Was, wenn ein Buch nur aus Schutzeinschlägen besteht? Wie wertvoll ist ein Katalog, in dem limitierte Polaroids kleben? Erzählen die Rückseiten von Fotos bessere Geschichten als deren Vorderseiten? Fragen, wie diese konnte sich der Besucher der „First Issue – Self-Publishing Book Fair for Design and Art" stellen, die zum ersten Mal parallel zur Frankfurter Buchmesse stattfand. Im Sinne des Titels „Print Culture: Dead or Alive?" schien unter den Organisatoren vom Design-Verein Frankfurt, aber auch unter den zahlreichen Ausstellern und Besuchern, erstaunlich ungetrübtes Einverständnis darüber zu herrschen, dass sich neben Apps und E-Books nach wie vor (oder gerade deswegen) ambitionierte Printpublikationen produzieren und vertreiben lassen. So kann man im Eingangs-Statement der ersten Ausgabe vom Schweizer Tri Magazins nachlesen: "Tri ist ein haptischer Freund in Zeiten der virtuellen Freundschaften". Ergänzend: "Tri darf Ficken sagen, tut es aber nicht, sondern bevorzugt den Ausdruck Kopulieren." So genau hätten wir es nicht gebraucht – aber gut, dann wissen wir jetzt Bescheid.
Selbstredend macht es Sinn, auf einer Self-Publishing-Messe, nicht nur Publikationen auszustellen, sondern auch in Werkstätten vor Ort zu produzieren, in einer (ausverkauften) Konferenz angeregt zu diskutieren und gleich einer Galerie auszustellen. Während sich zwischen den Bücherständen die Menschen drängten, fand sich etwa in der Ausstellung „fourfiveX" genug Platz, eine Atempause einzulegen und die dort hängenden Risographien – benannt nach einem Schablonendruckverfahren der japanischen Firma Riso – zu begutachten. Neunzehn Kreative, darunter Pixelgarten, Alexander Lis und Catrin Sonnabend, waren dazu aufgerufen, jeweils eine Grafik in DIN A3 zu entwerfen. Da ausschließlich in blau gedruckt wurde, bildete die Farbe das Bindeglied zwischen einer breiten Vielfalt an Motiven, vom linearen Formen bis fotografischen Verläufen. Alle Messebesucher, die vor Ort selbst entwerfen wollten, hatten in der mobilen Werkstatt „Copy Shop" von Lorenz Klingebiel und Nicolas Kremershof an einem „Minolta CS Pro 4000"-Kopierer vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten. In der „Plakatwerkstatt" von Jan Buchczik, Simon Keckeisen und Timo Lenzen wurde mit Filzstiften, Schablonen und Stempeln experimentiert.
Unter den ausgestellten Publikationen ließ sich so mancherlei entdecken: Da wäre zum Beispiel das Buch „Never Odd or Even" von Mariana Castillo Deball, das aus dreißig Schutzumschlägen besteht, die alle von anderen Personen gestaltet wurden. Es ließe sich von dreißig Büchern in einem sprechen. Nur, dass keines der Bücher jemals existierte. Das Thema konnte von den Umschlaggestaltern nach persönlicher Vorliebe gewählt werden. Von den Parametern eines herkömmlichen Buches befreit, formen die unterschiedlich großen, fächerartig ineinander gesteckten Umschläge ein anmutiges Buchobjekt. Oder der Katalog „All I Remember" von Elisabetta Benassi, in dem die Rückseiten von Fotos abgebildet sind, inklusive Notizen, Stempel, aufgeklebter Bilder und vielerlei mehr. Auf Seite 281 beispielsweise steht die Geschichte von Hanteln, die aus mit Zement gefüllten Coca-Cola-Dosen bestehen und während dem Vietnamkrieg zur Rehabilitation von Kriegsopfern verwendet wurden. Davon angeregt fertigte Elisabetta Benassi ebenfalls Hanteln aus Getränkedosen, die zusammen mit dem Buch ausgestellt sind. Freilich fällt bei einer Vielzahl der Projekte auf, dass sie – im Gegensatz zum Messenamen „First Issue" – in Frankfurt nicht zum ersten Mal zu sehen waren, sondern meist schon vorher in der einen oder anderen Ausstellung ihre Premiere feierten. Mehr echte Neuerscheinungen und Erstausgaben wären bei dem mehrdeutigen Messetitel wünschenswert gewesen.
Parallel zur Frankfurter Buchmesse gab es einige Veranstaltungen in der Stadt. Prominente Beispiele sind natürlich die Ausstellungen „Randscharf – Design in Island" im Museum für Moderne Kunst und „Island und Architektur?" im Deutschen Architekturmuseum, die Island, dem Gastland der Buchmesse, gewidmet sind. „First Issue" – zu deren Partnern auch das Museum für Moderne Kunst zählt – gliedert sich hier gut ein. Ob für die Self-Publishing-Szene dabei neue Impulse entstehen, sei dahingestellt – für die Buchmesse ist diese Stimme aus dem Off eine Bereicherung. Weitere Ausgaben für die kommenden Jahre sind angekündigt.