Sie besteht nur aus einfachen Messinghülsen, die auf ein Band aus Fensterleder gezogen sind, also aus Halbzeug aus einem Laden für Eisen- und Haushaltswaren. Wahrscheinlich ist die Halskette „#A103“ der Künstlerin und Textildesignerin Anni Albers und ihrem damaligen Studenten Alex Reed eines der ältesten Beispiele modernen Schmuckdesigns, das noch heute käuflich erworben werden kann, noch dazu für wenig Geld. Um 1940 kreierten Albers und Reed eine ganze Reihe von Ketten für eine Wanderausstellung, die in der New Yorker Willard Gallery eröffnet wurde. Inspiriert wurden sie dabei von allerlei „Ready-mades“. Mal kombinierten sie eine Kette aus dem Sanitärbedarf mit einem Sieb und Büroklammern, mal Korken und Haarnadeln, mal edle Perlen mit Ringschrauben unterschiedlicher Größe. Die einfachen Materialien und reduzierten Formen mögen einerseits der Mangelwirtschaft während des Zweiten Weltkriegs geschuldet sein, verdanken sich andererseits aber auch der Tatsache, dass sich unter Künstlern und Designern das Verständnis von Schmuck grundlegend gewandelt hat.
Heute gibt es eine Reihe von Galerien, die sich zeitgenössischer Schmuckgestaltung verschrieben haben. Zu nennen wären etwa Bruna Hauerts Schmuckgalerie „Friends of Carlotta“ in Zürich, die gerade unter dem Titel „In der Südsee“ Arbeiten von 65 Schmuckgestaltern zeigte, oder „Oona“ in Berlin, geführt von der Kulturwissenschaftlerin Anna Schetelich. Abgesehen davon, dass sie Schmuck ausstellt, interessiert sich Schetelich für die Grenze zwischen Kunst und Design. Sie vertritt zum Beispiel Svenja John. Die Goldschmiedin und Diplom-Designerin steckt ihre Schmuckstücke aus Makrofol, einem zu Folie gezogenen Polycarbonat, zusammen. Reihungen, Verschachtelungen und Häufungen lassen Muster entstehen, die an stilisierte Blüten, an geschliffene Steine – manchmal auch an Zeichnungen von Ernst Haeckel erinnern.
Natürlich können die Projekte von Anni Albers, Anna Schetelich und vielen anderen nicht darüber hinwegtäuschen, dass bis heute eine eher traditionelle Vorstellung von Schmuck vorherrscht. Statt experimentellem Autorenschmuck wird nach wie vor hauptsächlich repräsentativer Goldschmuck geschätzt, dessen Wertigkeit über Jahrhunderte hinweg gepriesen wurde. So dokumentierte etwa der Benediktinermönch Theophilus Presbyter um 1100 in „De diversis artibus“ unter verschiedenen Handwerkstechniken auch die Goldschmiedekunst. Und der Bildhauer Benvenuto Cellini lieferte in seiner 1565 bis 1568 entstandenen „Abhandlung über die Goldschmiedekunst“ eine Übersicht der Techniken und Motive der italienischen Renaissance. Auch der Architekt Gottfried Semper verfasste 1856 den schmucktheoretischen Text „Über die formelle Gesetzmäßigkeit des Schmuckes und dessen Bedeutung als Kunstsymbol“, wenngleich er dabei vor allem einen ethnografischen Blick auf außereuropäische Kulturen wirft.
Seit einigen Jahren wird vermehrt über Schmuck geschrieben, ein breites Spektrum mit rund fünfzig Publikationen bieten Arnoldsche Art Publishers. Die Reihe lotet die Grenzbereiche zwischen Schmuck, Gerät, Produkt, Skulptur und Licht aus. Gestalter wie Gijs Bakker, Giampaolo Babetto oder Petra Zimmermann präsentieren sich in Monografien, genauso wie diverse Galerien, Labels und Schulen wie die Galerie Slavik Wien, Chi ha paura und die Schule von Padua. Materialexperimente mit Stahl und Glas rücken dabei in den Fokus, ebenso Themen wie Schwarz, Phallus und Schlange. Bei aller Experimentierfreude darf auch die Geschichte des Schmucks nicht in Vergessenheit geraten: Man denke nur an die Sammlung des Schmuckmuseums Pforzheim, die Ausstellungen der Neuen Sammlung in München oder erinnere sich an historische Bewegungen wie den Jugendstil, die Wiener Werkstätte und das Art Déco, aber auch an traditionellen Schmuck etwa aus Afrika. Zu nennen wären noch, stellvertretend für die Modeschmuckindustrie, kommerzielle Vertreter wie Jette Joop oder Bijoux Christian Dior. Unter den Schmucktheoretikern hat sich zwischenzeitlich zum Beispiel Liesbeth den Besten einen Namen gemacht. Und dann wären da noch Ausbildungsstätten, beispielsweise die Goldschmiedeschule Pforzheim oder die Fachhochschule Trier.
„Schmuck Denken“ heißt eine der jüngsten Publikationen der Fachhochschule Trier in Zusammenarbeit mit der Stadt Idar-Oberstein. In dem Kompendium finden sich Ergebnisse des gleichnamigen Symposiums, das seit 2005 jährlich veranstaltet wird. Es ist interdisziplinär angelegt, Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaftler kommen zu Wort. Wie der Kurator Werner Lindemann betont, wird die Diskussion dadurch angeregt, dass immer mehr Gestalter ihre eigenen Arbeiten auf hohem theoretischen Niveau reflektieren. Bernhard Schobinger argumentiert gegen einen Methodenzwang in den angewandten Künsten, Suska Mackert äußert sich zu einem „Objekt der Schönheit”, und Jivan Astfalck untersucht „Lifelines: myth a meaning – learning and teaching”.
Die zu Anfang des Buches gestellte Frage „Was ist Schmuck?” wird in den Beiträgen zwar nicht abschließend beantwortet, aber umfassend diskutiert und mit zahlreichen Abbildungen illustriert. Heutzutage sind eben nicht nur Diamanten, sondern auch Messinghülsen „a girl's best friend”?
www.albersfoundation.org
www.foc.ch
www.oona-galerie.de
www.arnoldsche.com
Zum Weiterlesen:
Schmuck Denken
Herausgegeben von Wilhelm Lindemann
Softcover, 352 Seiten, deutsch / englisch
Arnoldsche Verlagsanstalt, Stuttgart, 2011
39,80 Euro
On Jewellery
Von Liesbeth den Besten
Softcover, 240 Seiten, englisch
Arnoldsche Verlagsanstalt, Stuttgart, 2011
29,80 Euro