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Die Hände am Lenkrad halten
12.11.2012

Thomas Edelmann: Bei der Emotionalisierung von Automobilen ist BMW ein Pionier unter den deutschen Herstellern. Aus dem Investitionsgut Auto wurde ein Gebrauchsgegenstand, der raschem gestalterischen Wandel unterliegt. Wenn Sie sich heute umsehen, was ist aus diesem Projekt der Emotionalisierung geworden?

Adrian van Hooydonk Ja, wir haben tatsächlich große Schritte unternommen, das Auto wieder emotionaler zu gestalten. Wenn man in der Geschichte etwas weiter zurückgeht, in die Vorkriegszeit etwa oder in die Nachkriegszeit bis in die sechziger Jahre, war es damals üblich, Autos sehr emotional zu gestalten. Dann gab es ein paar Dekaden, wo eine gewisse Rationalisierung im Automobildesign insgesamt Einzug hielt. Dafür gab es Gründe: Zum Beispiel brachte die erste Ölkrise 1973 einen Schock. Es folgte eine Phase der weiteren Industrialisierung, die ersten Roboter wurden in der Fertigung eingesetzt. Man kann diese Einflüsse auch am Automobildesign dieser Zeit ablesen. Die Automatisierung zu ermöglichen war damals eine Herausforderung. Das hat dem Design zu schaffen gemacht, denn es hatte mit Einschränkungen zu kämpfen.

Was hat sich seitdem geändert?

van Hooydonk Die automatisierte Fertigung ist zum Standard geworden und ermöglicht mittlerweile ein hoch komplexes Design. Die Technik bedeutet nicht mehr Einschränkungen, sondern bietet eine Erweiterung des Spielraums. Inzwischen haben wir mehrere Krisen überstanden. Heute wissen wir: Man muss dem Kunden alles bieten. Dazu gehört ein Produkt, das lange Bestand hat. Sie haben es „Investitionsgut“ genannt, und für unsere Produkte, die ja Premium-Produkte sind, stimmt das immer noch. Aber man umgibt sich nur mit Dingen, die einem persönlich auch zusagen, womit man bereit ist, eine emotionale Bindung einzugehen. Dazu ist man aber nur bereit, wenn man weiß, dass auf der rationalen Ebene alles in Ordnung ist.

Das heißt?

van Hooydonk Nun, wenn man weiß, dass das Auto gut funktioniert, sicher ist, lange hält und – in der heutigen Zeit ist das wichtig – wenig verbraucht. Wir bieten Design an, das authentisch ist und modern wirkt, wenn es gelauncht wird, das aber auch Jahre später noch interessant aussieht und zum Ausdruck bringt, was es kann. Die Funktion ist gegeben, das ist das Entry-Ticket im jeweiligen Marktsegment. Man muss tatsächlich alles bieten.

Sie stellen mit dem Concept Active Tourer eine neue Studie vor, im vergangenen Jahr wurde der i3 der Submarke BMW i als Studie vorgestellt. Beide bieten viel Innenraum auf kleiner Grundfläche. Ein neues Thema für BMW. Was ist die Idee dahinter und wie unterscheiden sich beide Fahrzeuge?

van Hooydonk Es bedeutet Wachstumspotential. Wir glauben, mit solchen Fahrzeugen Kunden adressieren zu können, die wir mit den bisherigen Modellen noch nicht so gut bedient haben. Das Concept Car „Active Tourer“ soll junge Familien ansprechen, die ein kompaktes Auto mit großer Innenraumvariabilität haben möchten, wo man etwas höher sitzt. Möglich gemacht wird das durch das technische Layout. Durch den Frontantrieb, den es bislang bei BMW nicht gab, haben wir im Innenraum mehr Möglichkeiten. Das gleiche gilt für den i3: Dort sitzt der Motor hinten, das Auto hat Heckantrieb. Man sitzt auf der Batterie und dem Elektroantrieb. Beide Autos sind für das urbane Umfeld gedacht. Es ist wichtig, den Innenraum zu maximieren, auf so wenig Verkehrsfläche wie möglich. Auch beim i3 macht die Anordnung der Komponenten die Umsetzung möglich. Das Fahrzeug soll zudem keine Emissionen mehr haben. Und das wird im städtischen Umfeld immer wichtiger. Schon heute gibt es Innenstädte, die an bestimmten Tagen „geschlossen“ sind, oder nur Autos hineinlassen, die bestimmte Werte einhalten. Das wird zusehends wichtiger. Vom Antriebskonzept und der Konstruktion unterscheiden sich beide grundlegend.

Inwiefern?

van Hooydonk Der Active Tourer basiert auf einem Materialmix aus Stahl und Aluminium, der i3 ist aus Carbon gefertigt.

Bei beiden Fahrzeugtypen steht die Funktionalität stärker im Vordergrund. Steht dies nicht in einem Spannungsverhältnis zur immer wieder geforderten Emotionalität?

van Hooydonk Die Funktionalität ist eine Voraussetzung, eine Selbstverständlichkeit. Im Industriedesign gibt es viele Dinge, die sehr gut gestaltet sind. Aber wenn beispielsweise eine Küchenmaschine nur gut aussehen würde und nicht ihren Zweck erfüllt, dann ist das in der heutigen Zeit nicht mehr akzeptiert. Ein Produkt muss schön sein und gut funktionieren. Für den i3 haben wir uns Dinge überlegt, die mit der Vernetzung des Fahrzeugs zu tun haben, die einem das Leben im städtischen Raum erleichtern sollen. Die Verbindung zum Internet spielt dafür eine Rolle, bis hin zum Carsharing-System „Drive Now“, das es ermöglichen soll eines Tages einen i3 zu benützen, ohne ihn zu besitzen. Die Submarke i ist ein wenig unsere Experimentierküche.

Sie haben kürzlich behauptet, dass einem Unternehmen und der Designabteilung die Marke gar nicht mehr gehöre, sondern dass sie dem Kunden gehört…

van Hooydonk Das sehe ich auch so, jedenfalls wenn man Erfolg hat…

Aber was heißt das fürs einen Designer? Sind sie getrieben vom Kunden? Oder müssen sie ihm Widerstand leisten?

van Hooydonk Weder noch. Es bedeutet schon, dass man den Kunden respektiert. Man trifft auf sehr begeisterte Leute. Wenn einem ein Kunde erzählt, dass ein Design gut ist, dass man selber nicht so schlecht findet, ist das toll. Oft wissen die Kunden auch noch sehr gut über unsere Designgeschichte Bescheid. Dann wird das sehr schnell ein Fachgespräch. So bemerkt man, dass die eigene Arbeit geschätzt wird. Damit einher geht eine Erwartungshaltung, die man auch mit den nächsten Entwürfen besser übertreffen und keinesfalls enttäuschen sollte. Das ist normal. Wir selber haben ja einen hohen Anspruch an unsere Arbeit. Es gibt viele Designer, die so etwas nicht erfahren. Alle unsere Marken von BMW über Mini bis Rolls Royce sind heute so bekannt, dass sie fast schon so etwas wie „public domain“ geworden sind.

Bleibt also kaum noch etwas zu tun?

van Hooydonk Nein, nein. Das bedeutet natürlich nicht, dass man kapituliert und etwa die Hände vom Lenkrad nimmt. Man hat die Verantwortung, dass die Marke auch in Zukunft erfolgreich sein wird und Begeisterung weckt. Es ist natürlich auch so: Kunden können sehr gut ausdrücken, was ihnen gefällt oder gefallen hat. Aber sie können nicht so gut erzählen, was ihnen in zehn Jahren gefallen wird. Das ist die ganze Schwierigkeit. Und daher braucht man vielleicht doch einen Designer, der mit feinen Antennen und Fingerspitzengefühl die Sache weiter entwickeln kann. Und wenn man drei Jahre später auf Kunden trifft, die dann sagen, dass das Ergebnis toll ist, dann ist das sehr schön. Aber eine hundertprozentige Sicherheit dafür gibt es nicht in unserem Business. Es bleibt spannend.

Designskizze des Concept Active Tourers, Foto © BMW Group
Studie i3: Das erste reine Elektrofahrzeug von BMW mit Carbon-Karosserie soll bereits 2013 auf den Markt kommen, Foto © BMW Group
Futuristisches Design: Das geräumige i3 Modell ist mit gegenläufig öffnenden Portaltüren ausgestattet, Foto © BMW Group
Innenausstattung des Active Tourers, Foto © BMW Group
Armaturenbrett des Concept Active Tourers, Foto © BMW Group
BMW auf neuen Wegen: Die neue Studie „Concept Active Tourer“, Foto © BMW Group
Adrian van Hooydonk kam 1992 als Exterieur-Designer zu BMW, war ab 2004 für die Gestaltung der Autos der Marke BMW verantwortlich und leitet seit 2009 das Design der BMW Group mit sämtlichen Marken, Foto © Thomas Edelmann
Der Active Tourer kombiniert Frontantrieb, einen 3-Zylinder-Motor und ein Raumkonzept mit hohem Dach – drei Eigenschaften, die bislang als unvereinbar mit der bayerischen Premium-Marke galten, Foto © BMW Group
Präsentation des Concept Active Tourers auf der Pariser „Mondial de l´Automobil“, Foto © Thomas Edelmann
In Paris wurde ein neuer BMW Brand Store eröffnet, Foto © BMW Group
Urahn gegenwärtiger Elektroautos: Die BMW-Studie E1 von 1991, Foto © BMW Group