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Die „hängenden Gärten“, der Wohnpark Alt-Erlaa im Süden Wiens, entworfen von Harry Glück. Foto © Hertha Hurnaus
Die Ferien des Monsieur ...

Was überhaupt ist Urlaub? Laut Grimmschem Wörterbuch stammt das Wort vom althochdeutschen „irlouben“ ab, dem mittelhochdeutschen „erlouben“ und dem neuhochdeutschen „erlauben“. Jemand, der sich von seiner angestammten Position oder Aufgabe – wenigstens vorübergehend – entfernen will, braucht dazu eine Erlaubnis. Urlaub ist eine Sache der Hierarchie; Voraussetzung für seine Gewährung ist ein Dienstherr, eine Obrigkeit, ein Vorgesetzter, kurz jemand, den man um Erlaubnis bitten kann, sich zu entfernen, vielleicht sogar für immer, was eine Vakanz hinterlässt. „Vacances“ ist das französische Wort für Ferien, „Vacation“ das englische. Zunächst bezeichneten beide jeweils die gerichtsfreien Tage und sind heute gleichbedeutend mit Schul- und anderen ausgedehnten Ferienzeiten.
Wird Urlaub überschätzt? Nicht, wenn man in der Ferne Erkenntnisse gewinnt und nach der Rückkehr die richtigen Schlüsse zieht. Matthias Claudius ließ 1774 seinen „Urian“ hinaus in die Welt ziehen. „Wenn jemand eine Reise tut / so kann er was verzählen“. Der Nordpol, Grönland, Amerika, Asien und China standen auf Urians Sightseeing-Programm, der schließlich, zurückgekehrt resümiert: „Und fand es überall wie hier, / Fand überall ’n Sparren, / Die Menschen grade so wie wir, / Und ebensolche Narren.“

Wenn Goethe 1796 aus Weimar an Schiller schreibt: „Ich genieße nun in meinem Hause den völligsten Urlaub“, dann geht es ihm nicht um Freizeit, Trödelei oder Muße im heutigen Sinn, denn im selben Satz erfreut er sich „über die ungeheuren Pensa, die vor mir liegen“. So verstanden, ist Urlaub Selbstbestimmung, die Erlaubnis über sich selbst zu verfügen, also nicht nur frei zu haben, sondern frei zu sein. In einem Singspiel seiner Sturm-und-Drang-Periode („Claudine von Villa Bella“) hatte Goethe zwanzig Jahre zuvor das Gegenbild umrissen. Don Pedro, einer der Protagonisten, schlich heimlich zu seiner Angebeteten, ohne Erlaubnis versteht sich und muss nun schleunigst zurück: „Mein Urlaub geht zu Ende. Fehlt’ ich jetzt; / So fehlt’ ich sehr, und könnte leicht des Königs / Und meiner Obern Gunst verscherzen.“ Das kommt uns bekannt vor: Dabei gibt es die traditionelle Obrigkeit nicht mehr, sie hat sich aufgelöst in ein bürgerliches Beziehungsgeflecht, das abhängig von der Situation mal als verpflichtend eng, mal als informell verstanden wird.

Spätestens mit der Industrialisierung endete die ungeregelte, von der Natur und Obrigkeit bestimmte Zeit. Bahnhofsuhren wurden synchronisiert, Raum und Zeit erschienen erstmals verknüpft. Den Takt setzen die Maschinen der Fabrik, die am besten pausenlos liefen. Industriearbeiter sollten zu ihrer Bedienung rund um die Uhr tätig sein. In Jahrzehnte währenden Kämpfen trotzten Arbeiter und Angestellte den Vorgesetzen und Dienstherren aller Art gesetzliche und tarifliche Urlaubsregeln und -zeiten ab. Eine Errungenschaft der Arbeitsgesellschaft, die in der Freizeitgesellschaft, die den unmerklichen Übergang zwischen Zerstreuung und permanenter Arbeitstätigkeit zur maßgeblichen Regel erhob, als antiquierte Marotte erscheinen mag. An die Stelle der fordistischen Stechkarte im Betrieb, die Arbeitsbeginn und Ende erfasste, tritt die postfordistische Messenger-Software, die verrät, wo und wie lange ein Chatpartner online ist.

Zum Urlaub, der in einer besseren Saison als dieser auch auf Balkonien, im Garten oder Park verbracht werden kann, gehört die Reise, erst recht in einem Zeitalter, da ein Flug zum Preis eines dicken Buches, von sechs Schachteln Zigaretten oder drei Kinokarten zu haben ist. Der englische Begriff „travel“ hat gemeinsame Wurzeln mit dem französischen „travail“, arbeiten. Befragt man abermals das Grimmsche Wörterbuch, dann hat das Wort „Reise“ die Grundbedeutung „einer Bewegung aufwärts, also ‚Erhebung, Aufbruch’“, im engeren Sinne eines „Aufbruchs zum Kriege“. Eine Bedeutung, die im 16. Jahrhundert noch geläufig war. Ob als Arbeit oder Feldzug an fremde Strände: Die Reise und ihre Vorbereitung wirkt selten zerstreuend oder gar erholsam, sie ist gleichbedeutend mit einer Anstrengung, die man um des Zieles willen in Kauf nimmt. Nur für den ziellos Reisenden, nicht aber für den Urlauber, ist der Weg das Ziel. Vergleichbar vielleicht dem Spaziergang oder dem Flanieren, zwei Bewegungsarten, unter denen sich hauptsächlich Literaturwissenschaftler mit historischem Interesse noch etwas vorstellen können.

Kann man überhaupt noch Urlaub machen? Körperliche Abwesenheit und digitale Dauerpräsenz sind kein Widerspruch mehr. Müßiggang, Zerstreuung, und Langeweile, die einst zum Urlaub gehörten, werden von zeitsparenden Digitalgeräten aufgefressen, die Buch, Zeitung und Telefon ersetzen und uns unter Strom halten. So können wir auch von unterwegs in älteren Stylepark-Beiträgen stöbern, um auf dem Laufenden zu bleiben. Denn viele Themen, die hier aufgeworfen, Geschichten und Bilder, die bereits ausgebreitet wurden, sind bis heute im Ausgang offen, harren einer Antwort oder verweisen auf Lösungen für ansonsten unerledigte Alltagsfragen.

Da ist etwa die Überlegung, wie wir morgen fahren werden. Nicht allein die technische Dimension von Autopiloten, elektrischem oder hybriden Fahren, sondern auch die Idee einer veränderten Gestalt des Neuen steht unverändert auf der Agenda. Denn vielleicht muss ein künftiges Gefährt dem heutigen Auto genauso viel oder wenig ähneln wie die elegante Pferdekutsche dem uneleganten SUV. Über die visionäre Studie „GINA Light“ mit Rohrrahmen und feiner Textilbespannung, 2008 vom einstigen BMW-Designchef Chris Bangle vorgestellt, schrieb Thomas Wagner damals, mit ihr halte nicht nur „eine Art materiellen ‚morphings’ Einzug ins Autodesign, also eine Mischung aus Überblendung und Transformation.“ (› zum Artikel) Vielmehr kehre mit „diesem weit in die Zukunft weisenden Entwurf“ auch die „Faszination eines beständigen Gestaltwandels zurück, wie ihn der Futurismus in seiner Geschwindigkeitsbesessenheit zu Beginn des 20. Jahrhunderts propagiert hat – bis hin zur ‚Vergötzung des beständigen Wandels’.“

Vom beständigen Wandel und seiner visionären Ausmalung lebt die Autobranche bis heute. Einerseits mit realen Produkten, die oftmals einen kleinen konzeptionellen Mangel, einen winzigen Defekt haben, um tatsächlich brauchbar und ästhetisch bereichernd zu sein, anderseits aber mit Studien, die versprechen, in absehbarer Zeit ebendiese Vorläufigkeit des Autos, durch eine neue Dimension, eine neue Technik oder Form weit hinter sich zu lassen. Ein, wie wir längst wissen, bisweilen unterhaltsames, stets aber trügerisches Versprechen. Demnächst, im September, werden in Paris auf dem „Mondial d’Automobil“ die neuesten Beispiele enthüllt.

So attraktiv die Zukunft der Mobilität und ihrer Erscheinungsformen mitunter wirken mag, so herausfordernd ist das oftmals ungeliebte architektonische Erbe der Moderne. Gestehen wir der Zukunft von gestern, Bauten, die oftmals mit großer Geste bekannte Traditionslinien auflösten, künftig noch zu, eine maßgebliche Rolle zu spielen? Die Debatten werden international in den Stadtgesellschaften kontrovers geführt. Oftmals erscheinen ökonomische Erwägungen dabei im Gewand ästhetischer Überzeugungen. Nora Sobich berichtete 2009 am Beispiel eines „Kuckuckseis der Moderne“, dem Rathaus von Boston, das als brutalistischer Bau zwischen 1963 und 1968 entstand, was das bedeuten kann. Das „Aufbegehren gegen den Vorzeigebau“ habe in Boston „Volkssportcharakter angenommen“. (› zum Artikel) Einer der Architekten war übrigens Gerhard Michael Kallmann (1915 bis 2012), geboren in Berlin, der 1937 mit seinen Eltern nach London emigrierte, wo er an der „Architectural Association“ studierte, bevor er 1948 nach Amerika ging. Abrisspläne stehen vorerst wohl nicht mehr auf der Agenda, der Platz vor dem Rathaus soll umgestaltet werden. Doch die seit langem geforderte Anerkennung des bedeutenden Baus als „Landmark“ steht laut der Seite SOSBrutalism des Deutschen Architekturmuseums ebenso aus wie die nötige denkmalgerechte Sanierung.

Noch ein Denkmal, noch einmal 1968, aber diesmal keine Abrissgefahr: „Meiner Meinung nach sollte eigentlich alles weiß sein“, ist ein knappes, präzises Interview überschrieben, das Franziska von Bethmann mit Richard Hamilton über das grafische Konzept des „Weißen Albums“ der Beatles führte. (› zum Artikel) Obwohl er „keine besonders starke Verbindung zu Weiß habe“, sei dessen Vorteil, „dass es keine bewusste Wahl darstellt; es geht mehr um die Abwesenheit von Farbe.“ Weiß biete sich an, „so lange es keinen Grund für eine andere Farbe gibt“.

Dass Künstler gelegentlich mit Design operieren ist für manche Kunsthistoriker noch immer irrelevant. Nicht nur beim „Weißen Album“ war Hamilton in Sachen serieller Gestaltung tätig. „Products“ nannte er 2003 einen Katalog für Gagosian, in dem seine Entwürfe für den schwedischen Unix-Computer Diab DS 101 ebenso festgehalten sind wie der japanische HiFi-Verstärker „Lux 50“. Vor dem Schicksal bald technisch überholt zu sein oder schlecht zu funktionieren wären seine Geräte sicher, meinte Hamilton. Denn ihre Gültigkeit als Kunstwerke sei davon nicht tangiert. Sie hätten vielmehr die „gleiche Chance in einem Museum zu überleben wie jedes andere meiner gemalten Bilder“. Ausführlichen Raum gibt der Katalog seiner Auseinandersetzung mit Braun-Haushaltsprodukten der 1960er-Jahre (hauptsächlich entworfen von Reinhold Weiss). Das bekannteste Objekt kombiniert eine frühe elektrische Zahnbürste mit einem Scherzartikel aus Brighton in Form eines Gebisses und erschien als Druck 1968 im Rahmen von Hamiltons documenta-Teilnahme. Der Titel: „The critic laughs“.

Alessandro Mendini gilt Vielen vorwiegend als postmoderner Dekorateur. Wie oberflächlich diese Sichtweise ist, zeigte Sandra Hofmeister mit ihrem Interview „In der Designwelt haben wir uns alle lieb“. Darin unterstreicht Mendini die eigenartige Sonderrolle der Produktkultur und ihrer Gestalter: „Design hat kaum Kritiker. Die Architektur und die Literatur hingegen haben viele Kritiker, manche von ihnen können sogar mit Worten töten. In der Designwelt haben wir uns alle lieb. Besonders die Chefredakteure von Zeitschriften müssen alle lieb haben, sonst würden sie keine Anzeigen bekommen. Das ist eine wirklich tragikomische Angelegenheit.“ Abgesehen von diesen Marktmechanismen, die sich seit Erscheinen des Interviews 2010 keineswegs verbessert haben, schenkt Mendini auch in Richtung seiner Kollegen reichlich aus: „Designer sind oft oberflächliche Stylisten, die sich von den Bedürfnissen der Menschen verabschiedet haben. Doch der Bezug zum Menschen ist essenziell, weil Design etwas sehr Realistisches ist. Das wird heute gerne vergessen.“ (› zum Artikel)

Doch was ist Realität? Eine spezifische Form von Wirklichkeit schuf die Architektin Lina Bo Bardi. Mit ihrem Mann Pietro Maria Bardi, dem bekannten Galeristen und Kulturpolitiker im Mailand zu Zeiten Mussolinis, den sie 1946 heiratete, wanderte sie nach dem Zweiten Weltkrieg nach Brasilien aus. Ihr Werk erfreut sich in den letzten Jahren international großer Aufmerksamkeit, weil es eine besondere Art von sozial gebundener Freiraumarchitektur darstellt. Uta Abendroth proträtierte die Architektin 2013. (› zum Artikel) Eines ihrer wichtigsten Gebäude „SESC Pompéia“ entstand 1977 als Umbau und Erweiterung einer aufgegeben Fabrik in São Paulo. Die Gebäude dienen als Kultur- und Sportzentrum, das unterschiedliche Räume als Treff- und Kristallisationspunkt bietet. Nicht die Kultur des Kommerzes, der Shopping als höchstes Lebensziel begreift, schwebte der Architektin vor, sondern in ihren Bauten „soziale Komponenten sichtbar zu machen und Hierarchien zu verhindern“, wie Abendroth schreibt. Sprich: Ihr Bau ist ein Ort, den man aufsuchen kann, auch wenn man wenig oder kein Geld hat und nicht von anderen unterhalten sein will. Unerfreulicher Teil der Realität: Massivholzhocker, die Bo Bardi fürs SESC Pompéia entwarf und die noch vor kurzem dort zu finden waren, sind in erheblichen Mengen auf den Vintage-Markt für historische Designmöbel geraten. Auf den Spuren der Historiker der Moderne entziehen Möbelhändler sehr spezifische Objekte jenem Ort, für den sie gedacht und gemacht waren.

Wer im Glück wohnt, hat Glück! Wien gilt ohnehin als Paradies für Mieter, denen man dort nicht vorgaukelt, der Markt wäre es, der Preise treibt und die Städte und ihre Zentren unbewohnbar macht, weil sie unbezahlbar sind für immer mehr Normal- und Geringverdiener. In der österreichischen Hauptstadt ist der Wohnungsmarkt geregelt. Es wird gebaut und der Gemeindebau spielt im Selbstbewusstsein der Stadt eine maßgebliche Rolle. Auch schon wieder historisch: Die „drei Hochhauszeilen von jeweils knapp 300 Meter Länge und 94 Meter Höhe“, die der Architekt Harry Glück von 1973 an in Alt-Erlaa im Süden der Stadt schuf. Adeline Seidel porträtiert den Baumeister und sein wichtigstes Werk, das zeigt, wie verdichtete Architektur Gemeinsamkeit stiften kann, wenn sie gut gemacht und durchdacht ist. (› zum Artikel) Allen Vorurteilen gegenüber verdichtetem Bauen zum Trotz zeigt sie, dass „langfristige angelegte Extras für die Bewohner“ zu einer wohlverstandenen Wirtschaftlichkeit gehören. Und sie lässt Glück selbst ausführlich zu Wort kommen, der sagt: „Ich glaube, ich konnte zeigen, dass die Lebensqualität, die viele Menschen in den Suburbs suchen, in der Großstadt realisierbar ist – anders, aber nicht schlechter. Und einige Annehmlichkeiten, die für die Bewohner meiner Anlagen als Gemeinschaft leistbar sind, bleiben für den einzelnen Häuselbauer unerreichbar.“ Was könnten Bedingungen dafür sein, ein vergleichbares Projekt zu wagen?

„Selbst die heftigsten Leidenschaften gönnen uns bisweilen ein wenig Erholung“, schrieb einst der adlige Aphoristiker La Rochefoucauld, „nur die Eitelkeit erhält uns in rastloser Bewegung.“

Hier finden Sie alle erwähnten Artikel aus News & Stories:

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