In allen deutschen Bundesländern, aber auch in vielen anderen Ländern, sind gerade Ferien. Wer bei der Fahrt in den Urlaub oder zurück nach Hause nicht gerade mit dem Auto im Stau steht oder sich an irgendeinem Strand von der Sonne die Erschöpfung der letzten Monate wegbrennen lässt, der wandert oder fährt Rad, liest mal wieder einen Roman, gondelt durch die Lande, flaniert durch die Stadt, genießt wunderbares Essen, besucht Schlösser, geht ins Museum oder macht einfach das, wonach ihm gerade ist. Wer Ferien hat, der entwischt für kurze Zeit, geht auf Abstand zum Alltag – lässt wenigstens für ein, zwei, drei Wochen Arbeit, Stress und Anspannung hinter sich. Er hält inne, kommt langsam zur Ruhe, knabbert aber dann doch womöglich etwas lustlos an einem Buch und fängt plötzlich an, sich zu langweilen – und beginnt gerade deshalb nachzudenken und zurückzuschauen.
Auch wir haben zurückgeschaut und sind dabei im Archiv von News&Stories auf Fragen und Themen gestoßen, die irgendwann in den vergangenen Jahren aktuell waren, aber nichts an Brisanz verloren haben.
Wer sich beispielsweise gerade – mit oder ohne Navi – mit dem Auto durch eine der Hauptstädte oder Metropolen der Welt quält, die richtige Ausfahrt oder den einen freien Parkplatz sucht, dem kommt die Frage nach der autogerechten Stadt wieder in den Sinn. Wie das Konzept der „autogerechten Stadt“ entstanden ist und als Steuerungsinstrument und Ausweg aus dem Verkehrschaos gepriesen werden konnte, hat Annette Tietenberg schon 2010 auf den Punkt gebracht. Geschaffen werden sollte eine Stadt, die dem Menschen ebenso gerecht wird wie dem Autoverkehr. An den Folgen dieser Vorstellung laborieren wir bis heute. Trotz Staupilot und Big Data, Einparkhilfe und Hinweisen auf freie Parkhausplätze, das Auto prägt und verstopft nach wie vor die Innenstädte, auch wenn sich inzwischen viele darum bemühen, dass es künftig die Stadt ist, die das Auto prägt und nicht umgekehrt. Erledigt hat sich die Frage, welches Bild urbanen Lebens mit der autogerechten Stadt geschaffen wurde und wie es damit weitergehen soll, aber längst noch nicht. Und wer sagt denn, dass die heutigen Konzepte tatsächlich besser funktionieren?
Was das Industriedesign betrifft, so geht es auch dort nicht nur voran. Im Möbelbereich, um nur ein Beispiel herauszugreifen, werden gerade mal wieder die Klassiker der Moderne oder des Mid-Century-Designs renoviert. Über Innovation wird zwar auch hier viel geredet und die gerade vorgestellten Produkte werden vom Marketing routiniert über den grünen Klee gelobt. Gleichzeitig aber lässt sich eine Tendenz zur Uniformität beobachten. Hinzu kommt: Wenige große Marken beherrschen mehr und mehr den Markt; kleinere Firmen mit originellem Programm hingegen tun sich immer schwerer. Der Designer Stefan Diez hat sich 2013 in einem klugen Vortrag seine eigenen Gedanken zur Lage des Designs gemacht. Auch aus seiner Sicht hat sich vieles verändert. Ein globaler Vertrieb, so stellt er beispielsweise fest, kostet sehr viel Geld. Steht die Vertriebsstruktur aber einmal, dann muss ein möglichst breites Sortiment angeboten werden. Mit durchaus ambivalenten Folgen für das Design: „Nach der Phase des Outsourcings und der Diversifizierung des Portfolios“, so Diez, „bleibt den Marken als einziges Differenzierungsinstrument schließlich das Design. Wenn Design aber nun zu kurz greift, weil die Schnittstellen zur Entwicklung und Produktion nicht mehr richtig funktionieren, dann unterscheiden sich viele Produkte bloß noch im Styling, die Ergebnisse bleiben generisch und der Fortschritt kommt zum Erliegen.“
Es passt zur Frage, ob und wie im Möbeldesign ein Fortschritt noch möglich erscheint, dass man, wo es um italienisches Design geht, fast gebetsmühlenhaft immer wieder den Hinweis auf eine ganz besondere Ausstellung findet: „Italy – The New Domestic Landscape“. Was 1972 im Museum of Modern Art (MoMA) in New York modellhaft präsentiert wurde, prägt offenbar unser aller Bild von italienischem Design bis in die unmittelbare Gegenwart. Wie muss man das verstehen? Was bedeuten uns die Entwürfe der Rebellen von damals? Sehnen wir uns nach neuen Aufbruchsphantasien? Ist eine Designavantgarde überhaupt noch denkbar? Was würde sie heute machen? Markus Frenzl hat im Jahr 2011 auf das legendäre Projekt zurückgeblickt, sich den Katalog zur Ausstellung noch einmal vorgenommen und dabei unter anderem festgestellt, dass Schlagworte wie „sustainabilty“ oder „social design“ keineswegs Neuerfindungen unserer Zeit sind.
Oder nehmen wir, da die Zukunft der Vergangenheit ja derzeit hier und da wieder in Ausstellungen thematisiert wird, die Frage, wie rasch die Bilder und Vorstellungen, die wir uns von der Zukunft machen, altern – oder zu Denkmälern verklärt werden, die uns an die zahlreichen Chancen erinnern, die vertan wurden. Waren wir etwa schon damals, als wir noch tagtäglich mit Utopien hantierten, mehr als nötig technikverliebt? Der Künstler Klaus Richter hat sich 2012 seine eigenen Gedanken dazu gemacht.
Zukunft bedeutet unter Umständen aber auch Verlust. Dabei fällt mir ein, dass ich, wenn ich inmitten meiner übervollen Bücherstube mal Besuch von Menschen bekomme, die von Berufs wegen wenig mit Ausstellungskatalogen und Werkverzeichnissen, Monographien und Broschüren, Aufsatzsammlungen, theoretischen Abhandlungen oder Romanen zu tun haben, immer wieder gefragt werde, ob ich das alles denn bräuchte, das gäbe es inzwischen doch sicher alles auch digital im Netz. Wenn ich dann antworte, dem sei keineswegs so, kaum etwas davon ließe sich im Netz finden und der Griff ins Regal führe obendrein wesentlich schneller zum Ziel, ernte ich regelmäßig ungläubiges Staunen. In der Vorstellung vieler Menschen sind aber offenbar schon heute nicht nur Bücher überflüssig, sondern auch die Regale, in denen sie aufbewahrt werden. Kein Wunder also, dass sich Thomas Edelmann 2011 Gedanken über das Regal als „Möbel der öffentlichen Ordnung“ gemacht hat. Ob es tatsächlich samt aller Bücher irgendwann ganz in der Cloud verschwindet?
Eine andere Art der Technikverliebtheit taucht in einem Text von Jeremy Gaines auf, der sich mit der Urbanisierung in Afrika und unserem oft allzu eurozentristischen Blick darauf beschäftigt. Schließlich zieht es dort schon lange und immer schneller immer mehr Menschen in die Städte; auch jenseits von Kairo und Kinshasa liegen einige der größten und am schnellsten wachsenden Metropolen dieser Welt in Afrika. Nur: Der Ausbau einer funktionierenden Infrastruktur hinkt dort noch stärker hinterher als in den asiatischen oder amerikanischen Metropolen. Planungen gehen oft in die falsche, weil von außen anempfohlene und die Bedürfnisse vor Ort ignorierende Richtung. Statt gemeinsam nach Lösungen zu suchen, wittert Europa nur Geschäfte oder kreist um sich selbst – wen wundert’s da, wenn afrikanische Städte schon lange lieber Geschäfte mit China machen?
Und nun? Drehen wir uns permanent im Kreise? Wenn dem so ist und uns die Fragen nicht ausgehen – was ja auch etwas Gutes hat –, dann können wir auch erst mal Urlaub machen. Danach sehen wir dann weiter.
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