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Handbuch für Raumschiffe
Seit Menschen denken können entwerfen sie im Kopf, auf dem Papier und nun schon lange am Computer Science-Fiction-Welten voller futuristisch anmutender Bauwerke und ausgefeilter Maschinen. Diese Zukunftsvisionen scheinen sich langsam zu erfüllen: Seien es die immer gigantischeren Hochhäuser, die in Fritz Langs Film „Metropolis“ noch imaginiert wurden und die heute die Skylines von New York, Peking oder Dubai schmücken, oder das Raumschiff Enterprise, das nun bei uns auf der Erde gelandet zu sein scheint. Diesen Eindruck könnte man zumindest bekommen, betrachtet man die Gebäude von Zaha Hadid Architects, Coop Himmelblau, MAD Architects und UNStudio. Neben den üblichen rechteckigen Betonkästen und Stahl-Glas-Türmen stehen schillernde, biomorph geformte Gebäude, die komplett in Aluminium und Glas gehüllt bei Tag im Sonnenschein glitzern und bei Nacht spektakulär illuminiert sind. Die Grundlagen dieser Bauwerke sind meist Computerprogramme, die Grafiken und mathematische Formeln in dynamische Raumkonzepte und voluminöse Gebäudekörper verwandeln. Ben van Berkel, Gründer des niederländischen Architekturbüros UNStudio, ist ein großer Verfechter dieser Technik. Nicht verwunderlich ist es da, dass all seine Gebäude aussehen als kämen sie aus dem 3D-Drucker.
In der neuesten Monografie von UNStudio „Knowledge Matters“, die gerade bei Frame Publishers erschienen ist, wird die ganze Bandbreite an Möglichkeiten computergestützten Entwerfens sichtbar. Der Band stellt einen Werkkatalog dar, in dem ausgewählte Bauwerke der letzten zwanzig Schaffensjahre des Büros in vier Bereiche, sogenannte „Knowledge Plattforms“, einsortiert werden: „Organisation“, „sustainability“, „materials“ und „parametrics“ bilden das Fundament der Projekte von UNStudio und den Werkzeugkasten für die Entwurfsarbeit. Zwar lässt das parametrische Design der zeitgenössischen Architektur vollkommen neue Formen und Gebäudestrukturen entstehen, die Ergebnisse sind aber oftmals eintönig. Und auch die in dem Buch abgebildeten aufwendigen Diagramme und detaillierten isometrischen Darstellungen, bleiben an vielen Stellen rätselhaft und unübersichtlich.
UNStudio beschreiben ihre Architekturen als Infrastrukturen, die sich durch komplexe Raumprogramme und vielfältige Gliederungselemente auszeichnen. Die Organisation der Bauwerke wird als Bestandteil eines Designprozesses gesehen, in dem die verschiedenen strukturellen und funktionellen Elemente der Architektur zu einem performativen Gesamtkonzept vereint werden. Man denke an die Villa NM in Upstate New York aus dem Jahr 2007, deren rechteckige Raumkörper so gegeneinander verdreht werden, dass die Wände kippen und Split Level entstehen, die an Hügel oder kleine Höhlen erinnern. Dieser „Twist“ findet sich auch in größeren Gebäuden von UNStudio wieder, wie dem Mercedes Benz Museum in Stuttgart von 2006, oder dem Bahnhof Arnhem Centraal aus dem Jahr 2015.
Das rechengestützte Entwerfen lässt zwar die Gedankenmodelle und Wissensfelder zusammenwachsen, die vorher unvereinbar schienen. Aber entstehen daraus auch automatisch Gebäude die ihre archetypische Funktion erfüllen, im städtischen Umfeld funktionieren und den wachsenden Ansprüchen ihrer Nutzer entsprechen? Ben van Berkel jedenfalls glaubt dies und schafft ein ganzes Handbuch zum parametrischen Entwerfen.
Nick Roberts (Hg.)
Knowledge Matters.
Ben van Berkel & Caroline Bos
400 S., br., Text englisch
Frame Publishers, Berlin 2016.
ISBN 978-94-91727-98-6
29 Euro