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Die Küche als Ort der Glückseligkeit – imm Cologne Teil 3
von Thomas Edelmann | 02.02.2011

Die Küche steht heute für ein Lebensgefühl, für einen idealisierten Ort der Fantasie, eine Art Paradies des Machens, Zubereitens und Kommunizierens. Auch wenn uns Küchen alltäglich umgeben, so sind wir doch aus der Küche, dem idealen Ort von Denken und Handeln, längst vertrieben wie einst Adam und Eva aus dem Paradies.

Was mit Essen zu tun hat, bildet ein höchst widersprüchliches Szenario: Wir zahlen Dumpingreise für schon halb zubereitete Lebensmittel, Zutaten und Futterstoffe können gar nicht billig genug sein. Selbst in Deutschland sind Teile der Bevölkerung andererseits dauerhaft auf Nahrungsmittel angewiesen, die sie bei so genannten „Tafeln" kostenlos erhalten. Kaum ein Feld der Buchproduktion erblüht derartig wie das der Kochbücher, gleiches gilt für Diätratgeber. Kochen im Fernsehen - ob vor Studiokulisse oder im Testrestaurant - ist populärer noch als zu Zeiten des ersten Fernsehkochs Clemens Wilmenrod. Kochen in den eigenen vier Wänden ist es weit weniger. Wir verabscheuen die Schattenseite der Massentierhaltung, essen aber immer mehr Fleisch. Unserem Ideal entspricht der dünne, durchtrainierte Mensch. Tatsächlich aber war in Deutschland 2009 jeder zweite Erwachsene übergewichtig.

Selbstbetrug und Größenwahn

Auch die Faszination für die Küche als Lebensort passt in dieses Raster der Widersprüchlichkeiten: Die Küchen, die wir bewohnen, sind oft Kompromisse, architektonische Restflächen, vollgestellt mit einem Maschinenpark zum Kühlen, Erhitzen und Spülen, sowie allerlei Gerätschaften, die uns unentbehrlich scheinen, in erster Linie aber Schränke, Regale und Arbeitsflächen verstopfen. Im Alltag nutzen wir unsere Küche meist lustlos, um möglichst schnell halbfertige Gerichte aufzuwärmen und sie mehr oder weniger rastlos zu uns zu nehmen. Zugleich träumen wir von einer aufgeräumten, voll mechanisierten, bestens ausgestatteten Küche, in der uns erstaunliche Gerichte leicht und locker gelingen, mindestens so gut wie den besten Sterneköchen. Die Küche ist eine Zone im ständigen Widerstreit zwischen Selbstbetrug und Größenwahn.

Vier Kochtypen

Ein durchschnittlicher deutscher Haushalt gibt für eine neue Küche 5.000 bis 10.000 Euro aus, sagte der Kölner Küchenhändler Andreas Rütt kürzlich in einem WDR-Beitrag. Wer gehobene Ansprüche habe, etwa einen Dampfgarer oder Induktionskochfelder haben möchte, lege mindestens 15.000 Euro an. Dabei ist die durchschnittliche deutsche Küche neun bis zwölf Quadratmeter groß. Im Auftrag von Miele hat das Marktforschungsinstitut Forsa die Kochgewohnheiten der Deutschen untersucht und dabei nicht nur nach der Markenbekanntheit einschlägiger Hersteller gefragt, sondern auch noch vier „Kochtypen" ausgemacht. Forsa unterscheidet zwischen „Smart-Kochern", „Bio-Kochern", „Genuss-Kochern" und „Satt-Kochern". Während sich die ersten beiden Gruppen um Frische und Zutaten bemühen, ist beispielsweise der „Satt-Kocher" „nicht experimentierfreudig" und verwendet hauptsächlich Fertiggerichte und Tiefkühlkost.

Kochen mit Hegel

Küchen, die wir auf der „Living Kitchen" zu sehen bekommen, sind perfekt, erhaben und ganz und gar unglaublich. Das beginnt damit, dass sie von Fernsehköchen bespielt werden, die sämtliche Besucher pausenlos mit wohlschmeckenden Häppchen füttern. Wer nach dem Warum und Wofür der neuen Küchen fragt, der möge sich an die Worte des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel erinnern. „Was vernünftig ist, ist wirklich, und was wirklich ist, ist vernünftig", schrieb Hegel in den „Grundlinien der Philosophie des Rechts". Womöglich ist Hegel für die Designkritik noch zu entdecken. Denn genau deren Aufgabe umriss er bereits 1808 in seiner „Philosophischen Enzyklopädie": „Das eigentliche Urteilen über einen Gegenstand ist das Vergleichen seiner Natur oder wahren Allgemeinheit mit seiner Einzelheit oder mit der Beschaffenheit seines Daseins; das Vergleichen dessen, was er ist, mit dem, was er sein soll."

Küche mit Boot

Was aber bieten Hersteller von Küchenmöbeln und Haushaltsgeräten als neue Wirklichkeit an? Alno präsentierte die Studie „marecucina", die auf bestehenden Produktlinien aufbaut und - wie es im Pressetext heißt - eine Brücke schlägt „zwischen Urlaub und Alltag". Bereits aus Mailand bekannt, wurde die „marecucina" nun weiterentwickelt. Sie hat die Form eines Sportbootes der fünfziger Jahre. Die Arbeitsfläche besteht aus Nussbaum-Planken. Neben der bootsförmigen Inselküche gibt es nun auch Versionen in Zeilen- und L-Form, ebenfalls mit maritimen Motiven. „Marecucina" ist wie die meisten gegenwärtigen Küchen grifflos und wirkt wegen ihrer zurückgesetzten Basis schwebend. Ihr klappbarer Bug dient als Stauraum, der Geschirrspüler ist bündig in die Bootsform eingelassen. Die Beleuchtung erinnert an Mast und Segel. Zudem gibt es eine motorisierte ausfahrbare Dampfabsaugung.

Holz oder Karbon

Ebenfalls Studiencharakter hat auch „La Cucina" von Matteo Thun, präsentiert von Riva1920 und dem American Hardwood Export Council. Intention des Designers ist es, Tradition und Authentizität auf moderne Weise zu kombinieren. Die Küche besteht aus einem Platz für Feuer, einem für Wasser und dem Mittelpunkt, einem Platz zum Essen. Dabei kontrastieren minimalistisch-strenge Formen üblicher Kastenmöbel mit dem zentralen Kommunikationsplatz der archaisch unter Weidenstangen aufgebaut ist. Thun praktizierte dabei Recycling: Er verwendete amerikanische Rote Eiche und Walnussholz, das er bereits bei einer Installation in der Universität Mailand genutzt hatte, nun in neuem Kontext.

Eine neue Variante der Porsche-Küche - bekannt als die „Küche für den Mann" - stellte Premiumhersteller Poggenpohl vor. Sie ist nun ausgestattet mit einer Front aus laminiertem Karbon und Glas. Was bei Formel-1-Boliden sinnvoll ist - ein leichtes Gewicht und die Fähigkeit, bei Hochgeschwindigkeits-Unfällen das Überleben der Piloten zu sichern, dient in der Küche hauptsächlich dekorativen Zwecken und ist - noch - ein Merkmal technologischer Alleinstellung.

Oder doch Edelstahl?

Edelstahl als Material für Küchen stand am Beginn der „Wir-kochen-wie-die-Profis"-Bewegung, die unter anderem von dem Designer, passionierten Koch und Kritiker Otl Aicher propagiert wurde. Als Vorbild für den engagierten Gelegenheitskoch sollte dabei die Profiküche dienen, deren Ausstattung und Technik auf den Privatgebrauch abgespeckt wurde. Eine geniale Marketing-Idee, die aus Herstellern von mehr oder minder austauschbaren Kastenmöbeln Markenhersteller werden ließ, die eine individualisierte Vision vom Kochen offerieren. Mit dem Trend zur Öffnung des Küchenraums hin zum Wohnumfeld schien die Edelstahlküche lange nicht vereinbar. Nun haben die Designer Fritz Frenkler und Anette Ponholzer für Forster, den bislang hauptsächlich in der Schweiz bekannten Hersteller von Stahlküchen, das neue Modell „Pur11" geschaffen. Mit ihm will die Marke Forster, bislang schon Nummer eins in der Schweiz und neben Warendorf und Piatti zum Schweizer AFG-Konzern gehörend, die Stahlküche für den Übergang zum Wohnbereich attraktiv machen. Dazu tragen ein selbsttragender Korpus, die Sandwichbauweise, bündige Linien, glatte Flächen und magnetische Küchenaccessoires bei.

Kochen auf freiem Feld

Benutzer von iPhone und iPad fragen sich womöglich, warum sie ihre Geräte noch immer nicht als Kochfeld benutzen können. Eine App dafür müsste es doch längst geben? Gaggenau, die Top-Marke der Bosch-Siemens-Hausgeräte, kommt allen, die gerne Dinge mit dem Finger steuern mit einem neuen Vollflächeninduktions-Kochfeld „CX 480" entgegen. Anders als seine Vorläufer definiert das Kochfeld nicht vorgegebene Plätze für Kochtöpfe einer bestimmten Größe. Wer also im Laufe des Kochvorganges große und kleine, vordere und hintere Töpfe wechseln und umstellen möchte, der wird von der neuen, flächenbündigen Kochfläche mit 48 unmittelbar aneinandergereihten und seitlich zueinander versetzten Mikro-Induktoren begeistert sein. Erst recht, wenn er sich während des Kochens eine saubere Fingerspitze zum Steuern der Kochfelder bewahrt.

Wasser Marsch!

Die Zukunft des Wasserzapfens ist Gegenstand einer Studie von Dornbracht. Mit einer elektronischen Armatur für die Küche - abgeleitet aus dem eTool, das Dornbracht für die Dusche bereits realisiert hat - lassen sich künftig Armaturen, Excenter und Spülmittelspender zentral regulieren. Der Wasserfluss kann darüber hinaus mit einem Fußsensor aktiviert und gestoppt werden. Zudem stellte Dornbracht neue „Water Dispenser" vor, ein System, das Armatur, Wasserfilter und Heißwassertank miteinander verbindet und kochend heißes Wasser auf Hebeldruck liefert.

Kälte sparen

Wie sieht ein A++ Kühlschrank aus? Unspektakulär, beinahe banal! Und eine A+++ Spülmaschine? Etwa so, wie ein Auto mit Start-Stopp-Automatik. Gar nicht anders als andere auch. Allerdings fragt man sich, warum Hersteller wie Siemens Modelle wie die „ecoStar2" - Jahresverbrauch 205 kWh, 2053 Liter Wasser für ca. 280 Spülgänge - nicht gleich zum Standard ihres variantenreichen Geräteparks machen. Bekommen Verbraucher demnächst auch Geräte mit fünf oder mehr Pluszeichen hinter dem Energielabel A? Die Aussagekraft solcher Zeichen ist jedenfalls begrenzt, erst recht wenn die Hersteller - wie bei Waschmaschinen - ständig neue Geräte mit mehr Zuladung auf den Markt bringen, die in vielen Singlehaushalten deutlich mehr verbrauchen als ihre kompakteren Vorläufer.

Die Küche als „Gegen-Ort"

An der Küche hängt also viel. Anders als Stuhl, Sofa oder Tisch ist die Küche ein visionär-utopischer Gegenstand. Für alle, die von der Küche und ihren Zutaten begeistert sind und die Zusammenhänge zwischen Industrialisierung, Automatisierung und Design am praktischen Beispiel nachvollziehen möchten, empfiehlt sich eine Reise ins New Yorker Museum of Modern Art. Dort wird die Küche als „Gegen-Ort" thematisiert. Mit der Ausstellung „Counter Space - Design and the modern kitchen" inszeniert Kuratorin Juliet Kinchin die Küche als Indikator wechselnder Techniken, Ästhetiken und Ideologien. Schon allein die materialreiche Internet-Seite der Ausstellung ist lesens- und sehenswert.

Noch einmal Hegel: „Ist erst das Reich der Vorstellung revolutioniert, so hält die Wirklichkeit nicht Stand."

Gaggenau kommt allen, die gerne Dinge mit Finger steuern, mit einem neuen Vollflächeninduktions-Kochfeld „CX 480“ entgegen.
CX 480 von Gaggenau
Porsche Design “P7340” von Poggenpohl mit Glas-Carbon-Front
Dornbracht stellte seinen neuen „Water Dispenser“ vor, ein System, das Armatur, Wasserfilter und Heißwassertank miteinander verbindet und kochend heißes Wasser auf Hebeldruck liefert.
Warendorf, Foto: Dimitrios Tsatsas, Stylepark
Küche "Swing" von Warendorf, Foto: Dimitrios Tsatsas, Stylepark
La Cucina von Matteo Thun für Riva 1920, Foto: Sven Otte
Küche „Pur11" von Forster Schweizer Stahlküchen
Aktuelle Gerätekombination in Edelstahl von Miele
Marecucina von Alno
Ausstellung „Counter Space – Design and the modern kitchen“, Tom Wesselmann Still Life #30. April 1963
Der Messestand von Gaggenau: in einer künstlerisch verfremdeten Fabrikumgebung werden Produkte und Materialien dargestellt; Foto: Dimitrios Tsatsas, Stylepark
Messestand von Gaggenau während der imm cologne 2011 Foto: Dimitrios Tsatsas, Stylepark
Messestand von Gaggenau, Foto: Dimitrios Tsatsas, Stylepark
P7340 von Poggenpohl
Water Dispenser von Dornbracht
Küche von Philippe Starck für Warendorf, Foto: Dimitrios Tsatsas, Stylepark
La Cucina von Matteo Thun für Riva 1920, Foto: Sven Otte
La Cucina von Matteo Thun für Riva 1920, Foto: Sven Otte
Küche “Raumwunder” von Forster Schweizer Stahlküchen
Alno präsentierte die Studie „marecucina“, die auf bestehenden Produktlinien aufbaut und wie es im Pressetext heißt eine Brücke schlägt „zwischen Urlaub und Alltag“.
Ausstellung „Counter Space – Design and the modern kitchen“ im New Yorker Museum of Modern Art. Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lihotzky 1926–27
Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lihotzky