermitteln, hier in der Installation von Atelier Deshaus, Shanghai).
Der Versuch, dem Gestalten interessanter Fassaden zu entkommen, scheint damit zu enden, dass man doch wieder in die gleiche Falle tappt. Vielleicht besteht die versteckte Kontinuität in der Mission der Designer darin, Ideen zu inszenieren – geschickt zu inszenieren. Johnston Marklee aus Los Angeles benutzt im Innenraum Spiegeleffekte, um ein verzerrtes Panorama hervorzurufen. Jürgen Mayer H. aus Berlin spielt durch den Einsatz schnittmusterartiger Konstruktionselemente mit der Doppeldeutigkeit von Innen- und Außenraum. Statt der Öffentlichkeit ausgefallene Ideen zu präsentieren, wäre es vielleicht besser gewesen, ein Zeichen der Verbundenheit zu setzen, nicht als Antwort auf die lautstarke Forderung nach heroischen Architekten oder Designern, sondern als Zeichen der Verbundenheit mit denen, die Räume planen, in Anspruch nehmen und verändern – Räume, die als Antwort auf eine Notwendigkeit gebaut wurden und die für den Wunsch stehen, etwas Besseres zu bauen.
Wenn „The Street" eine Internalisierung der Fassade ist, so ist das öffentliche Kunstwerk „10.000 Flower Maze" von John Bennett und Gustavo Bonevardi in jeder Hinsicht das Gegenteil davon: ein externalisierter Nicht-Raum. Es besteht aus unzähligen orangefarbenen Sicherheitskegeln, die über den gesamten riesigen Platz zu Füßen des Shenzhen Civic Center verteilt sind und Muster bilden, die vom mystischen Irrgarten des weitgehend zerstörten Alten Sommerpalasts in Peking inspiriert sind. Normalerweise wird dieser Platz – wegen der politischen Bedeutung von öffentlichen Versammlungen – von Fußgängern kaum frequentiert. Jetzt ist der Platz von einer so starken Präsenz von Sicherheitskegeln eingenommen, dass seine Leere noch viel stärker auffällt als sonst. Das unterstreicht die politische Implikation des Raumes und verbindet durch die Aneignung des visuellen Vokabulars des städtischen Umfelds die Wahrnehmung des Zufalls mit der Proklamierung der Zukunft. Anders als andere öffentliche Kunstwerke der Biennale mit einem klaren Konzept, bei dem das Publikum beziehungsweise die Öffentlichkeit einbezogen wird, spielt „10.000 Flower Maze" durch zahlreiche Kontakte zur ziemlich abgehobenen und besonderen Geste dieses Kunstwerks mit der Psyche des Publikums. Die Kraft dieses Werks und seine Metaphern werden sich im Gedächtnis der Besucher einprägen – und hoffentlich auch in der Geschichte der Biennale in Shenzhen.
Erfreulich ist, dass die Biennale in diesem Jahr mobiler geworden ist – eine gute Art, in das städtische Umfeld einzugreifen. „And then it became a city", kuratiert von David van der Leer, ist eine Ausstellung von Videokünstlern und Filmemachern über sechs Städte (Chandigarh, Gaborone, Almere, Brasília, Las Vegas, Shenzhen), die weniger als sechzig Jahre alt sind – darunter ist Shenzhen mit Abstand die jüngste. Gleichzeitig nimmt die Ausstellung die Form einer Bustour durch die Stadtlandschaft von Shenzhen an. Wo sowohl Poetik als auch Ironie angewendet wird, um die Frage zu beantworten, wann aus der Stadt eine City wird, entsteht in der Videokunst echte Schönheit.
Diese Schönheit multipliziert sich, wenn die Filme für ein unbestimmtes Publikum auf einem Bus mit einer unbestimmten Route gezeigt werden. Eine interessante Nebeneinanderstellung von Transportmitteln, von Architektur und Gesichtern entsteht auf diese Weise zwischen der Stadt als echter Raum in Echtzeit und der Stadt auf dem Video. Ob sich Shenzhen als neue Stadt bereits in eine richtige City verwandelt, lässt sich nicht leicht beantworten, wie das Video mit vielfältigen Shenzhen-Bildern von Wang Gongxin zeigt. Die Ausstellung hat auch einen guten Nebeneffekt: Bei der Bustour selbst wird das Publikum zu einer Welt transportiert, in der Realität und Vorstellung, Bewusstes und Unbewusstes, Alltagsleben und fortgeschriebene Geschichte nebeneinander existieren und auf diese Weise ein gutes Gefühl für die Stadt vermitteln. Shenzhen sollte darüber nachdenken, diese Bustour als eine der Attraktionen der Stadt weiterzuführen.
Wissenschaftliche Beiträge zur Biennale sind spärlich, das Projekt „Counterpart Cities: Climate Change and Co-Operative Action in Shenzhen and Hong Kong" bildet eine löbliche Ausnahme. Die Ausstellung wird von der University of Hong Kong organisiert und von Jonathan Solomon und Dorothy Tang kuratiert. Sechs Designteams aus beiden Städten kommen zu Forschungszwecken zusammen und suchen gemeinsam nach Antworten auf die Herausforderungen des Klimawandels in der Region, zu denen extreme Dürre und starke Regenfälle zählen, die eine kontinuierliche Wasserversorgung der beiden Städte erschweren. Erhöhte Sturmflutgefahr und der Anstieg des Meeresspiegels gefährden die wirtschaftliche Produktivität der Häfen ebenso wie eine größere Überflutungshäufigkeit, vor allem entlang des Shenzhen Rivers. Diese Herausforderungen des Klimawandels offenbaren die gegenseitige Abhängigkeit von Shenzhen und Hongkong.
Die Architektin Doreen Heng Liu hat einen Zukunftsplan für eine Abwasseraufbereitungsanlage nahe der Grenze zwischen Shenzhen und Hongkong entworfen, wo das, was sie als „i-infrastructure" bezeichnet, die Wasserversorgung für eine bessere gemeinschaftliche Nutzung modernisieren soll. Das Projekt „Mobile Culture, Creative Community" der China State Construction Engineering Corporation (CSCEC) verbindet Transportvorteile des Hafens mit dem Export von Kulturgütern und feiert diese Verbindung von Kultur und Kapital mit einem markanten Hochhausbau an der Küste.
Infolge der raschen Urbanisierung Chinas ist es nie zu einer aktiven Bürgerbeteiligung an der Stadtplanung gekommen. Nur in Shenzhen, der außergewöhnlichsten und jüngsten Megacity Chinas, wird es sinnvoll sein, dieses Entwicklungsmuster zu durchbrechen. In einem Versuch, der Öffentlichkeit zu einem besseren Verständnis des städtischen Umfelds zu verhelfen, hat die Urban Design Division of Urban Planning, Land & Resources Commission der Stadtverwaltung von Shenzhen den sogenannten QianHai Workshop organisiert, wo die Bürger den Masterplan für ein neues städtebauliches Projekt einsehen können, das Shenzhens zukünftiges Manhattan darstellen wird. Partizipatorische Elemente kommen dort ins Spiel, wo die Menschen gebeten werden, über bestimmte Zukunftsvisionen abzustimmen – „Welches ist die ideale Preisspanne für Wohnraum?", „Welches Verkehrsmittel wählen Sie und welche Rolle spielen dabei die Emissionswerte?". Die Gestaltung des Raumes geht wahrscheinlich zu weit, als dass sie publikumswirksam wäre, die farbenprächtigen Installationen ziehen vor allem die Aufmerksamkeit von Kindern auf sich. Fragen die Organisatoren der Biennale danach, was das Publikum möchte? Es könnte vielleicht stärker am Entscheidungsfindungsprozess interessiert sein als am Erscheinungsbild des fertigen Produkts selbst. Natürlich möchte das Publikum einbezogen werden, statt in eine Abschottung involviert zu werden, die einer Architekturbiennale aufgezwungen wird, die sich selbst nur durch ihre Andersartigkeit definieren kann.
Wenn man die Bürgerbeteiligung nicht um ihrer selbst willen betrachtet, stellt man fest, dass der „Ghana Think Tank: Developing the First World", kuratiert von John Ewing, eine interessante Dynamik an den Tag legt. Es handelt sich um ein Netzwerk von Thinktanks aus der Dritten Welt, die Lösungen für Probleme der Ersten Welt entwickeln. Dabei werden Probleme im öffentlichen Leben in Städten der entwickelten Welt gesammelt und dann zur Analyse an die Thinktanks geschickt, die Lösungen werden dort angewendet, wo die Probleme entstanden sind, und das Feedback wird ausgewertet. Eine unaufwendige, aber ins Auge springende Installation auf der Biennale zeigt Thinktank-Projekte aus aller Welt und lädt das Publikum ein, die eigenen Probleme vorzustellen und bei der Lösungsfindung mitzuhelfen.
Angesichts des Möbiusband-ähnlichen Slogans der Biennale „Architecture Creates Cities. Cities Create Architecture." ist es eine gute Übung, die Exponate unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, wo man sich im Verhältnis zu diesem Möbiusband gerade befindet, was die Lebensqualität ausmacht. So selbstgenügsam, wie das Band auch aussehen mag, es ist die Substanz darum herum, die dafür sorgt, dass es sich weiter dreht.
http://hkszbiennale.org