SALONE DEL MOBILE 2017
Staunen und Pusten
Leuchten haben als Energieumwandler wohl etwas mit dem Klimawandel zu tun. Der Umstieg von der Glühbirne auf die Leuchtdiode veränderte in kurzer Zeit die gesamte Lichtbranche. So wandelte sich das Design, mit ihm wurden Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten neu organisiert. Zudem steht die Halbleitertechnik der Leuchtdiode der digitalen Manipulation offen, was zusätzliche Möglichkeiten bietet. Ob das Handelsverbot für Glüh- und Halogenlampen einen maßgeblichen Beitrag leistet, die menschlich verursachte Erwärmung der Atmosphäre zu vermindern oder abzubremsen, darf bezweifelt werden. Doch ob Symbolpolitik oder nicht: Der politisch beförderte technologische Wandel hat in Sachen Licht vieles Neue bewirkt. Wie Lichtdioden angeordnet, in welche Hüllen verpackt und mit welcher Ausstrahlung sie versehen werden, dafür gibt es kaum Grenzen. Ein unerschöpfliches Spielfeld für menschliche Kreativität eröffnete sich. So spüren wir immer wieder eine besondere Magie des Lichts, wie etwa bei der Leuchte „Guise“ von Stefan Diez für Vibia. Seit ihrer Erstpräsentation im MAK Köln im Januar hat sie sich ein gutes Stück in Richtung Serienproduktion bewegt. Bekannte Marken wie Artemide oder Flos, von den neuen Techniken anfangs eher herausgefordert als inspiriert, bieten einen bunten Strauß neuer Produkte.
Zugleich ist die Szenerie für Laien so unübersichtlich wie nie zuvor. Welche Qualität das neue Licht tatsächlich hat, darüber geben Watt- oder Lumenzahlen keine verlässliche Auskunft mehr. Selbst bei Serienprodukten könne die Qualität nur noch im Lichtlabor ermittelt werden, behaupten Fachleute wie der Hamburger Lichtplaner Peter Andres. Dominierte zu Beginn des Wandels die Erzählung von der Effizienz der neuen Technik, ist nunmehr Normalität eingekehrt, was bedeutet, dass Fragen tatsächlicher oder behaupteter Wirtschaftlichkeit weniger Beachtung geschenkt wird. Und in Mailand haben im Euroluce-Jahr 2017 die Dekorateure das Ruder übernommen. Vorzugsweise schimmert das LED-Licht aus mattierten mundgeblasenen Kugeln, die an fein verarbeiteten metallischen Konstruktionen aufgereiht sind, die meist aus glänzendem Messing bestehen. Somit passen die Leuchten zu den gefühlvollen zeitgenössischen Wohnmöbeln, die jedweder Art der Entspannung dienen, ohne dass man sich an den entsprechenden Entwürfen stoßen oder reiben könnte. Sie tauchen den Raum in ein gleißendes, nicht zu helles Wohlfühllicht. Designer Michael Anastassiades war ein Vorreiter dieser Tendenz, die längst zahllose Nachahmer fand. Anastassiades indes ist längst an neuen Formen und Konstruktionen interessiert, wie auf dem Stand von Flos zu sehen war. Seine „Arrangements“ füllen große Räume, Vorbild für den Gestalter sind Schmuckobjekte, wie sie Juweliere etwa als Ohrring oder Halskette entwerfen. Diese vergrößert der Designer zu hängenden Großformen, die den Raum nicht nur beleuchten, sondern auch im Sinne eines Kronleuchters dominieren.
Foscarini bereichert die Formenvielfalt um spielerische Objekte wie „Arumi“ aus Aluminiumdruckguss (von Paolo Lucidi und Luca Pevere) mit einem Innenleben aus transparentem Kunststoff, der die Lichtverteilung organisiert. „Filo“ von Andrea Anastasio macht die Bestandteile der Leuchte vom Schirm über das Kabel bis zum Baldachin zu Versatzstücken, die scheinbar willkürlich auf einem Gestänge aufgerollt, dennoch Licht spenden. Irgendwo zwischen Objet trouvé und DIY angesiedelt, konstatiert „Filo“ zugleich die Schwierigkeit überhaupt noch neue Formen zu finden, wie auch die Tatsache, dass dies niemanden zur Verzweiflung treiben muss. Mundgeblasene transparente Glaskörper finden sich bei „Harry H.“, einer Hybridleuchte von Carlotta de Bevilacqua für Artemide mit an die Decke strahlenden LED und seitlich schimmernden OLED-Elementen von LG Display. Michele De Lucchi nutzt für seine Leuchte „Ipno“ ebenfalls eine transparente Glaskugel, deren Unterseite leicht mattiert ist. Im Zusammenspiel mit einem prismatischen Kunststoffelement bewirkt diese aufgeraute Fläche eine besondere Lichtverteilung. Für Luceplan setzt Daniel Rybakken seine Recherche mit Licht und Schatten fort, „Amisol“ verteilt weiches Licht über einen großen metallischen oder opaken Kunststoffschirm im Raum. Aus der Leuchte „Compendium“ entwickelte Rybakken neue, raumgreifende Formen.
Auch die Technologie-Anbieter spielen eine zunehmende Rolle. Auf der Euroluce war LG Displays mit Designstudien von Ross Lovegrove, „Medusa“ und „Pyrosome“ vertreten, die OLED-Elemente nutzen. In der Stadt, im Superstudio Più zeigte die koreanische Mutterfirma LG die Inszenierung „S.F._Senses of the future“ des japanischen Designers Tokujin Yoshioka. In einem großen Saal mit spiritueller Grundstimmung arrangierte er OLED-Bildschirme zu rundum leuchtenden Möbelstrukturen vor einer Wand aus 30000 quadratischen OLED-Leuchtfolien. Die Schau wurde mit dem Milano Design Award als beste Inszenierung ausgezeichnet. Mit deutlich weniger Material- und Geldeinsatz überzeugten Studentinnen und Studenten der Kunsthochschule Berlin Weißensee auf dem 20. Salone Satellite: Ihr Semesterprojekt (www.ReactiveLight.de) unter Leitung von Produkt-Design-Professorin Carola Zwick und Designer Felix Groll zeigte 11 leuchtende Beispiele, die künstliches Licht nicht als statisches Objekt, sondern als veränderliche Größe spielerisch thematisierte. Damit stahl der Nachwuchs manchem Traditionsanbieter die Schau. Etwa in Form einer Leuchte, deren Helligkeit durch leichtes Anblasen gesteuert oder mit kräftigem Atemzug aus- und angepustet werden kann („Breeze“, Xinyue Yang). So erinnerten uns die angehenden Designerinnen und Designer daran, dass künstliches Licht viel mehr und anderes sein kann als ein Gehäuse, in den Strom in Helligkeit verwandelt wird.