Nicht nur in Venedig gibt es Pavillons, die unsere Sinne ansprechen. Der japanische Architekt Sou Fujimoto hat in diesem Jahr den Serpentine Gallery Pavillon in London gestaltet. Jedes Jahr wird die Arbeit eines anderen Architekten gezeigt, der zuvor in Großbritannien noch keine Projekte realisiert hat. Sou Fujimoto folgt daher auf Architekten wie Herzog De Meuron mit Ai Weiwei, Frank Gehry, Peter Zumthor, Sanaa, Olafur Eliasson und viele andere. The Serpentine wurde 1934 als Teepavillon errichtet und 1970 vom Arts Council England in eine an die Hayward Gallery angeschlossene Kunsthalle umgewandelt. Als gemeinnützige Bildungseinrichtung zieht das Ausstellungs- und Architekturprogramm sowie das öffentliche Veranstaltungsprogramm jedes Jahr bis zu 1,2 Millionen Besucher an. Daniel von Bernstorff, Stylepark, sprach mit Sophie O’Brian, leitende Ausstellungskuratorin, über die Idee, die dahinter steckt, über die Entscheidung für Fujimoto und den Pavillon als interdisziplinäre Plattform.
Daniel von Bernstorff: Wie begann die Sache mit den Serpentine Pavillons? Was war die ursprüngliche Idee?
Sophie O’Brian: Als Julia Peyton-Jones 2000 zur Direktorin ernannt wurde kam die Architektur ins Spiel, da sie sich leidenschaftlich dafür interessiert. Sie liebt die Architektur Brasiliens, die Arbeit mit Oscar Niemeyer war für sie zum Beispiel eine großartige Erfahrung. Die Idee ist es Gebäudeformen und nicht Darstellungen von Gebäuden zu zeigen. Die Leute sollen die Architektur erleben während sie sich im Gebäude befinden. Das ist ihr sehr wichtig.
Das ist ziemlich neu.
O’Brian: Ja, ich glaube das ist immer noch ziemlich einzigartig. Soweit ich weiß gibt es einige Pavillon-Projekte, die nun beginnen. Eines in Sydney und auch an verschiedenen anderen Orten. Einmalig ist jedoch bei uns, dass ein internationaler Architekt hier etwas baut was auf den Sommer befristet und standortspezifisch ist.
Ist eine Kommission mit der Auswahl des Architekten beauftragt?
O’Brian: Julia Peyton-Jones hat viele Verbindungen in die Architekturszene, außerdem sind einige Mitglieder des Kuratoriums stark eingebunden. Zum Beispiel Lord Peter Palumbo, der Vorsitzender unseres Kuratoriums ist. Es gibt keine Aufforderung für Einreichungen, es handelt sich auch nicht um eine Auszeichnung, insofern ist es wirklich eine Einladung. Das Auswahlverfahren verläuft genauso wie bei den Künstlern für unsere Ausstellungen. Es ist ein Programm mit einer gezielten Auswahl.
Und das ausgewählte Projekt muss von einem Architekten stammen, der zuvor in Großbritannien noch nicht gebaut hat?
O’Brian: Ja genau. Herzog De Meuron hat aber zum Beispiel zuvor auch schon architektonische Projekte in Großbritannien realisiert, aber eben nicht mit Ai Weiwei. In diesem Fall war das Gestaltungsteam sehr speziell, da Pierre de Meuron, Jacques Herzog und Ai Weiwei in China schone viele Male zusammengearbeitet hatten und sie haben sehr unterschiedliche gestalterische Visionen und Arbeitsweisen. Alle drei haben gleichberechtigt zusammengearbeitet, Ai Weiwei war nicht etwa nur ein untergeordneter Partner. Ihre Arbeit beruht auf einer sehr lange währenden Freundschaft.
Dieses Jahr fiel die Wahl auf Sou Fujimoto. Warum?
O’Brian: Der japanischen Architektur wurde ein gewisser Vorrang eingeräumt. Zu Beginn hatten wir Toyo Ito eingeladen, dann Sanaa und nun Fujimoto. Das sind drei Architekturgenerationen, aber es sind drei Generationen, die miteinander reden, eine Beziehung pflegen, überdies haben Sanaa und natürlich auch Toyo Ito Fujimoto stark beeinflusst. Sie kennen sich alle sehr gut, das heißt es gibt ein Gespräch zwischen den Generationen. Insofern ist es nun eine Rückkehr zur japanischen Architektur.
Mit Fujimoto haben Sie jemanden gewählt, der in Europa noch nicht so präsent ist.
O’Brian: Fujimoto ist mit seinen 41 Jahren für einen Architekten noch sehr jung. In diesem Alter haben Architekten häufig noch nicht so viel gebaut. In Japan gibt es viele Gebäude von ihm, hier aber noch nicht.
Beim Nobel-Preis stellt man immer Mutmaßungen an wer es wohl sein wird. Bei der Serpentine Gallery scheint es hingegen immer völlig offen und unerwartet zu sein.
O’Brian: Das entspricht wiederum unserem Ausstellungsprogramm. Es gibt Tausende von Künstlern und Architekten, die großartige Dinge machen. Es geht auch um den richtigen Zeitpunkt in ihrer Karriere, wenn es gilt ihre Arbeit zu zeigen. Manche Architekten wie zum Beispiel Gehry verfügen über unglaublich viel Erfahrung. Als er den Pavillon gestaltete konnte er bereits auf eine große Karriere zurückblicken. Auch bei Peter Zumthor ist dies so. Ein anderes Mal waren es zum Beispiel Snøhetta und Olafur Eliasson. Es ist schön zwischen diesen unterschiedlichen Polen zu wechseln, da man dadurch sehr unterschiedliche Architekturen sehen kann.
Ich war vor zwei Wochen auf dem Vitra Campus, Sanaa hat dort die erste Logistikhalle des Unternehmens gebaut. Dieser japanische Umgang mit gewöhnlichen Dingen ist sehr faszinierend, es ist nicht das was man erwarten würde.
O’Brian: Ja! Das ist großartig! Es war spannend den Pavillon wachsen zu sehen, ein Großteil wird in Abschnitten vorgefertigt. Manchmal wird eher direkt vor Ort gebaut, ein anderes Mal gibt es nicht diese Transparenz und Leichtigkeit und es ist eine schwere, sehr solide Bauweise. Gehry ist da ein sehr gutes Beispiel. Oder Peter Zumthor, bei ihm war es ein leichtes Material, das aber die Anmutung eines massiven Kastens hatte. Es ist jedes Mal anders.
Diese Konstruktion sieht sehr kompliziert aus.
O’Brian: Ja, das stimmt, ich würde sie selbst nicht bauen wollen. Die Konstruktion basiert auf zwei Kuben, einem kleineren und einem größeren. Es ist kein sich wiederholendes Muster, vielmehr in gewisser Weise beliebig. Sie wirkt wie eine Wolkenformation. Das Gitter formt nicht nur die Wände, sondern auch die Sitze, die Bereiche zum Umherlaufen, die Decke. Das heißt der ganze Bau besteht aus dieser gitterartigen Struktur. Es gibt diesbezüglich einen Vorläufer in Fujimotos Arbeit, denn vieles davon ist ein Raum mit multiplen Möglichkeiten, so dass er auf unterschiedliche Weise genutzt werden kann. Bei seinen Häusern in Tokio sieht man dann zum Beispiel einen Raum in dem man sitzen und hinausblicken kann oder man kann dort auch essen. Alle diese Räume sind miteinander verwoben.
Haben Sie eine Serpentine Gallery Wanderausstellung erwogen? Es ist immer so schade, wenn nach ein paar Monaten alles wieder abgebaut wird.
O’Brian: Das stimmt, es wird abgebaut, aber nicht zerstört. Wir verkaufen die Konstruktionen jedes Mal. Es ist schließlich sozusagen ein Projekt ohne Budget, es stehen nur sehr beschränkte Mittel für die Deckung der Kosten zur Verfügung, wir müssen das Gebäude daher verkaufen. Manchmal werden sie an anderen Orten gezeigt. Die Luna Foundation besitzt zum Beispiel den Zumthor Pavillon, sie hat ihn als architektonisches Exponat für die Sammlung erworben. Sanaa wurde verkauft, die Konstruktion ist aber glaube ich im Moment eingelagert. Der Pavillon von Herzog de Meuron wurde wieder aufgebaut. Wir haben ein umfangreiches Buch über die Serpentine Pavillons herausgegeben, haben Sie das gesehen? Ein großes rotes Buch, es ist im Taschen Verlag erschienen und stellt alle bisherigen Pavillons vor. Es gibt nicht in jedem Fall darüber Auskunft wo die einzelnen Pavillons nun sind, aber es beschreibt ihre Architektur im Detail.
Mit welchem Vorlauf planen Sie ein Projekt?
O’Brian: Also, Julia Peyton-Jones und das Kuratorium haben sicher bereits eine Liste vorliegen, also ab Juni. Der Zeitraum von der Einladung bis zur Eröffnung des Gebäudes beträgt sechs Monate, das ist sehr wenig für ein architektonisches Projekt.
Ich nehme an, keiner der Architekten denkt darüber nach die Einladung auszuschlagen.
O’Brian: Ich glaube es hat noch nie jemand abgelehnt. Es ist eher eine Frage der Zeitplanung. Es gibt jedoch auch nur wenige Beschränkungen. Das Briefing ist sehr offen. Ein Architekt kann hier eine Idee realisieren. Sicherheits- und Baurichtlinien müssen natürlich eingehalten werden. Aber abgesehen davon kann man im Prinzip jede Idee umsetzen. Es muss nur überdacht sein und ein Café haben, sonst gibt es keine Vorgaben. Das eröffnet viel Spielraum.
Welche Veranstaltungen planen Sie?
O’Brian: Es gibt ein öffentliches Veranstaltungsprogramm mit dem Titel ‘Park Nights’, welches Freitagabends stattfindet. Es gibt Arbeiten von Künstlern zu sehen, Performances Musik, Film, Diskussionen. Und mitunter wählen Leute den Pavillon für einen Event, dann wird er tagsüber und abends genutzt. Außerdem gibt es die ‘Pub-Nights’, das ist unser öffentliches Programm für den Sommer und zwar in Verbindung mit dem Marathon-Event, das ganz persönliche Projekt von Hans-Ulrich Obrist, unserem Ko-Direktor. Außerdem kommen viele verschiedene Menschen zusammen, die einen zwanzigminütigen Vortrag über ein vorgegebenes Thema halten. Vielleicht mit Schwerpunkt auf das digitale Zeitalter. Den Fujimoto Pavillon könnte man sicherlich auch als eine Form von Datencloud bezeichnen.
Das heißt der Serpentine Gallery Pavillon ist der interdisziplinäre Ort an dem alles zusammenkommt?
O’Brian: Genau! Es ist ein sehr ehrgeiziges Unterfangen, so viele verschiedene Dinge für unterschiedliche Zielgruppen unter einen Hut zu bringen. Und wir haben Glück, dass hier so viele Leute vorbei kommen, davon viele Architekturliebhaber aber eben auch solche, die durch den Park spazieren und zufällig auf das Gebäude stoßen. Der Pavillon wird häufig von Leuten frequentiert, die ihre Hunde im Park ausführen, oder Familien mit ihren Kindern. Wir planen die Erweiterung mit einer zweiten Galerie im Royal Parks Magazine, sie wird Serpentine Sackler Gallery heißen und im Spätsommer eröffnen. Sie wird sehr ähnlich sein, innen jedoch eine andere Raumaufteilung haben. Außerdem wird sie wesentlich interdisziplinärer angelegt sein, abgesehen von Ausstellungen über Kunst, Design, Architektur wird es auch Film und Tanz und viele andere Dinge im Programm geben.
Wir sind gespannt. Vielen Dank, dass Sie sich für dieses Gespräch Zeit genommen haben.