Sehr geehrte Damen und Herren,
von außen gesehen gewinnt man in der Tat den Eindruck, dass Konsumgüter aus Europa das obere Marktsegment unter sich aufteilen. Mode und Accessoires kommen aus Italien und Frankreich, Gläser aus Österreich, Möbel aus Italien, Autos, Armaturen und Badkeramik aus Deutschland. Aus den USA schaffen es ein paar Sportartikel- und Modehersteller und natürlich Apple in die Einkaufszentren. Aus Asien kommt, mit Ausnahme Japans, noch immer sehr wenig. Es scheint gut zu laufen für Europa als gefühltem Marktführer bei Konsumartikeln im High-End Bereich.
Was mich als Vertreter einer jüngeren Generation von Designern interessiert, ist die Frage, in wieweit wir dabei eine Rolle spielen.
Die Marken, die es in den globalen Vertrieb schaffen und ihre Produkte erfolgreich unterbringen, stammen meist aus der Vergangenheit. Die Werte, die sie kommunizieren, sind fast immer das Spiegelbild eines alten Luxusbegriffes, der von der jungen Generation so nicht getragen wird, oder zumindest nicht getragen werden sollte. Weil Marken aus Europa die letzten 20 Jahre immer neue Märkte erschließen konnten, wird es ihnen leicht gemacht, mit immer denselben Argumenten neue Kunden zu gewinnen. Kunden, welche die Erklärungen der Marketingabteilungen plausibel finden und mit dem Gefühl, ein modernes Produkt gekauft zu haben, zufrieden sind, weil ihnen gar nicht auffällt, dass vieles davon Schnee von gestern ist. Die Werte, die sich in unserer Gesellschaft längst ändern, finden kaum adäquate Entsprechungen in modernen Produkten.
Die jungen Designer, die hier zu Hause sind, scheinen sich für die alten Geschichten jedenfalls nicht mehr zu interessieren. Die junge Generation arbeitet sich derweil in der überfüllten und staubtrockenen Nische der Avantgarde ab. Ein Forum für scheinbar immer irrrelevanter werdende Ideen, ohne echten Markt. Die Produkte, die dort entstehen, sehen oft aus wie selbstgemacht und beschäftigen sich mit wenig mehr als Möbeln und Leuchten. Das liegt nicht nur an dem persönlichen Interesse für solche Produkte, haben sie doch unmittelbar etwas mit unserer Vorstellung vom Wohnen und Leben zu tun, sondern daran, dass diese Branche noch immer am zugänglichsten und experimentierfreudigsten ist und mit bezahlbaren handwerklichen Methoden gearbeitet werden kann.
Dazu kommt, dass Deutschland aus dem Konsumgüterbereich sehr viele wichtige Marken verloren hat, die etwas über das Leben in unserem Land außerhalb des Investitionsgüterbereiches erzählen könnten. Wir tun uns in Deutschland offenbar schwer mit Produkten, die nicht hauptsächlich durch technische Überlegenheit brillieren. Natürlich wirft ab und zu ein Luxuskonzern ein Projekt ab, vielleicht Accessoires für einen erfolgreichen Kaffeemaschinen-Hersteller oder Reiseutensilien für den modernen Nomaden eines Taschen Luxuskonzerns. Oder man lässt sich in Mailand von Designern eine Autokarosserie wunderschön ausstellen. Das ist grenzwertig, gar zynisch, wenn neue Ideen und das Engagement dabei nicht ernst genommen werden. Wenn es bei PR-Projekten und Lippenbekenntnissen bleibt, bei denen die Designer draufzahlen und auf Dauer ihren Glauben an die Relevanz verlieren. Manch einer beschwert sich, dass er falschen Vorstellungen aufgesessen ist und enttäuscht wurde.
Vor 10 Jahren hat Konstantin Grcic als Vertreter der damaligen jüngeren Generation einige vielversprechende Projekte zwischen diversen unabhängigen Designbüros aus unterschiedlichen Ländern Europas mit der Industrie angesprochen und als Beleg dafür gesehen, dass der Dialog zwischen der ganz großen Industrie und den kleinen unabhängigen Büros funktionieren kann. Heute möchte ich behaupten, dass von diesen Projekten keines erfolgreich zu Ende geführt worden ist. 10 Jahre später kann man in Deutschland weder modern gestaltete Toaster, Wasserkocher, Kaffeemaschinen, Staubsaugerroboter noch Küchenmixer kaufen. Außer auf dem Flohmarkt.
Als Markt für die etablierte Industrie, sind wir, und offenbar immer häufiger auch wir uns selbst, zu unwichtig geworden. Manch ein etablierter Designer entdeckt heute lieber alte Ideen neu, als wirklich Neues zu erdenken. Ich meine hier nicht hauptsächlich das Retro-Design, das wenigstens ungeschminkt als solches daherkommt, sondern das Sampling von Bruchstücken. Eine Methode, die dem Wunsch nach schneller, ungeduldiger Umsetzung entgegenkommt, aber im Eklektizismus mündet und nicht in schlüssigen, konsistenten Semantiken, die gar einmal einen eigenständigen Stil einer Zeit repräsentieren könnten. Oder sie finden eine noch kleinere Nische in den Galerien, wo Gebrauchsgegenstände angeboten werden, die sich auch die Designer nicht leisten können, die sie entworfen haben.
Wir sind lange der romantischen Überzeugung gewesen, dass Design heute noch nach dem Genialitätsprinzip funktionieren kann. Ich erinnere mich an das Büro von Richard Sapper in Mailand, als ich für ihn als Assistent gearbeitet habe, das hauptsächlich aus einem großen Schreibtisch in einem Zimmer seiner Wohnung bestand. Eher ein Arbeitszimmer – ein richtiges Büro hat er für seine Arbeit als Designer nicht benötigt. Er konnte auf ein funktionierendes Netzwerk zurückgreifen, das die Firmen, mit denen er zusammen arbeitete, unterhalten haben, überwiegend bestehend aus Entwicklungsabteilungen, Modellbauern und einer eigenen Produktion. Diese Firmen behielten die Kontrolle über ihr proprietäres Wissen und waren stolz auf spezielle, oft wie Geheimnisse gehütete Fähigkeiten, mit denen sie die Konkurrenz auf Abstand hielten. Heute haben viele Marken keine eigene Produktion mehr und selten umfassend kompetente Entwicklungsabteilungen. Ihr spezielles Wissen haben sie zugunsten eines breiteren Portfolios an zahllose Zulieferbetriebe „outgesourced“. Warum sollte man eine Besteckschmiede unterhalten, wenn Besteck beispielsweise in China günstig bestellt werden kann?
Mittlerweile kann man alles irgendwo bestellen. Aber es geht an dieser Stelle gar nicht um China oder Asien. Auch nicht darum, ob man miserable Umwelt- und Arbeitsbedingungen in Kauf nehmen darf, die man im eigenen Land als Ausbeutung bezeichnet. Diese Beispiele machen die Veränderungen nur besonders deutlich: Der globale Vertrieb kostet dermaßen viel Geld, dass eine Diversifizierung des Angebots aus unternehmerischer Sicht sinnvoll erscheinen muss. Wenn die Vertriebsstruktur einmal steht, ist es nur logisch, ein breites Sortiment nachzuschieben. Nach der Phase des Outsourcings und der Diversifizierung des Portfolios, bleibt den Marken als einziges Differenzierungsinstrument schließlich das Design. Wenn Design aber nun zu kurz greift, weil die Schnittstellen zur Entwicklung und Produktion nicht mehr richtig funktionieren, dann unterscheiden sich viele Produkte bloß noch im Styling, die Ergebnisse bleiben generisch und der Fortschritt kommt zum erliegen.
Der Paradigmenwechsel der letzten Jahre besteht darin, dass Design heute an der Schnittstelle von internen und externen Betriebsstrukturen entsteht. Wer sich aber auf externe Netzwerke verlassen muss, braucht neben guten Kontakten vor allem tiefes und umfangreiches Insiderwissen, um souverän entscheiden und entwerfen zu können.
Wenn für die neue Generation der Designer daraus eine Chance werden soll, muss sich an der Ausbildung der Studenten etwas ändern, die noch viel zu oft in ihrem Studium von der Komplexität des Berufes nichts mitbekommen, in der Vorstellung, dass die geniale Idee ausreicht, um von der Industrie ernst genommen zu werden. Wenn für die neue Generation von Unternehmen daraus eine Chance werden soll, muss sich die Industrie hierzulande weniger am globalen Durchschnittskunden orientieren, sondern mehr Mut aufbringen und weniger Konsens suchen. Die Rolle des Rates als Vermittler in Projekten wie dem YDMI und D3 sind richtungsweisend aber noch, warum auch immer, zu einseitig auf den Möbelbereich konzentriert.
Die arbeitsteilige Industrie schafft, hierzulande, angetrieben vom Maschinen und Automobilbau, viele Schnittstellen von denen wir Designer profitieren. Überall gibt es kleine und mittelständische Unternehmen, die forschen und entwickeln, um die Grenzen des Machbaren weiter zu verschieben und den Herausforderungen der Branche gerecht zu werden. Die Ziele der Forschung sind aus der Perspektive des Zulieferers nicht immer eindeutig und daher bleiben viele Ideen als Nebenprodukt übrig. Ideen die wertvoll werden, wenn wir erkennen, was in der Kombination damit anzufangen ist. So werden unsere Netzwerke sukzessive die Gralshüter der innovativen Produktentwicklung in Europa.
Keine ganz uninteressante Rolle, die uns Designern hier zukommt, die wir ganz selbstverständlich an vielen Knotenpunkten des Netzwerkes arbeiten. Mit den richtigen Kontakten im Hintergrund können wir unseren Kunden heute nicht nur eine Form liefern, sondern auch eine Vorstellung davon, wie Ideen umzusetzen sind.
Auch wenn hier noch Fragen offen sind, wie beispielsweise geistiges Eigentum im Netzwerk gerecht bezahlt und geschützt werden kann, ist das, was hier in Mitteleuropa an zugänglichem Können und Wissen entstanden ist, eine unglaubliche Basis für Unternehmen, nicht nur aus Europa. Für Unternehmen, die sich auch mit den einfachen Produkten des täglichen Lebens auseinandersetzen und eine wichtige Facette beisteuern, die in Deutschland von nur noch wenigen internationalen Marken vertreten wird.
Design „Made in Germany“ unserer Generation bezieht seine kulturelle Identität nicht aus den deutschen Marken, sondern aus den lokalen Netzwerken. In Zusammenarbeit mit weniger kompromissbereiten Unternehmern, fließt es in global produzierte Produkte, die eines Tages die alten Geschichten aus Europa ablösen könnten.
Videos der Vorträge der „Zweiten Deutschen Designkonferenz“ sind auf der Website des „Rat für Formgebung“ zu finden.
Video © Rat für Formgebung
60 Jahre Designkultur - 2. Deutsche Designdebatte: Prof. Stefan Diez |