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Die Faszination des Bewährten
von Znidaric Amelie | 21.06.2011

Um elf kam der Boden. Die Stahlträger standen gegen Mittag, wenig später die ersten Wandpanele und der Giebel. Gegen zwei Uhr nachmittags öffnete sich der erste Fensterladen, danach wurde das Dach gedeckt, und gegen fünf war Jean Prouvés „Pavillon démontable" fertig. Über Nacht bauten drei Männer die sechs mal sechs Meter große Holzbaracke, die der Franzose für Kriegsflüchtlinge entworfen hatte, wieder ab – um am nächsten Tag um elf Uhr vormittags wieder mit dem Aufbau zu beginnen.

Es mutet eigenartig an, dass eine Notbehausung zum Mittelpunkt einer exklusiven Designmesse geworden ist. 450 dieser Bausätze waren in den Jahren 1944 und 1945 für ausgebombte Obdachlose in der Lorraine errichtet worden. Über ein halbes Jahrhundert später, bei der eben zu Ende gegangenen Design Miami Basel 2011, bot der Pariser Galerist Patrick Seguin einen davon für 600.000 Euro an. Und doch hat der „Pavillon des sinistrés de Lorraine" genau hier seinen Platz – weil die Konstruktion in ihrer Einfachheit an Schönheit kaum zu überbieten ist, aber auch, weil Prouvé einer der höchst gehandelten Designer aller Zeiten ist.

Die schlichte Hütte aus Holz und Metall hatte Seguin zwei Tage vor Ende der Messe zwar noch nicht verkauft, dafür aber einen Esstisch von Prouvé für 140.000 Euro. Auch die anderen Aussteller – 43 Händler vor allem aus Europa, aber auch aus den Vereinigten Staaten und Asien – dürften zufrieden sein. So war zu hören, die Pariser Galerie Jacques Lacoste habe eine komplette Suite des französischen Innenarchitekten Jean Royère aus dem Jahr 1958 für 750.000 Euro verkauft. Die Galerie Downtown - François Laffanour, ebenfalls aus Paris, setzte in ihrer Schau wie Patrick Seguin auf den Bestseller Prouvé und verdiente mit einem Tisch und sechs Stühlen immerhin noch 120.000 Euro.

Wer so viel Geld ausgibt, will kein Risiko eingehen. Designsammler sind konservativ, wie etwa ein Blick in das „Modern Magazine", eine Fachzeitschrift für sogenanntes „Collectible Design", beweist. Dort erklärt einer der weltweit wichtigsten Sammler, der Amerikaner Michael Boyd, dass neu nicht unbedingt gut bedeutet und dass Innovation aus seiner Sicht überbewertet wird. Bebildert ist seine Kolumne mit Stühlen von Prouvé sowie von Charles und Ray Eames. (Allesamt waren sie zu ihrer Zeit hoch innovativ, aber das nur nebenbei.)

Die Design Miami Basel ist eine Verkaufsmesse und das Angebot folgt der Nachfrage. Kein Wunder also, dass es streckenweise aussah wie auf einer Antiquitätenmesse: vornehme Salons, möbliert in Bauhaus, Mid-Century Modern und Art Déco. Dennoch ist der Messe das Bemühen um zeitgenössisches Design nicht abzusprechen. Im oberen Stockwerk der Ausstellungshalle zeigte die Messe auch die Gewinner ihres „Designers of the Future Awards". Drei junge Teams waren aufgefordert, für die Messe ein „Conversation Piece" zu gestalten, und gemeint war damit nicht ein Objekt, über das geredet wird, sondern eines, das Gespräche fördert. Am besten gelungen ist das dem österreichischen Duo Mischer'Traxler. Ihre „Collective Works" sind eine Maschine, die sich erst dann an die Produktion eines Korbes macht, wenn sie Aufmerksamkeit bekommt. Je mehr Menschen um sie herum stehen, desto bunter wird der Korb. Wenn das Interesse der Zuschauer erlahmt und diese weggehen, steht die Maschine wieder still. Auch „It takes more than one" funktioniert nur, wenn – nomen est omen – mehr als ein Mensch in der Nähe ist. Wer allein in den Spiegel blickt, sieht nichts außer Milchglas. Erst wenn mehr als zwei Betrachter hineinschauen, erscheint ein Spiegelbild.

Der Brite Asif Kahn hat mit „Cloud" eine Installation entwickelt, die laut seiner Aussage einen schattigen Raum für Gespräche bilden soll: acht Töpfe, aus denen ein Gemisch aus Seifenschaum und Helium aufstieg. Die Schaumwölkchen bleiben in einem Netz, das über die Konstruktion gespannt war, hängen – bevor sie sich auflösen und als Tropfen wieder herabfallen. Es überraschte wenig, dass der „schattige Raum" nicht gar so einladend für Gespräche war – nur Kinder hatten dort ihren Spaß. Weniger originell fiel der Beitrag von Studio Juju aus Singapur aus: ein zeltstangenartiges Gebilde als Konversationsraum.

Auch Galerien setzten auf aktuelles Design und trotzten damit dem Reiz des richtig großen Geldes, das sich mit Prouvé & Co verdienen lässt. Vor allem im hinteren Teil der Ausstellungshalle und im oberen Stockwerk gab es viele Anbieter, die Zeitgenössisches zeigten und verkauften. Die Genfer Mitterrand+Cramer etwa zeigten die „Cubist Lamp" des großartigen britischen Labels „Freshwest": ein Haufen im Wurf erstarrter Metallstäbchen, die sich – aus der richtigen Perspektive betrachtet – zur Silhouette der „Anglepoise Lamp" zusammenfügen. Die Londoner Carpenters Workshop Gallery hatte eine neue Leuchte aus der „Fragile Future Series" vom holländischen Duo „Drift" mitgebracht. Das Prinzip – LED-Schaltkreise mit Pusteblumen – kennt man zwar schon aus Miami, New York und Mailand, aber es ist immer wieder bezaubernd.

Einige Zeitgenossen wagten sogar Solo-Ausstellungen. Die Pariser Galerie Kreo etwa zeigte ausschließlich Arbeiten des 49 Jahre alten Franzosen Pierre Charpin – und war am Ende der Messe fast ausverkauft, bei Preisen von 8.500 bis 32.000 Euro. Auch die New Yorker Johnson Trading Gallery setzte erfolgreich auf nur einen Designer, den Briten Max Lamb, und verkaufte schon bei der Eröffnung sechs der grob aus Granit gehauenen Möbelstücke. Verkaufssumme: 121.000 Euro, so viel wie der Tisch und die sechs Stühle von Prouvé.

www.designmiami.com

Tisch von Mischer'Traxler
Lichtinstallationen von Astrid Krogh, Foto: James Harris
Leuchten von Nacho Carbonell ausgestellt bei der Galerie BSL
Galerie Jacques Lacoste, Foto: James Harris
Installation von Studio Juju
Galerie Perrin, Foto: James Harris
Installation von Mischer'Traxler, Foto: James Harris
Galerie Kreo, Foto: James Harris
Galerie Patrick Seguin, Foto: James Harris
"Pavillon démontable" von Jean Prouvé
„Cloud“ von Asif Khan
Leuchte aus der „Fragile Future Series“ vom holländischen Duo „Drift“
Besucher bei Studio Juju
Galerie Ulrich Fiedler, Foto: James Harris
Carpenters Workshop Gallery, Foto: James Harris
Objekte von Max Lamb ausgestellt bei der Johnson Trading Gallery
Cubist Lamp von Freshwest Design